»Nein, Du liebe Seele,« sagte sie, indem sie traulich und sanft mit ihrer linken Hand seine Schulter berührte, und, während sie selbst sich kaum der Zähren erwehrte, mit der rechten ein Tuch an seine nassen Augen drückte, »nein, traure Du nicht. Wir stehen beide in Gottes gutem Schutz. Ihn halten wir, er hält uns fest. Ich bin überreich, wenn Du bei mir bist, Fabi. Bist Du denn nicht auch reich bei mir, Fabi?«
Sie sagte und fragte dies mit so rührender, harmloser Zuversicht, und die ganze Zärtlichkeit ihrer Seele sprach so klar aus Blick und Stimme, daß Fabian sie mit beiden Armen an seine bewegte Brust zog und sagte: »Ich würde, wie Addrich, am Himmel verzweifeln, wenn er Dich verlassen könnte, Faneli.« Er drückte seine Lippen zum herzlichen Bruderkuß auf ihren Mund. Die Lippen blieben unbedacht an ihren Lippen und es durchschauderte ihn etwas, was er nie empfunden hatte.
»O mein Leben!« seufzte er, sie heftiger an sich reißend.
»O Fabi!« lispelte sie. »Wie ist mir! Willst Du mich denn töten?«
»Könnte ich doch, Fani, könnte ich Dich in mich aufnehmen!«
»Sterben wir beide, Fabi! Könnten wir's jetzt, o Du mein Licht, meine Seele, und dann zu Gott, Du und ich.«
Es dauerte lange, bis sich diese Seligen von ihrem Rausch ermannten. Selten erblickte der Schutzengel der Unschuld auf Erden die Liebe auf dem Gipfelpunkte des Zaubers und der Lust so heilig gehalten als hier. Endlich ließen beide von einander; nur ihre Hände blieben in einander verflochten. Mit trunkenem Blick starrte er schweigend in ihre glänzenden Augen.
»Was ist aus Dir geworden, Fabi?« sagte sie mit seelenvollem Lächeln. »So bist Du ja sonst nicht gewesen. Alle Sinne stürmen in mir . . . ich weiß selbst nicht, wie? Oder habe ich nie gewußt, wie lieb Du mir bist, daß ich nun glauben muß, ich habe Dich nie so geliebt, als jetzt? Sage mir nur, ob auch Du mich mehr liebst, als sonst?«
»Wer kann Dich mir nehmen? Wer? Wer?« antwortete er. »Es giebt ja wohl irgend eine Höhle, wo ich Dich vor den Währwölfen verbergen könnte. Ich würde allein umhergehen unter den Menschen, um für Dich im Taglohn zu arbeiten, Holz zu spalten, zu betteln. Gewiß, ich ließe Dich nicht leiden.«
»Fabi, wahrlich, Du bist nicht mehr Fabi,« erwiderte sie. »Stehst Du nicht da wie eine Feuerflamme vor meinen Augen? Von Deinen Händen durchfährt mich ein wunderbarer Schmerz. Nein doch, Schmerz ist es nicht, doch Dein Atem war Glut, und in dieser Glut möchte ich gestorben sein.«
Diese sonderbare, wenig Zusammenhang zeigende Unterhaltung, welche von den Lesern, als Unsinn, mit Recht getadelt werden könnte, wollen wir nicht so weit mitteilen, als es den jungen Leuten gefiel, sie fortzusetzen; wir bemerken nur, daß beide endlich dabei nüchtern wurden, und zuletzt die Sprache vernünftiger Menschen annahmen. Die Nüchternheit wurde noch vollständiger, als Fabian die Frage an seine zärtliche Schwester richtete: »Wie hast Du wissen können, daß ich den Weg ins Moos über die Bampf wählen würde? Oder erwartetest Du mich später?« . . . und Epiphania dann, in sich selbst erschreckend, ihm die Hände entzog und durch ihre Mienen verriet, sie erinnere sich an etwas, was sie beinahe vergessen habe.
