Ausgewählte Werke von Heinrich Zschokke. Heinrich Zschokke. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Heinrich Zschokke
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9788027214945
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Ich werde selbst zur Stadt gehen, und hilft Güte nicht, wird's Ernst gelten.«

      »Junker Oberherr, haltet zu Gnaden! Das Sprüchlein sagt: Allzuscharf schneidet nicht. Geht gemach! Schultheiß Dulliker von Luzern sagte auch: Man kommt mit einer Hand voll Gewalt weiter, als mit einem Sack voll Recht. Aber ich dachte, als ich ihn vor sechs Wochen in bleichem Schrecken aus Wollhausen wegreiten sah: wenn man die Weidenrute zu stark dreht, bricht der Knebel.«

      »Warst Du beim Auftritt im Entlebuch, wo die Rebellion ihren Anfang nahm?«

      »Allerdings, Junker Oberherr, ich kam dazu ohne Wissen, ohne Sünde, wie der Blinde zu der schönen Braut. Euch ist besser als mir bekannt, wie gar ungesalzen und ungeschmalzen die Abgeordneten der Entlebucher abgespeist worden sind, da sie wegen der herabgesetzten Batzen mit flehentlicher Vorstellung nach Luzern gekommen waren und gebeten hatten, man solle entweder den Wert des Geldes wieder erhöhen, oder Landeserzeugnisse, wie sie dem Bauer im Felde wachsen, als Bezahlung annehmen. Auch wißt Ihr gar wohl, wie der bittere Bescheid, den die Abgeordneten ins Entlebuch heimbrachten, böses Blut machte, und wie die Leute bei ihrem Verlust in Verzweiflung gerieten. Der Bauer verliert lieber seine rote Nase, als seinen roten Kreuzer. Ihr wißt, wie darauf die hochobrigkeitlichen Schuldenboten mit Schimpf und Schanden, die Hände auf den Rücken gebunden, die Ohren mit Holzklammern, das Maul mit Weidenkörben geklemmt, aus den Dörfern gejagt wurden, wo sie Geld eintreiben wollten. Ihr wisset ferner . . .«

      »Alles, Heini, alles!« unterbrach ihn der Oberherr. »Beschreibe mir nur, was Du mit eigenen Augen sahest.«

      »Ei nun, da ich, bei rauhem Winterwetter mit zwei müden Beinen von Willisau kommend, den stillen Weg hinabschlich in den Thalgrund, worin Wollhausen liegt, war's im Dorfe noch totenstill. In der Herberge allein ging's lebendig Trepp' auf und ab und wurde gesotten und gebraten, denn der Herr Schultheiß von Luzern, der Herr Plebanus, welcher vordem Pfarrer im Entlebuch gewesen, und andere Herren wohnten in derselben Herberge. Ich freute mich auf ein gutes Abendessen: da wurde mir aber bald durch keine kleine Angst die Eßlust vertrieben. Es sammelten sich nach und nach Menschen von allerlei Gestalt vor dem Wirtshause; sie kamen wie herbeigeschneit und führten unter gewaltigem Lärmen ruchlose Reden gegen die hochobrigkeitliche Gesandtschaft. Der Herr Schultheiß, ein freundlicher und sonst wohlbedächtiger Herr, auch recht ehrwürdig im Thun und Lassen, hatte den Mut, vor die Hausthür zu treten, und wollte reden, aber das hieß Holz ins Feuer legen. Wenns hagelt, zieht die Schnecke die Hörner ein. Er machte sich wieder zurück, und man hörte darauf Steine gegen die Thür werfen. Ich wünschte mich weg ins Pfefferland, denn es heißt: mitgefangen, mitgehangen, und es kann in einem Augenblicke so viel reißen, was ein Jahr nicht aufflickt.«

      »Wie nun weiter, Heini? Drang der Pöbel ins Haus?«

      »Nein, ein dichter, kalter Regenschauer drang plötzlich den Bauern durch die braunen Wämmser und löschte glücklich das Feuer, als es schon bei ihnen oben zum Dache hinaus wollte. Sie stoben mit Geschrei aus einander, wie Gänse, wenn der junge Hund mit ihnen spielen möchte. Dann bliebs ruhig.«

      »Und das war alles?«

      »Mit nichten, Junker Oberherr! Nach dem Vorspiel kommt das Nachspiel. Andern Morgens war bei der Herberge eine große weiße Fahne aufgepflanzt. Weiß ist die Farbe der Unschuld, aber der Kaminfeger trägt Sonntags auch wohl ein Hemd, so weiß wie Schnee. Die Leute sammelten sich wieder zu Tausenden; sie strömten aus allen Dörfern zusammen, zwischen den Köpfen konnte kein Apfel zu Boden fallen. Um zehn Uhr wurde die Fahne abgenommen; damit zog alles hinaus ins freie Feld. Ich sang in meinem Herzen te Deum laudamus, hatte aber die Rechnung ohne den Wirt gemacht. Plötzlich ertönte eine Musik wunderbarer Art. Wir laufen an's Fenster, und siehe da, ein langer, unübersehbarer Zug von Menschen kommt daher, alle mit Kolben, Musketen, Spießen und Morgensternen bewaffnet. Voran gingen drei Junggesellen in alter Tracht, welcher die drei Eidgenossen vorstellten. Darauf folgten siebenhundert Bewaffnete, je drei und drei. Dann erschienen drei Fahnen neben einander, und abermals schritten diesen bei tausend bewaffnete Bauern nach, je drei Mann hoch, in bester Ordnung.«

