Aus halbvergessenem Lande: Culturbilder aus Dalmatien. Theodor Schiff. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Theodor Schiff
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Путеводители
Год издания: 0
isbn: 4064066113537
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werden, auch gelte die Messe für alle Familien-Mitglieder, auch für Diejenigen, die nur in die Familie geheiratet hatten, und ausserdem für drei männliche oder weibliche Dienstboten, aber nicht …

      Das war mir doch zu stark. Da stand ich trotz aller Erklärung wieder vor dem ungelösten Räthsel, das ich doch ergründen wollte.

      »Entschuldigen Sie, Conte Lole, wie verstehen Sie das von dem Gelten der Messe?«

      Der Conte streifte mich mit einem misstrauischen Seitenblick, als ob er nicht recht im Klaren sei, ob ich denn nicht doch ein Ketzer und daher der nöthigen Vorbildung zum Verständniss seiner Erklärung bar sei. »Gelten heisst gelten,« sagte er tiefsinnig, »wenn Sie zum Beispiel Sonntags in meiner Capelle die Messe hören, so haben sie keine Messe gehört, wenn aber ich oder ein Mitglied meiner Familie in derselben die Messe hören, dann haben wir sie gehört. Das Gleiche gilt für drei meiner Dienstleute.«

      »Wenn aber vier von Ihren Dienstleuten der Messe beiwohnen, für welchen von den Vieren gilt dann die Messe nicht, Conte Lole?«

      Der Conte dachte einen Augenblick nach und entschied dann rasch: »Für den Letztgekommenen. – Sehen Sie, Herr ……, ich weiss recht gut, obwohl ich niemals aus Dalmatien hinausgekommen bin, dass man in der Welt jetzt nicht mehr viel hält auf solche Dinge, aber in unserer Familie, die von sehr altem Adel ist, war man auch immer fromm. Darum hat man uns auch Privilegien gegeben von Rom, wenn wir darum baten, und nicht genug, auch einen Cardinal haben wir schon in der Familie gehabt und auch ein Wunder.« Und der Conte blickte in offenbar gehobenem aristokratischem Selbstbewusstsein bei der Erinnerung an das Wunder um sich, als erwartete er rings um sich plötzlich eine ganze Legion adeliger Wappenschilde der Familie ……* auftauchen zu sehen.

      »Das Wunder ist wohl schon sehr alt?« wagte ich zu fragen.

      »Nein, es geschah vor fünfzig Jahren. Mein jüngerer Bruder Conte Zandume21 war mit einem kürzeren Fuss geboren und hinkte. So lange er klein war, wurde das weniger beachtet; die Aerzte sagten, es gäbe kein Mittel dagegen und seine Pesterna22, die eine Morlakin aus Imoschi war, zog ihn nur alle Abend tüchtig bei dem kürzeren Fuss, dass er schrie, aber das half nichts. So war er zwanzig Jahre alt geworden. Da verlobte ich ihn zu einer Wallfahrt in die Capelle des San Dojmo bei Duimovaz. Es war am 7. Mai, dem Tage des San Dojmo, und wir hatten uns etwas verspätet. Darum war es schon tüchtig heiss, als wir in die Gegend von Duimovaz kamen und auf dem ganzen Wege hindurch predigte ich in einemfort dem Zandume, er solle nur festen Glauben hegen, dann werde Alles gut werden. Fede23, Zandume, fede! rief ich immer, aber der Zandume war schon müde, weil er hinkte, und sagte nur: »Ja, Lole!« Endlich kamen wir zur Capelle selbst. Viele Kerzen brannten drinnen und vor denselben lag eine Menge Morlaken, Weiber wie Männer und sonst ordinäres Volk auf den Knien. Ich schob sie aber zur Seite, packte meinen Bruder beim Arm, schob ihn voraus und rief in der höchsten Aufregung »Fede, Zandume! fede, fede, Zandume, fede!« (– Hier folgte noch ein Fluch, der sich nicht in's Deutsche, wohl aber in das Ungarische übertragen lässt –) – – – »Da war das Wunder geschehen.«

      »Konnte er jetzt gerade gehen?« fragte ich.

      »Nein,« sagte der Conte, »aber er fühlte sich besser, so lange er lebte, und sprach davon bis zu seinem Tode. Vor zwei Jahren ist er gestorben.«

      Unterdessen waren wir auf die Marine gekommen, von welcher der breite Schatten gewichen war, da die Sonnenstrahlen sich jetzt kräftig und heiss über dieselbe legten. Das Meer wippte in zitternder Bewegung vor einer stetigen Landbrise und die »Colombina« tanzte mit den anderen Barken gar lustig vor unseren Augen. Der Ante Placibat war auf einem als Landungsbrücke dienenden Brette an Bord gegangen und hantirte mit den Kisten, Fässern und Ballen herum, die auf dem Verdeck lagen, und der Mozzo hockte bei einem kleinen am Bug des Schiffes angemachten Kohlenfeuer um Kaffee zu kochen.

