Ausgewählte Werke von Heinrich Zschokke. Heinrich Zschokke. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Heinrich Zschokke
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9788027214945
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auch wenn's zum Besten geht. Du mußt Dich an's Unglück gewöhnen, denn es gewöhnt sich an Dich. Du weißt wohl, man rutscht nicht auf Sammetkissen in's Himmelreich hinein. Also, gehabe Dich wohl! Grüße meine kranke Heilige. Ich führe Dir Dein Männchen über ein Kleines wieder zu.«

      Epiphania verneinte, ohne zu antworten, mit einer Bewegung ihres Hauptes. »Was gilt die Wette,« rief der Alte: »ich bringe ihn Dir, wenn Du uns am wenigsten erwartest, und ich richte Euch eine Hochzeit aus, wie sie noch kein Berner Landvogt prächtiger gehabt hat.«

      »Du bringst ihn nie wieder, Addrich . . . Du nicht!« seufzte die Neuvermählte. »Sein Loos ist gefallen, und das meinige mit dem seinen. O rede nicht vom alten Weibertrödel! Hast Du den Gesang vergessen, den unsere Seherin an meinem Geburtstage sang?« . . . Mit warnender Stimme fuhr sie fort:

      »Vom rosenfarb'nem Munde

       Erlischt die Lebensglut.

       Des Jünglings Purpurwunde

       Betaut das Grab mit Blut.

      Zu spät eilt deine Hilfe,

       Er fühlt nun keine Pein;

       Er schläft auf dürrem Schilfe;

       Sein Kissen ist der Stein.«

      Addrich's Gesicht verfinsterte sich bei diesen Worten auf schreckliche Weise, während er den Kopf auf die Brust niederhängen ließ. Endlich fuhr er rasch in die Höhe und rief: »Hat's der Satan auf's Quälen angelegt, muß ihm selbst der Engel die Pechpfanne füllen. Fort, fort, ich brauche meinen Verstand noch ein paar Tage oder Wochen, dann will ich wahnsinnig werden . . . Ade, Faneli, ade!« Bei diesen Worten küßte er die Jungfrau, drückte ihre Hand, ging davon und rief: »Mir nach, Fabian!«

      Der Jüngling wollte seiner Freundin Lebewohl sagen, er konnte jedoch nicht reden. Beider Hände lagen fest in einander und er lehnte seine Stirn an die ihrige. So standen sie lange schweigend da, zitternd, thränenlos. Änneli warf sich unter einer alten Eiche nieder, verbarg ihr Gesicht auf dem Erdboden im Grase und weinte laut. Beide hörten sie nichts vom mitleidigen Jammer des Mädchens.

      »Laß Gott walten und die Welt unter uns vergehen!« sagte Fabian. »Wenn Dich auch mein Auge nicht sieht, bin ich doch allzeit mit Dir zusammen. Uns kann nichts mehr von einander scheiden, nicht Welt, nicht Grab, weder die Gewalt der Hölle, noch die Ewigkeit. Der Allmächtige ist unser Vater und seine Liebe hält uns mit dem gleichen Arm umfangen. Sei standhaft, Du Tochter Gottes, Dein Schmerz ist ein Zweifel an seiner Weisheit!«

      »Nein, o nein, kein Zweifel, Fabi, sondern der Widerklang seiner unendlichen Liebe, mit der ich lieben muß, in meiner Brust! Nur das irdische in mir will verzagen, aber hat Er uns nicht das Herz gegeben, daß es blute, und das Auge, daß es weine? Laß mich bluten und weinen, denn ich stehe an Deinem Sterbebette: ich bin nicht Deine Schwester, Deine Braut, Dein Weib, sondern Deine Wittwe. Fabi, ich bin betrübt bis in den Tod. O, wie reich muß der göttliche Freudenhimmel sein, wenn er die Bitterkeit dieses Augenblickes vergelten will!«

      »Lebe wohl, Fani!« rief er vom Schmerz übermannt. »Foltern wir uns nicht länger! Bleibe Gott und mir getreu! Lebe wohl!«

      »O Fabi, sage lieber: stirb! Im Sarge ist mein Wohlleben, nicht über der Erde. Fahre wohl, Du teures Licht meiner Seele! Nun wird es ewige Nacht. Ich bin noch nicht gestorben, und doch ist alles schon ein Grab, und der Himmel nur Schutt über mir . . . . Wie Gott will, Fabi! Wer kann widerstreben? Seine Liebe ist unendlich, aber wie kann sein Vaterherz mir so unaussprechliches Wehe zufügen? Ach, ich könnte es nicht, auch dem größten Sünder der Welt könnte ich es nicht!«

      Nach einiger Zeit fuhr sie leise fort mit dem Tone und der Geberde frommer Ergebung und Verzichtung, »Fahre wohl, Engel, bis zu den Engeln des Himmels! Du siehst mich bald unter ihnen. Fliege Du, als der erste, mir droben entgegen an den Schwellen des Paradieses!«

