ALTE WUNDEN (Black Shuck). Ian Graham. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Ian Graham
Издательство: Bookwire
Серия: Black Shuck
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783958351257
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ihr blasser Teint und gebrochenes Englisch bedeuteten Juan, dass er es hier nicht wie üblich mit anderen Mexikanern oder Südamerikaner zu tun hatte, sondern mit einer Ethnie, die er nicht kannte und noch nie in die Staaten hatte kommen sehen.

      »Gehen wir weiter, Señores. Wir dürfen Ihre Freunde nicht warten lassen.«

      »Warum müssen wir so schnell aufbrechen?«

      Juan war sich nicht sicher, welcher Mann gesprochen hatte, doch der respektlose Unterton der Stimme ließ ihn trotz der gleißenden Sonne schaudern. »Señores, wenn wir unser Ziel erreichen möchten, darf man uns nicht entdecken; wir müssen uns möglichst zügig bewegen.«

      Zähneknirschend rafften sich die Fremden auf. Sie folgten Juan und Ignacio im Gänsemarsch über den demolierten Zaun in die Wüste, die sich dahinter erstreckte. Als sie die Grenze überschritten hatten, schlugen sie einen schnelleren Schritt an. Während er seine Augen mit der Hand vor der Sonne schützte, behielt Juan den Horizont genau im Blick. Was er sah, gab ihm keinen Grund zur Beunruhigung: Nur mit Felsen gespickter Sand, in dem hier und dort Wüstenbeifuß oder Kakteen wuchsen.

      Juan ließ sich zurückfallen und seinen 16-jährigen Sohn vorausgehen. Das Schlusslicht der Gruppe bildete derjenige der Zwölf, der am jüngsten aussah. Er mühte sich, um mit den anderen schrittzuhalten. Wenngleich es sich Juan wohlweislich verkniff, Fragen zu stellen, hätte er gern gewusst, woher die Männer stammten, und dieser eine kam ihm am umgänglichsten vor. Weder sein Gesicht noch die Arme waren vernarbt, allerdings wirkten die Kleider an seinem dürren Körper zu groß. Doch er hatte eine gewisse Ausstrahlung, die den anderen fehlte.

      »Señor, geht es Ihnen gut? Der Fußmarsch ist doch nicht zu anstrengend für Sie, oder?«, fragte Juan.

      Der junge Mann schaute ihn für einen Moment abfällig an, wobei seine Pupillen hin und her schnellten, als suche er etwas. Juan dachte kurz, er habe sich geirrt; vielleicht war der Kerl älter und abgeklärter, als er geglaubt hatte.

      »Mir geht es gut«, antwortete der Mann endlich. »Wie weit ist es noch?«

      »Wir werden die Ranch in etwas weniger als drei Stunden erreichen. Dort, wo Sie herkommen, ist es nicht so warm, richtig?«

      »Nein, im Kaukasus ist es kälter, und die Sonne … so wie hier habe ich sie noch nie gespürt.«

      »Das liegt am Sand, Señor. Er wirft das Licht zurück, sodass es sich noch heißer anfühlt. Wo liegt die Gegend, die Sie erwähnt haben?«

      »Die Republik Itschkerien befindet sich im Süden des Gebietes, das der Westen Russland nennt, wurde aber früher von einem unabhängigen Volk bewohnt – uns – und es wird uns, so Allah will, bald wieder gehören.« Der Mann hob den Zeigefinger seiner rechten Hand, während er das sagte.

      »Das reicht!«, grollte jemand weiter vorn. Die ganze Gruppe hielt inne, und Juan schaute auf. Alle zwölf starrten ihn an.

      »Ihre Aufgabe besteht darin, uns dort abzusetzen, wo wir hinwollen, nicht im Stellen von Fragen«, rief ein großer Mann mit einer langen, senkrechten Narbe an einer Seite seines Gesichts, während er zu Juan stapfte.

      »Verzeihung, Señor, ich wollte nicht unhöflich sein«, entschuldigte sich der Führer und schaute in den Sand. Dabei verschränkte er die Finger, damit seine Hände nicht zitterten, während ihn der Kerl anstierte.

      »Von jetzt an laufen Sie, statt zu quatschen«, fuhr er Juan an, ehe er sich dem Jüngeren zuwandte, mit dem jener gesprochen hatte.

      »Nasıl bu kadar aptal olabilir«, schrie er – »Wie konntest du nur so dumm sein?« – und ohrfeigte seinen Landsmann mit dem Handrücken, sodass dieser fast umgefallen wäre. Dann zog der große Mann den kleineren am Kragen mit sich, stieß ihn vorwärts und kehrte sich wieder Juan zu, um ihn erneut anzustarren. »Kafkasya'da size ölü olacaktı«, bellte er, während er auch ihn vor sich herschob: »Im Kaukasus wärst du tot.« Der Blick des Mannes ruhte ununterbrochen auf Juan, während er ihn zur Spitze der Gruppe drängte.

