Gesammelte Werke. Robert Musil. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Robert Musil
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788026800347
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Mein Herz ließ aus, ich hätte die verdammte Kraxe stehn lassen sollen. Jeden Besitz hab ich stehn lassen, den letzten Dreck hab ich durchs Wetter schleppen müssen! Not, Tod! Haha, nein, ich dachte, ich muß sie retten!

      Frau: Wir kommen um, wenn wir stehen bleiben. Hilf mir lieber vorwärts. Sie kann sich kaum gegen den Sturm am Platze halten.

      Mann: Ja, wir kommen sicher um.

      Frau: Komm, komm! War seit vier Stunden kein Haus, muß doch bald eins kommen!

      Mann an einen Baum gelehnt: Ich kann nicht. Ich habe mich übernommen.

      Frau: Aber was soll ich denn tun?! Soll ich hier auf der Straße verrecken – wie ein Roß?!

      Mann: Vorwärts!

      Frau: Vorwärts!

      Mann: Nein Du! Geh allein.

      Frau: O Gott, da soll ich nun alles liegen lassen!

      Mann: Vorwärts, vorwärts! Du wirst schon ein Haus finden. Vorwärts, sage ich!

      Frau: Aber ich fürchte mich vor dem Sturm.

      Mann: Vorwärts, sage ich! Sonst krepierst Du. Er schlägt sie mit dem Stock.

      Frau: Au! Du Tier!

      Mann: Sonst krepierst Du!

      Frau: Gott wird Dich strafen, daß Du mich allein in die Nacht jagst! Heulend davon … Allein in die Nacht jagst …

      Mann hinter ihr dreinschreiend: Sonst krepierst Du ja …

      Die Frau kämpft sich mühsam durch den Sturm. Ab.

      Mann: Sterben will ich allein! … Stirb Du fünfzig Schritt weiter. Lehnt sich wieder an seinen Baum. Zieht aus der Brusttasche eine halb geleerte Scbnapsflasche, hält sie gegen den Rest von Lichtschimmer. Ja, ja, noch ein bißchen, noch ein klein wenig. Wirft, ohne zu trinken, die Flasche in den Schnee. Not, Tod, bin ich das Weib los, brauch ich den Schnaps nicht; das Trinken kommt nur von der Sprache.

      Ein schwacher, sich ausbreitender Lichtschimmer wird von der Flasche ausgegossen und in dem stehn plötzlich die zwei Worte da. Mittelgroße Gestalten in dunklen Kapuzenmänteln, anfangs zu einem Umriß zusammengewachsen.

      Mann: Seit wann kenn ich Euch? An der Wiege seid Ihr mir nicht gesungen worden! Verfluchte Worte! Ihr wart der Wurm im Apfel meines Lebens! Wie schön war trotzdem der Apfel.

      Not: Hast Du nicht gelacht, wenn alte Leute zitterten?

      Mann von der Vorstellung erheitert: Ja, ja.

      Not: Wenn Du ein Gesicht sahst, das von Kummer und Krankheit entstellt war?

      Mann: Ja, ja. Und ich lache noch, wenn ich dran denke. Das ist eine dumme Wichtigtuerei mit dem Leiden, man soll davor das Gesicht ziehn wie man den Hut zieht.

      Not: Dich liebe ich! Wer so sprechen kann wie Du, den habe ich immer geliebt!

      Mann: Bei Gott, erst seit ich dreißig Jahre alt war, hast Du mich zu lieben begonnen. Und wie bescheiden Du’s eingefädelt hast. Erst nur ein-, zweimal alle paar Monate eine flüchtige Visite, das hält war, ohne zu übermüden. Dann ein paar Stunden Gesellschaft im Tag. Und mit einmal bist Du jede Nacht bei mir im Bett gelegen und warst nicht mehr aus den Schrägen zu drücken.

      Not: Wenn ich Dir einen Arm um die Brust und einen um den Bauch schlang, wie wandest Du Dich, mein Knabe und hieltst Dich doch hin. Wie durchschnitt mich Dein Stöhnen, wenn ich Dir auf dem Hals ritt!

      Mann: Hast mir die Polster verkauft und das Leintuch weggezogen. Mußtest dann selbst auf barem Stroh liegen!

      Not: Und kein Nachthemd mehr und bald überhaupt nur ein Hemd. Und kein Bad und kein warmes Wasser und bald keine Seife mehr. Wie hast Du zum Schluß schon gestunken, mein Junge, bei lebendigem Leib; wie Wildpret. Und warst doch früher in Batist gegangen.