      Er küßte sie stumm. Sie wandte sich von ihm, und er ging oder taumelte ihr einige Schritte nach, Dann wandte auch er sich wieder zurück, um den entfernten Addrich zu suchen. Abermals jedoch rief ihre Stimme und er blieb auf den ersten Laut wie festgebannt. Sie kam und schlang ihren Arm um seinen Nacken, umklammerte ihn fest und sagte: »Soll ich Dich sterben lassen ohne den Abschiedskuß? Gieb mir Deine Augen, daß ich sie mit meinen Lippen zudrücke, ehe denn sie brechen. Und ich will noch einmal meinen tiefsten Seufzer auf diese Deine roten Wangen hauchen, ehe sie im Tode erbleichen. Sollte ich undankbar dieses Mundes vergessen, aus dem der Brudergeist atmete? . . . Armer Fabi, lieber Fabi, weine nicht! Und wenn Dich Dein Himmel vergißt, Epiphania vergißt Dein nicht!«

      Jede Stelle seines Gesichtes wurde küssend von ihr berührt. Dann betrachtete sie ihn noch einmal voll Zärtlichkeit, und nun erst ergoß sich ihr Jammer in einen Strom von Thränen. Lange. lag sie schluchzend an seiner Brust, dann drängte sie ihn mit sanfter Gewalt von sich, wendete sich, ohne ihn anzusehen, von ihm hinweg, und ging, ohne einen Rückblick, in die Gebüsche zum Thalgrunde nieder. Fabian, in gedankenloser Betäubung, wankte nach der entgegengesetzten Richtung.

      39.

       Der Landtag zu Hutwyl.

       Inhaltsverzeichnis

      Addrich stand wartend in der Ferne. Als der Jüngling zu ihm heran kam, erschrak er fast über dessen blasse und verstörte Miene, doch empfing er ihn ohne Anrede und ging schweigend mit ihm durch's Dorf, das heitere Kulmerthal hinauf. Als sie, nach einigen Stunden, jenseits der zerstreuten Hütten von Reinach und Menzikon, die felsige Anhöhe erstiegen hatten, da wo sich im Vordergrunde eine anmutige Landschaft von sanft abfallenden Thälern und umbüschten Hügeln entfaltete und das Riesenbild der Alpenkette im Hintergrunde sich vor ihnen aufthat, hielt Fabian im Laufe an und sagte: »Ich fühle mich in meinen Gebeinen zermalmt und meine Zunge ist wie ein trockener Scherben.«

      Addrich antwortete: »Hinter den Baumwipfeln, drunten vor uns, siehst Du die Türme des Stiftes Beromünster. Dort soll Dich ein gutes Mittagsmal erquicken.«

      »Das ists nicht, was mich erquickt,« erwiderte Fabian und setzte sich auf die Steinbank an der Pforte einer einfachen Bergkapelle, neben der sie standen, nieder. »Warum Beromünster, Addrich? Wollten wir nicht über St. Urban, den Abt zu sehen?«

      »Ich behalte mir das für den Rückweg vor,« versetzte Addrich. »Jetzt will ich horchen, welches Lied hier zu Lande im Luzernergebiet die Vögel pfeifen . . . Bist Du ermüdet, so ruhe aus und folge mir bald. Ich gehe indessen in den Flecken voran und bestelle das Mittagbrot.« Da Fabian nichts erwiderte, ging der Alte den Berg hinab.

      Fabian blieb auf der Bank sitzen. Er überließ sich ohne Rückhalt, bis zur Erschöpfung, dem Ausbruch seines ganzen Jammers, und fand erst in dieser Ruhe Stärke und die alte Entschlossenheit wieder. Doch es glich seine Ruhe der der Wüste, welche der Wanderer mit Verzicht auf sein Leben durchschreitet.

      Der wehende Südwind kühlte und heilte seine brennenden Augenlider. So ging er zum Flecken Münster hinab, dessen bescheidene Gebäude sich vor dem altertümlichen, reichen Stift hinlagerten, wie Knechte vor ihrem Herrn, dem sie zu Frohndiensten verpflichtet sind. Addrich stand auf der sonst menschenleeren Gasse, von einem Haufen zuhörender Bauern umringt, denen er mit heiserer Stimme die Nähe großer Ereignisse verkündete und Mut zu den äußersten Wagstücken predigte, damit die Schweizerfreiheit in allen Gauen zwischen den Alpen und dem Jura siegreich werde. Sobald er aber seines Reisegefährten ansichtig wurde, brach er ab, und führte diesen ins Wirtshaus, zur Mahlzeit. Das dunkle Zimmer füllte sich bald mit Gästen, die anfangs nur schweigend oder flüsternd die beiden Fremden beobachteten, bald aber lauter wurden und durch einzelne über das fette Kollegiatstift ausgestoßene Flüche Addrichs Aufmerksamkeit auf sich zu locken suchten. Fabian beobachtete die Schreier wenig; er stürzte einen Becher Wein nach dem andern hinunter, in der Absicht, sich zu betäuben. Addrich beobachtete ihn um so schärfer, da er nur Wasser trank.

      Auch bei Fortsetzung der Reise kümmerte sich Fabian wenig um das, was geschah, Addrich hingegen war von sechs bis acht rüstigen Männern begleitet, mit denen er sich abwechselnd unterredete. Ihre verschiedenen, seltsamen Trachten