Am 13. nachmittags besuchte ich den Naybe in seinem Haus. Er empfing mich höflicher als gewöhnlich, oder besser gesagt, nicht so grob und ungesittet, denn bis jetzt hatte ich noch nie auch nur einen Anflug von Höflichkeit in seinem Benehmen bemerkt. Es war ihm soeben die Nachricht gebracht worden, dass einer von seinen Leuten, der für ihn Geld eintreiben sollte, mit ebendiesem Geld davongelaufen sei. Weil ich ihn beschäftigt sah, empfahl ich mich wieder und fragte lediglich, ob er mir Aufträge für Abessinien zu geben habe, worauf er antwortete. »Wir haben noch Zeit genug, darüber zu reden; kommt nur morgen wieder her.«
Am nächsten Tag in der Frühe stellte ich mich seinem Befehl gemäß wieder ein, nachdem ich vorher mein Gepäck fertiggemacht hatte. Er empfing mich wie am Tag zuvor und sagte mir mit ernsthafter Miene, dass er entschlossen sei, meine Reise mit allen Kräften zu fördern, allerdings unter der Bedingung, dass ich ihm die Achtung erweise, die ihm alle Reisenden schuldig seien. Er ersehe aus meinem Zelt, dem Gepäck und den Waffen, dass ich kein Mann von niedrigem Stand sei, was auch der Firman des Großherrn und die übrigen Briefe bezeugten. Es würde folglich eine große Beleidigung für ihn sein, wenn ich ihm weniger als tausend Patakas15 anböte. Er wolle sich aber in Anbetracht des Statthalters von Tigre, zu dem ich reiste, mit dreihundert begnügen, doch solle ich ihm schwören, dies nicht bekannt zu machen, da er sich vor der Schande fürchte, die es ihm einbringen würde.
Hierauf antwortete ich in demselben ernsthaften Ton, dass er nicht unrecht hätte, sich für dreihundert Patakas zu schämen, wo ihm doch tausend mehr Ehre und Vorteil brächten. Er brauchte also nichts weiter zu tun, als diese Summe in seine Abrechnung mit dem Statthalter von Tigre aufzunehmen, um dadurch Ehre und Interesse miteinander zu verbinden. Wolle er mich die Reise aber nicht fortsetzen lassen, sei ich bereit umzukehren, in diesem Fall aber erwartete ich zehntausend Patakas von Metical Aga für meine bisherige Mühe, Aufregung und den Zeitverlust, welche ihm dieser wohl aufrechnen würde. Der Naybe antwortete mit keiner Silbe, murmelte aber zwischen den Zähnen: »Sheitan afrit!« (»Der Teufel!« oder »Der Plagegeist!«) »Seht nur«, fing darauf einer von den Dienern des Königs an, von dem ich zuvor kein Wort gehört hatte, »ich habe Befehl, diesen Mann zu meinem Herrn zu bringen. Von Patakas habe ich nichts gehört. Die Armee ist im Begriff, gegen Waragna Fasil16 aufzubrechen, ich darf also keine Zeit verlieren.« Darauf nahm er seinen kurzen roten Mantel unter den Arm, schüttelte den Staub davon ab, hängte ihn über die Schulter und streckte dem Naybe die Hand mit den Worten hin: »In einer Stunde bin ich auf dem Weg nach Abessinien, mein Gefährte wird hier bei diesem Mann bleiben. Gebt mir, was Ihr mir für die Herreise schuldig seid, und ich will alle Botschaften, die ein jeder von Euch mir aufträgt, bestellen.« Der Naybe sah sehr verlegen aus. »Überdies«, setzte ich hinzu, »seid Ihr mir dreihundert Patakas schuldig, weil ich Eurem Neffen das Leben gerettet habe. Ist sein Leben nicht dreihundert Patakas wert?« Der Naybe befahl darauf dem Diener des Königs, nicht an diesem Tag abzureisen, sondern am folgenden Morgen zu ihm zu kommen, um seine Briefe mitzunehmen. Dann wollte er uns weiter nach Abessinien schicken.
Als die Freunde, die ich mir in Massaua und Arkeeko gemacht hatte, sahen, wie eigensinnig sich der Naybe unserer Abreise widersetzte, rieten sie mir, weil sie sein grausames Naturell kannten, alle Gedanken auf Abessinien fahren zu lassen. Die Schwierigkeiten bei der Reise durch Samhar, unter den vielen Stämmen, über die er befehlen konnte, würden täglich größer werden, und wir würden, sei es durch Zufall oder im Auftrag des Naybe, sicher unser Leben verlieren. Ich war davon überzeugt, dass Schwierigkeiten auf mich warteten, wenn auch nicht so große, wie ich sie hier mit dem Naybe hatte. Mein Entschluss zur Fortsetzung der Reise war gefasst, und nichts konnte mich zurückhalten. Der Vorrat von Einwendungen des Naybe schien erschöpft, und morgen würden wir uns im freien Feld befinden, befreit von aller Tyrannei und allem Zwang. In dieser Mutmaßung bestärkte mich der Eindruck, den der Diener des Königs von Abessinien auf den Naybe gemacht hatte.