      Mann: Als ich dem Hund das stehengelassene Futter aus der Schüssel fraß, das richtete mich wieder auf. Welch ein Genie ist der Mensch doch auch nach unten! Können ruhig andre meine Seidenhemden tragen.

      Not: Genug, Liebling; damit langweilst Du mich schon, ich war Dir zu lange treu wegen Deiner philosophischen Einfälle. Ich habe Gesellschaft.

      Mann: Wohl der Herr Zuhälter?

      Not: Ja; der erschlägt Dich jetzt. Ich habe nicht Zeit, mich länger mit Dir abzugeben.

      Mann: Oh, mein Fledermäuschen, verdien ich das?

      Not: Hast Du je etwas verdient?

      Mann: Aber dann doch auch nicht einen so stattlichen, kühnen Tod wie Deinen Herrn Zuhälter?

      Not: Solang es Dir gut ging, hast Du den Armen in die hingehaltene Hand gespuckt, und als Du selbst den Bettlerhut anhalten mußtest, hast Du ihn rasch aufgesetzt, wenn ein Reicher vorbeikam. Darum mach nicht so langsam, es hilft Dir doch keiner. In einem Flackern des Lichts sieht es einen Augenblick lang aus, als stünden ein Zuhälter und seine Freundin unschlüssig vor dem hingesunkenen Mann. Dann erlischt das Bild.

      Das Licht leuchtet wieder auf und neben einem Bildstock steht wie herausgestiegen eine schöne Frau. Blau-weißes barockes Seidengewand, Goldkrone auf dem Haar. Der Mann hat sich an seinem Stock aufgerichtet, als wollte er weiter.

      Die Himmlische:

      Halt an, mein Kind, wo gehst Du hin?

      Weißt Du nicht, daß ich Deine Mutter bin?

      Mann: Aus welcher Truhe bist Du ausgekrochen? Sag? Ein Geruch fließt von Dir her … Und was für prächtige Seide Du trägst; das knackt wie tausend kleine elektrische Funken. Wie die Holzscheite im Ofen, wenn der Knabe einschlief. Du elektrisierst mich. Du marterst mich. Aus dem Ofen roch die Nacht. An der Hofmauer klingelte eilig der Schlitten vorbei. Das kleine Mädchen saß in meiner hellen Ohrhöhle, an den Laternen meiner Augen vorbei wirbelten die Flocken, die ihr Haar puderten, in meiner Nase schnoben die Pferde, ach und so oft ich mit der Peitsche knallte, sprang das kleine Mädchen durch einen Reifen, schlugen die apfelblütenroten Röckchen hoch und die silbernen Sterne an den Höschen schwirrten. Aber schon, weißt Du, taute es Nacht, große Tropfen, dann spiegelschwarze Flächen – Die Himmlische: Halt an, mein Kind. Wo gehst Du hin?

      Mann: Oh, Du hast recht. Es war gar nicht Winter. Der Winter war schrecklich, mit den unwirschen Großen in einer Stube. Wintersehnsucht war’s, Herbst. Mutter öffnete die Truhen,die Schwestern drängten eitel hinzu. Oh, jetzt weiß ich alles. Wie süß Du riechst nach Pelzwerk und Kampfer! Ich liebe Dich ja seit je! Seidenreste kamen hervor. Unterröcke. Schweißblätter. Winterstrümpfe. Federn. Schmelzzacken. Schmetterlinge. Grüne Vögel. Monde … Zauberhaft stieg die Frau aus der Truhe.

      Wo bliebst Du dann, als ich erwachsen war und Dich hätte halten können?! Muß ich Dich jetzt zum erstenmal wiedersehn?! Wie scheußlich waren die Frauen. Die Schwestern wie nackter Kuchenteig. Und die mir amtlich zugebilligte Eva sah nach dem zweiten Kind ums Becken herum aus wie der Hintern einer Ziege. Untreue? Wozu? Es ist ja doch immer derselbe weiche Seelenknödel, in den man mit der Gabel sticht.

      Die Himmlische: Halt ein, mein Liebster.

      Mann: Ja leuchte Du nur. Der Lichtschein wird heller, Hintergrund klärt auf, jenseits des Schneetreibens wird eine blühende Landschaft sichtbar wie von ihrem hohen Rand aus gesehn. Was treibst Du! Was zauberst Du da?

      Aus einem Abend wie ein aufgesprungner Schrein

      Schwebt Ding nach Ding leis in die Nacht hinein.

      Die Himmlische:

      Geliebter, diese Welt ist Dein und mein!

      Ist wie ein Tanz durch einen sanften Wiesenhang,

      Der sacht gedrehten Grüns um uns entgleitet.

      Indes er den entzückten Fuß noch abwärts leitet, –

      Mann:

      Fühlst