      Conte Lole schien doch das Bedürfniss zu fühlen, den etwas zweifelhaften Eindruck, welchen die Erzählung von dem Wunder auf mich gemacht, durch die Aufzählung irgend einer positiven Thatsache abzuschwächen, denn er fragte plötzlich: »Wissen Sie, wem die »Colombina« eigentlich gehört?«

      »Vermuthlich Ihnen, Conte Lole?«

      »Nein,« antwortete der Conte stolz, »sie gehört den armen Seelen. Mein Grossvater hat sie bauen lassen. Früher war sie grösser und ist auch bis Triest gefahren, jetzt aber fährt sie nur bis Zara. Von dem, was sie einbringt, wird vorerst die Mannschaft gezahlt, dann werden die Reparaturen besorgt und was übrig bleibt wird zu Seelenmessen für die Verstorbenen unserer Familie verwendet. Davon wird der Don Beppo bezahlt, der eben in der Capelle Messe las. Die Reparaturen fressen am meisten und von der ursprünglichen »Colombina« ist kein Spahn mehr da. Aber sie wird immer gut gehalten und frisch aufgezimmert, hat auch immer ausserordentliches Glück gehabt. Weil die armen Seelen eigentlich ihre Eigenthümer sind, brauche ich sie auch nicht zu assecuriren. Schon oft war sie in der grössten Gefahr, – jedes andere Schiff wäre zu Grunde gegangen aber die »Colombina« – – halt! Da fährt sie ab. Glückliche Reise, Ante! Grüsse mir die Freunde in Zara!!«

      Während die Brise sich sanft in die Segel legte, tanzte die »Colombina« lustig hinaus über die glitzernde Fläche. Beim Steuerruder stand aber Ante Placibat und schwenkte seinen Strohhut.

      Glückliche Reise, »Colombina,« glückliche Reise, Ante Placibat!!

       Inhaltsverzeichnis

      Hätte Herr Stipe Noncovich sein Dasein in irgend einer Stadt irgend eines anderen Landes ausser Dalmatien hingebracht, so würde er jedenfalls auf den Titel eines Commis Anspruch erhoben haben. Da er aber in Spalato sich des Lebens freute, so hiess er einfach »Giovane«.

      Giovane ist Alles. Ein Schneidergeselle, ein Advocatenschreiber, ein Schusterlehrjunge, ein Marqueur in einem Kaffeehause, und nicht minder jene jungen Männer, die man im gemeinen Leben deutscher Nation unter den Sammelnamen Ladenjünglinge zu bezeichnen pflegt – sie Alle heissen in ganz Italien und in allen Küstenstädten des italienischsprechenden Dalmatiens »Giovane«, zu deutsch »junger Mann«. Wie alt ein derartiger junger Mann sei, thut nicht das Mindeste zur Sache, denn nicht etwa das jugendliche Alter des Betreffenden soll mit diesem Ausdrucke bezeichnet werden, sondern das Abhängigkeits-Verhältniss, in welchem er zu seinem Herrn steht. Und Herr Stipe Noncovich war ein »Giovane«, er verkaufte Leinwand, Bänder, Schnüre, Vogelleim, abgelegenes Tuch, Schiesspulver, Zucker, Kaffee, fertige Stiefel, Branntwein und noch tausend andere Dinge in dem Laden seines verehrten Oheims und gestrengen Herrn.

      Wenn man von der Piazza Signori – dem Herrenplatze – der freundlichen Stadt Spalato in der Richtung gegen den diocletianischen Jupiter-Tempel geht, so stösst man an der Ecke des Platzes auf ein höchst sonderbares Erzeugniss mittelalterlicher Bildhauerkunst. Es sind zwei Bischöfe in vollem Ornate, welche, die Mitra auf dem Kopfe und die respectiven rechten Hände wie zum Segen erhoben, in Sandstein roh ausgemeisselt und in die Quadern des Eckhauses eingefügt sind. Der eine dieser Bischöfe ist in mehr als Lebensgrösse dargestellt – der andere reicht dem ersten kaum bis zum Knie. Die nackten Füsse des grossen und die von schwerfälligem Faltenwurfe überdeckten Knie des kleinen Bischofs sind gleichmässig abgeschliffen und gewöhnlich mit einer Schmutzkruste überzogen. Das hat seinen guten Grund. Der Morlake sowie der Bewohner der Vorstädte Spalatos sieht in jeder alten Statue ohneweiters einen Heiligen. Hat die Statue gar eine Bischofsmütze auf dem Kopfe, so muss es schon ein ganz ausserordentlicher Heiliger sein. Darum sind auch die beiden sandsteinernen Bischöfe heilig und kein Morlake und kein Vorstadtbewohner versäumt es, im Vorübergehen hinaufzulangen, die Füsse des grossen und die Knie des kleinen Bischofs mit den Fingern anzurühren und dann seine Finger zu küssen. Daher die Kruste. Manchesmal regnet es aber, und dann wird die Schmutzkruste vom Regen abgewaschen.

      Fragt man einen zur gebildeten Classe zählenden Spalatiner um die Bedeutung dieser beiden