Sie ergriff seinen Arm und drängte ihn mit sanfter Gewalt auf dem Fußwege zum Moose fort, indem sie schmeichelnd sagte: »Nun gehe hinab, liebes Kind, gehe zu Addrichs Hütte! Der Alte erwartet Dich. Gehe, ich folge Dir bald nach.«
»Und Du, Fania?«
»Ich bleibe noch. Ich muß. Gehe doch, ich erwarte hier eine Person, die mir wichtige Nachrichten bringen will. Doch muß ich sie ganz allein sprechen. O, wenn Du wüßtest, Fabi! Gehe nur! Ich habe Verschwiegenheit gelobt, heilig und teuer gelobt. Darum erstieg ich den Berg.«
»Hast Du ein Geheimnis vor mir? Nein, Faneli, in Dir sollte kein Dunkel sein, und wäre es von der Größe eines Sonnenstäubchens. Ich lasse mich von Dir durchblicken, wie vom Auge des Allwissenden.«
»Was soll ich Dir sagen, Du Neugieriger? Ich weiß etwas und nichts, und will erst selbst das Geheimnis erfahren. Nun forsche nicht weiter. Ich habe gelobt. einstweilen reinen Mund zu halten. Das ist alles, was ich sagen kann. Ich bitte Dich, gehe hinab, ins Thal.«
»Aber, Mädchen, bist Du auch sicher? Man könnte ja Böses im Schilde führen. Warum auf diesem abgelegenen Berge, wo so selten Menschen verkehren, allein bleiben? Du solltest niemals allein gehen, nie!«
»Allein zu erscheinen, Fabi, das gerade habe ich versprochen. Darum schickte ich die Großmagd zurück, die mich herauf begleitete. Fürchte meinetwegen nichts. Ich habe mit einer mir wohlbekannten, grundehrlichen Person zu thun. Aber,« setzte sie hinzu und legte die Fingerspitzen an seinen Mund, »daß Du Dich nicht unterstehst, drunten aller Welt zu sagen, warum ich auf der Bampf zurückblieb. Ich kenne Dich Plaudermäulchen. Hörst Du? Keine Silbe davon, daß Du mich hier gesehen hast!«
Als der Streit über Gehen und Bleiben eben beginnen wollte, sahen beide zu gleicher Zeit eine Bäuerin über den öden Bergrücken daher wandern, die, aus einem Gehölz gekommen, zuweilen stehen blieb, und zu horchen und mit den Augen zu suchen schien. Jetzt drängte sich Epiphania, schmeichelnder bittend, an Fabian, und trieb ihn, den Berg zu verlassen. »Gelt, Fabi, Du gehorchst? Fort! Ich bin bei Dir und Leonoren, ehe ein Viertelstündchen vergeht, Fort!« sagte sie, gab ihm zum Abschiede mit schalkhaftem Lächeln einen leisen Schlag auf die Wange und eilte aus dem Gebüsch ins Freie auf die Höhe des Berges.
34.
Stummes Schauspiel.
Fabian blickte ihr nach, wie festgebannt auf der heiligen Stätte, wo er für alle vergangenen Schmerzen seines Lebens den süßesten Ersatz gefunden hatte. Er wollte hier die Rückkehr der schönen Schwester erwarten. Seine Augen schwelgten in dem Genusse, sie auch nur aus der Ferne zu sehen, wie sie neben der Bäuerin plaudernd auf der Höhe stand, wo sich der Umriß ihrer edeln Gestalt und die Anmut ihrer Bewegungen gegen den blauen Hintergrund des Himmels so herrlich abzeichnete.
Das Gespräch schien lebhaft geführt zu werden; die Bäuerin besonders drückte in ihren Geberden große Erregung aus. Bald zeigte sie wiederholt auf einen jungen Föhrenhorst, am Abhange des Berges gegen den Hollwyler See hin, von wo sie selbst gekommen war; bald legte sie die flachen Hände beteuernd auf ihre Brust; bald streckte sie, wie etwas Vertrauliches flüsternd, den Kopf näher zum Ohr der Jungfrau. Diese hingegen schien unentschlossen, richtete zuweilen das Gesicht nach den Gesträuchen, in denen Fabian verborgen stand, und senkte das Köpfchen einigemal auf die Brust nieder, als sänne sie über wichtige Dinge nach. Dann that die Bäuerin einige Schritte gegen das Föhrenwäldchen hin, kehrte wieder zu Epiphanien zurück; ging abermals und kam abermals mit auffordernder Bewegung der Hände. Endlich sah die Jungfrau aus dem Moose schnell zurück nach den Gebüschen, in denen sie Fabian verlassen hatte, wandte sich um und nahm, begleitet von der Bäuerin, mit schnellen Schritten die Richtung zu der blaugrünen Gruppe der Föhren.
Der Jüngling schwankte eine Zeit lang, als er sie hinter dem vorstehenden Hügel verschwunden sah, unentschlossen, ob er folgen solle? Das Geschäft des Lauschers schien ihm nicht ehrenvoll; auch fürchtete er, seine junge Freundin durch den Schein vorwitziger Neugierde oder des Mißtrauens zu kränken. Freilich erschien das geheimnisvolle Treiben Epiphanias etwas unfreundlich gegen ihn selbst und Mangel eines unbedingten, schwesterlichen Zutrauens zu sein, welches er ansprechen zu können glaubte. Und doch . . . welches Geheimnis konnte hier zuletzt walten?
Indessen konnte das arglose Mädchen leicht in den Hinterhalt irgend eines Frevlers, der ihr nachstellte, gelockt werden. Was wäre da nicht alles möglich gewesen. Er dachte an den wilden Fremden Renold, er dachte an den zweideutigen Niederländer Don Nardo. Bei diesem Gedanken drängte sich das Blut aus allen Adern nach seinem Herzen. Es brauste um seine Ohren, wie Sturm in den Tannen. Mit pochender Brust verließ er den Platz, entschlossen, Epiphania mit den Augen aus der Ferne zu bewachen, ohne von ihr entdeckt zu werden. Er