An der weißen Grenze. Джек Лондон. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Джек Лондон
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788026884385
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wir uns also einig, Kapitän, daß wir den Ernst der Situation energisch übertreiben wollen! Sie ist ernst genug; wir zwei wollen verhindern, daß alles noch schlimmer wird. Sie und ich, wir sind beide schon mit Hungersnöten fertig geworden; man muß der Gefahr nur rechtzeitig ins Auge sehen. Die Leute sollen Angst kriegen, jetzt schon, nicht erst, wenn es zu spät ist. Sorgen Sie dafür, daß fünftausend Mann Dawson verlassen, lassen Sie diese Fünftausend weit und breit von der drohenden Hungersnot erzählen, damit verhindern wir andere Fünftausend, über das Eis zu uns herüberzukommen.«

      »Sie können mit der Hilfe der Polizei rechnen, Herr Welse.«

      Der Kapitän war ein untersetzter Mann mit ergrauenden Haaren und militärischer Haltung.

      »Sie haben es ja schon so weit gebracht, daß die Chechaquos ihre Ausrüstung verkaufen und sich nach Hunden umsehen. Sobald das Eis trägt, haben wir eine richtige Auswanderung! Wer jetzt seinen Proviant verkauft und fortzieht, macht uns das Leben um einen leeren Magen leichter und füttert zugleich einen Mann, der hierbleibt. Wann geht die ›Laura‹ ab?«

      »Heut morgen mit dreihundert Mann an Bord! Ich wollte, es wären dreitausend!«

      »Gott erhöre Ihr Gebet! Im übrigen, wann kommt Ihre Tochter an?«

      Bei diesem Thema wurden Jacob Welses Augen warm.

      »Sie kann jede Stunde eintreffen. Wenn sie erst da ist, müssen Sie oft zum Essen zu uns kommen und ein paar nette Jungens aus den Baracken mitbringen. Ich kenne nicht all die Namen, aber sagen Sie jedem, den Sie einführen wollen, daß die Einladung von mir persönlich komme. Ich hatte ja nie viel Zeit für Gesellschaft, aber sorgen Sie ein bißchen dafür, daß das Mädel sich amüsiert. Sie kommt geradeswegs aus den Staaten und aus London und soll sich hier nicht ganz vereinsamt fühlen.«

      Die Tür ging auf.

      »Herr Foster läßt fragen, ob er weiter Lieferscheine ausfüllen soll?«

      »Jawohl, Herr Smith. Aber er soll alles auf die Hälfte herabsetzen. Wer einen Schein auf tausend Pfund hat, bekommt nur für fünfhundert Ware.«

      »Jawohl, Herr Welse.«

      Dann kam ein anderer Angestellter.

      »Kapitän McGregor möchte mit Ihnen sprechen.«

      »Herein mit ihm!«

      Man sah es dem Schiffskapitän an, daß er von Kind an die rauhe Hand der neuen Welt gespürt hatte. Sie hatte ihn hart geknetet, aber sein grimmiges Gesicht sprach von unbestechlicher Ehrlichkeit, und zugleich sah man ihm an, daß mit ihm nicht gut Kirschen essen war. Sein breit vorstehendes Boxerkinn, die gebrochene schiefe Nase und eine große Narbe, die quer über seine Stirn lief, bewiesen, wie oft er seinen Mann gestanden hatte.

      »In einer Stunde werfen wir los, Herr Welse. Bitte Ihre letzten Orders.«

      »Schön, Kapitän. Ich habe diesen Winter eine andere Verwendung für Sie im Auge, aber leider müssen Sie jetzt doch mit der ›Laura‹ fahren. Können Sie raten, warum?«

      »Es wird Krach geben«, sagte Kapitän McGregor, und um die Runzeln seiner Schläfen spielte so etwas wie Lächeln.

      »Jedenfalls eine Aufgabe, für die es keinen besseren Mann gibt als Sie. Bally wird Ihnen noch genaue Instruktionen geben. Aber soviel kann ich Ihnen gleich sagen: wir müssen den Leuten solche Angst machen, daß sie aus dem Lande verschwinden, sonst wird in Fort Yukon bald jedes Pfund Proviant mit Gold aufgewogen. Verstanden?«

      »Jawohl!«

      »Also keine Verschwendung dulden. Zunächst nehmen Sie dreihundert Mann mit flußabwärts, wahrscheinlich kommen doppelt so viele nach, sobald das Eis trägt. Sie werden den Winter über tausend Mäuler durchzufüttern haben. Setzen Sie alle auf Rationen und sorgen Sie dafür, daß gearbeitet wird. Brennholz sechs Dollar den Klafter. Lassen Sie es am Ufer aufstapeln, wo der Dampfer anlegen kann. Wer nicht arbeitet, bekommt nichts zu essen. Verstanden?«

      »Jawohl!«

      »Tausend Mann können unangenehm werden, wenn sie müßig gehen. Können sogar sehr unangenehm werden. Passen Sie auf, daß sie die Depots nicht stürmen. Geschieht etwas dergleichen, dann kennen Sie Ihre Pflicht.«

      Der Kapitän nickte grimmig.