      »Dann gehen wir doch jetzt weiter, Señores«, schlug Juan mit bebender Stimme vor. Er wusste nicht, was der Kerl gesagt hatte, aber es konnte sich nur um eine Drohung handeln, und diese Männer gehörten einem Schlag an, der imstande war, Taten folgen zu lassen. So drehte er sich um und setzte sich, ein stummes Gebet sprechend, in Bewegung.

      Fast drei Stunden später drückte Juan Ignacios Schulter, als ein urtümlich wirkendes Gebäude in Sicht geriet. »Da«, sprach er und zeigte darauf. Nicht mehr lange, dann war er diese unsäglichen Typen los.

      Das Gehöft vor ihnen bestand aus ein paar rustikalen Bauten, alten Wassertanks und leeren Pferchen. Juan hatte sich nicht getraut, nach dem Schicksal der Rancher zu fragen, deren Land dies gewesen war. Neben den Gebäuden stand ein zerbeulter Kleinbus mit zerkratztem, abblätterndem Lack. Juan und Ignacio behielten die Umgebung genau im Blick, während sie sich näherten. Etwa 50 Yards vor dem Wagen blieben sie stehen.

      »Hier werden wir Sie zurücklassen, Señores. Ihre Freunde warten.«

      Elf liefen wortlos an ihm vorbei, doch der Große mit der Narbe verharrte. Juan hielt die Luft an, solange er angestiert wurde. Zwei weitere Männer kamen aus einem Gebäude und zogen die Schiebetür des Busses auf, als die Gruppe näherkam. Im Nu waren die Männer eingestiegen und wegen der dunkel getönten Fensterscheiben nicht mehr zu sehen.

      »Worauf warten Sie?«, rief einer der beiden neben dem Wagen. Dann redete er in der Sprache des Vernarbten weiter, und obwohl Juan nicht verstand, was gesagt wurde, war die Bedeutung offensichtlich: »Wir müssen hier weg!«

      Der große Mann starrte weiter, ohne einen Ton von sich zu geben. Juan bekreuzigte sich, da schnaubte er wieder: »Im Kaukasus wärst du tot!« Beim Fortgehen spuckte er auf den Boden, nicht ohne sich kurz umzudrehen und in den Boden zu treten, sodass Erde auf Vater und Sohn spritzte.

      Juan beobachtete aufmerksam, wie der Mann den Wagen erreichte, wo er sich mit dem Fahrer und dem Beifahrer gegenseitig auf die Schultern klopfte, bevor sie ebenfalls einstiegen. Wenige Augenblicke später fuhren sie los, wobei die Hinterräder Sand und Staub aufwirbelten. Während der Bus sich in Richtung Norden entfernte und immer kleiner wurde, kehrte sich Juan seinem Sohn zu, der bleich geworden war.

      Er schlug noch ein Kreuz und sagte auf Spanisch, seiner Muttersprache: »Lass uns für die Seelen der Amerikaner beten, die zu töten diese Männer gekommen sind.«

      »Ja«, entgegnete Ignacio. »Und bitten wir auch Gott um Vergebung, weil wir ihnen den Weg gewiesen haben.«

      Prolog II

      Vor 14 Tagen, Gefängnisinsel Ognenny Ostrov – 650 Meilen nördlich von Moskau, Novosero-See – Oblast Wologda, Russland

      Vizedirektor Antonin Turow wartete ungeduldig, während das kleine Motorboot strandete, wobei sich sein kleiner Außenborder im seichten Wasser in Ufernähe aufrichtete. Die beiden Unteroffiziere des Staatsgefängnisses, die mit ihm an Bord waren, stießen kräftig mit Holzrudern auf das Seebett aus Kies und bemühten sich nach Kräften darum, dass ihr Vorgesetzter beim Aussteigen keine nassen Füße bekam. Als das Boot auf Grund lief, kletterte Turow über die Bordwand, ohne ein Wort zu sagen, und ließ die beiden Unteroffiziere hinter sich, indem er auf einem Schotterweg zur Kuppe der Böschung lief. Er holte schnaufend Luft, die in der Kälte als sichtbarer Dampf entwich, während ein wenig Schnee fiel und den Scheitel seiner Pelzmütze bestäubte.

      Vor einem zwölf Fuß hohen Tor, das oberhalb mit Stacheldrahtspiralen gesichert wurde, blieb er stehen und schaute auf die Stahlflügel, hinter denen sich die Bauten der Anlage verbargen. Zu beiden Seiten des Eingangs war je ein uniformierter Wachmann mit Kalaschnikow postiert, die er sich einsatzbereit vor die Brust hielt.

      Die Feuerinsel, dachte Turow mit belustigtem Lächeln, während er darauf wartete, dass die Wächter näherkamen. Der Name ging auf irgendeinen religiösen Fanatiker zurück, der vor 500 Jahren gesehen haben wollte, dass die Insel von einer Feuersäule verwüstet wurde, woraufhin sich wie üblich, wenn jemand behauptete, ein mutmaßliches Zeichen Gottes empfangen