      »Wohin zog das Volk?«

      »Ich vermute, nach einer Kirche, denn nach Verlauf einer Stunde erschienen drei Abgeordnete der Landleute und beriefen die hochobrigkeitliche Gesandtschaft dahin. Da ich dort nicht predigen hören mochte, blieb ich daheim, und vernahm, die Bauern hätten den Herren eine lange Schrift vorgelesen, voller Ach und Weh, über zu schweres Ohmgeld, über den hohen Geldzins, über die Bußgelder der Landvögte, über den Wollhauser Zoll, über Unkosten wegen der Schuldenboten, über den Salzhandel der Obrigkeit und dergleichen mehr.«

      »Nun, ich hoffe, das wird jetzt abgethan sein,« sagte Junker Mey, »denn die Stadt Luzern hat starke Besatzung, die Kantone rüsten, die Rebellen sind erschrocken und unterhandeln von neuem; die Luzerner Regierung ist geneigt, den Landleuten in allen gerechten und billigen Forderungen nachzugeben.«

      »Wahrhaftig, Junker Oberherr! Haben die Bauern Forderungen gethan, die zum Teil billig waren, so wundert's mich fast, warum die Obrigkeit von Luzern nicht anfangs die demütigen Klagen aufnahm und erst billig zu werden anfing, als der Hund die Zähne wies. Man soll nicht warten, bis der Brei beim Kochen überläuft, das Fett läuft mit.«

      »Es ist dort im Anfange allerdings etwas gefehlt worden,« sagte der Junker. »Die Herren von Luzern leugnen es selbst nicht ganz. Sie haben uns damit im Lande böses Spiel gemacht.«

      »Das haben sie. Unsere Bauern sehen's den Entlebuchern ab, und wer durch einen Fluß gewatet ist, hat den anderen den Weg gezeigt.«

      »Die Rebellen haben es in blinder Tollheit leider zu weit getrieben,« sagte der Junker kopfschüttelnd. »Es giebt Zeiten und Umstände, in deren widerwärtigem Zusammengreifen die Ehre des Regenten höher stehen muß, als das heiligste Recht, denn die Ehre des Regenten ist sein Leben und höchstes Recht selbst, dem Alles weichen muß. Luzern darf der Ehre willen nicht mehr, was es vielleicht aus Friedensliebe thun möchte. Es ist vom Unterthan zu schwer beleidigt, fürchte ich.«

      »Junker Oberherr, es heißt, man muß nicht alle Prügel auflesen, die einem nachgeworfen sind. Wer Vorsicht vergaß, muß Nachsicht gebrauchen; die Obrigkeit geht einen festen Schritt und kann doch stolpern.«

      Hier ertönte plötzlich eine starke Mannsstimme: »Wahrhaft und zierlich geredet, mein Herr!«

      4.

       Der Schwede.

       Inhaltsverzeichnis

      Der Spielmann von Aarau fuhr erschrocken zusammen; der Junker wandte sich gelassen, um den unbekannten Redner zu sehen. Wo auf der Berghöhe der Wald am dichtesten geworden, erschien mit großen Schritten hinter ihnen ein Reisender, der Wirris letzte Worte vernommen haben mochte, die seinen Beifall erworben zu haben schienen. Es war ein schöner, blühender Mann von etwa dreißig Jahren, mit schlankem, kräftigen Gliederbau. Die Kriegstracht nach Art der Schweden, der weite, sammetverbrämte Rock mit kurzen Schößen, Kragen und Ärmel mit schwarzer Stickerei verziert; das scharlachrote Leibchen, mit Goldtressen geschmückt, die kurzen, weiten Hosen, auf den Nähten mit seidenen Schnüren besetzt; der Hut mit breitem Rande, von welchem ein niederhängender weißer Federbusch wehte, einfach aufgekrämpt; Knebel und Zwickelbart an Kinn und Oberlippe – Alles das gab ihm ein heidenartiges und doch gefälliges Ansehen. Er trug den Säbel, der am breiten Riemen von der Schulter hing, im Arm und hielt spielend in der Hand einige Schneeglöckchen und blaßgelbe Primeln, die ersten Kinder des Lenzes, welche er unterwegs gefunden oder von einer Schönen zum Geschenk erhalten hatte.

      Als er neben den beiden Spaziergängern stand, verbeugte er sich leicht und sagte: »Günstige Herren! Es ist meines Geschäftes nicht, Euch im Gespräch zu stören, obgleich Euer Wort meinem Ohre wohlthat, und ich vor eitel Lust nicht umhin konnte, Euch meine Bewunderung zu zollen.«

      Der Oberherr und der Meistersänger staunten eine Weile den höflichen Fremdling an, der sie mit schwarzen, blitzenden Augen freundlich betrachtete und bei seinem Lächeln die Reihe von Perlen gleichen Zähnen sehen ließ. »Ihr seid gütig, Herr!« sagte der Oberherr.