      »Fünf Dampfer stecken im Eis. Sie haben dafür zu sorgen, daß sie in Ordnung sind, wenn im Frühling das Eis aufbricht. Aber zuerst schaffen Sie alle Ladungen in ein großes Depot. Das können Sie leichter verteidigen. Machen Sie das Depot wasserdicht. Suchen Sie sich die rechten Leute heraus, die mit einem Gewehr umgehen können. Vergessen Sie nicht: wenn es hart auf hart geht, hat der gewonnen, der zuerst schießt.«

      Als der Kapitän wegtrat, wurde Herr John Melton gemeldet, aber er folgte dem Kontoristen auf den Fersen, um nicht abgewiesen zu werden. Er schnaufte wie ein zorniges Nashorn und hielt dem Chef der Kompanie ein Papier vor die Nase.

      »Lesen Sie das! Was soll das bedeuten, zum Henker?«

      Jacob Welse warf einen Blick auf das Papier.

      »Tausend Pfund Proviant.«

      »Na also! Sagt mir der Kerl im Speicher, es gilt nur für fünfhundert!«

      »Das stimmt.«

      »Aber …«

      »Es lautet auf tausend Pfund, aber wir können nur fünfhundert darauf liefern.«

      »Ist das Ihre Unterschrift hier? Ist das, schwarz auf weiß, Ihr Name?«

      »Ja.«

      »Also, was werden Sie tun?«

      »Ihnen fünfhundert geben. Und was werden Sie tun?«

      »Die Annahme verweigern.«

      »Gut. Dann brauchen wir nicht weiter zu reden.«

      »Doch! Dann will ich Ihnen noch sagen, daß wir beide geschiedene Leute sind. Ich bin reich genug, um mein Gepäck selbst über die Pässe zu verfrachten, und das werde ich nächstes Jahr tun. Schluß mit Ihnen.«

      »Dagegen kann ich nichts machen. Sie haben dreihunderttausend Dollar in Goldstaub bei mir stehen. Gehen Sie an die Kasse, und lassen Sie sie sich auszahlen.«

      Melton ging in ohnmächtiger Wut auf und ab.

      »Herrgott, Mann! Ich hab' doch für das Ganze bezahlt. Wollen Sie mich etwa verhungern lassen?«

      »Hören Sie zu, Melton.« Jacob Welse machte eine Pause. Dann fragte er langsam: »Worum handelt es sich in diesem Augenblick? Was verlangen Sie?«

      »Meine tausend Pfund Proviant!«

      »Für Ihren eigenen Magen?«

      Der Minenkönig nickte.

      »Sehen Sie, Melton, Sie arbeiten für Ihren eigenen Magen und verlieren die Nerven wie ein Chechaquo. Ich arbeite für zwanzigtausend Mägen!«

      »Aber Timm Reddy haben Sie noch gestern ohne Zögern für tausend Pfund gegeben!«

      »Die Rationierung ist erst heute in Kraft getreten.«

      »Aber warum soll gerade ich darunter leiden?«

      »Weil Sie erst heute gekommen sind und Timm Reddy gestern.«

      Jacob Welse sah in Meltons verständnisloses Gesicht und zuckte die Achseln.

      »Es wird keiner vorgezogen. Ob Sie eine lumpige Aktie von den Bonanza-Minen oder ein dickes Paket Aktien haben, das gibt Ihnen kein Anrecht auf ein einziges Pfund mehr Futter, als der älteste, ärmste Arbeiter oder der kleinste Säugling bekommt. Hungern werden Sie nicht, solange ich die Zügel führe. Das verspreche ich Ihnen. Mehr verspreche ich Ihnen aber nicht. So, alter Freund, und jetzt geben Sie mir die Hand, und damit Schluß.«

      Nach dem Bonanza-König kam ein schlottriger Yankee hereingeschlurft, angelte mit dem in einem Mokassin steckenden Fuß einen Stuhl heran und setzte sich vertraulich nieder.

      »Hallo, Dave, sind Sie es?«

      »Natürlich bin ich's, Welse. Hören Sie, die Geschichte mit dem Proviant hat den Leuten einen Schrecken eingejagt, der ist nicht von schlechten Eltern. Es wird eine tüchtige