Am 15. frühmorgens brach ich mein Zelt abermals ab und bereitete mein Gepäck für den Marsch vor, um zu zeigen, dass wir entschlossen waren, nicht länger zu warten. Um 8 Uhr ging ich zum Naybe, traf ihn fast allein an, und er empfing mich auf eine Art, die man beinahe höflich nennen konnte. Mit ziemlicher Beredsamkeit und einem Schwall von Worten begann er von den Schwierigkeiten unserer Reise zu erzählen, von den Flüssen, Abgründen, Bergen und Wäldern, die wir durchqueren müssten, von den wilden Tieren, die man überall anträfe, und von den unzivilisierten Völkern, die diese Gegenden bewohnten. Die meisten davon seien ihm zum Glück untergeben und er wolle ihnen schon befehlen, uns kein Leid zuzufügen. Er trug zweien seiner Schreiber auf, die dazu erforderlichen Briefe anzufertigen, und ließ Kaffee bringen. Er sprach vom abessinischen König und von Ras Michael und von ihrem Feldzug gegen Fasil, dessen glücklicher Ausgang unwahrscheinlich schien.
Plötzlich trat ein Diener ein, der voll Staub und allem Anschein nach sehr müde war, als ob er in Eile von sehr weit hergekommen wäre. Der Naybe erbrach in großer Verlegenheit und Verwirrung die Briefe, die der Mann brachte. Sie enthielten angeblich die Nachricht, dass sich die Stämme der Hazorta, Shiho und Tora, welche den Teil von Samhar bewohnen, durch welchen unser Weg führen sollte und durch den die Heerstraße von Massaua nach Tigre geht, rebelliert und sich für unabhängig erklärt hätten. Der Naybe befahl darauf den Schreibern, als ob alles verloren wäre, mit den Briefen aufzuhören. Er richtete die Augen gen Himmel und fing mit andächtiger Miene an Gott zu danken, dass wir nicht schon unterwegs wären, weil man es ihm bei aller seiner Unschuld zur Last gelegt hätte, wenn man uns ermordet hätte. So böse ich auch über ein so unverschämtes Possenreißen war, konnte ich mich doch nicht zurückhalten und brach in lautes Gelächter aus. Mit der ernsthaftesten Miene verlangte der Naybe zu wissen, was mich unter solchen Umständen so fröhlich stimmte. »Seit zwei Monaten«, entgegnete ich, »legt Ihr mir allerlei Hindernisse in den Weg und wundert Euch noch, dass ich mich durch einen so plumpen Betrug nicht blenden lasse? Heute früh, bevor ich mein Zelt abbrach, sprach ich in Gegenwart Eures Neffen Achmet mit zwei Männern der Shiho, die eben aus Samhar gekommen waren und Briefe an ihn brachten. Sie sagten, dass alles ruhig sei. Habt Ihr spätere Nachrichten als von diesem Morgen?« Er schwieg eine Zeit lang und sagte dann: »Wenn Ihr Eures Lebens überdrüssig seid, könnt Ihr reisen. Ich will aber meine Schuldigkeit tun und alle, die mit Euch gehen, vor der Gefahr warnen, damit man, wenn ein Unglück geschieht, nicht mir die Schuld geben kann.« – »Wir können«, erwiderte ich, »gar keine so große Anzahl nackter Shiho auf unserem Weg antreffen, die uns anzugreifen wagen, wenn sie nicht durch Euch Nachricht bekommen. Die Shiho haben keine Feuergewehre. Wenn Ihr aber einige von Euren Soldaten mit Gewehren hingeschickt habt, wird man dadurch entdecken, auf wessen Anstiften hin sie kommen. Was uns betrifft, können wir nicht entfliehen. Wir kennen weder das Land noch die Sprache oder die Wasserplätze, wir werden es folglich nicht versuchen. Wir sind im Überfluss mit allen Arten von Feuerwaffen versehen, und Eure Diener in Massaua haben oft genug gesehen, dass wir damit umzugehen wissen. Unser Leben können wir allerdings verlieren, doch werden wir genug Leute auf dem Schlachtfeld hinstrecken, sodass der König und Ras Michael daraus schließen können, wer unsere Mörder waren. Das Übrige wird Janni aus Adowa schon erklären.«
Ich stand plötzlich auf, um fortzugehen. Man kann einem, der diese Nationen nicht durch persönlichen Umgang kennt, unmöglich einen Begriff davon geben, was für vollkommene Meister der Verstellungskunst auch die Plumpesten und Dümmsten unter ihnen sind. Alle Züge des Naybe veränderten sich in einem Augenblick. Nun war die Reihe an ihm, in ein lautes Gelächter auszubrechen, worüber ich ebenso erstaunt war wie er vorher über das meinige. Jede Miene seines verräterischen Gesichts verwandelte sich in ein gefälligeres Wesen und er nahm zum ersten Mal die Haltung eines Mannes an. »Was ich von den Shiho sagte«, hob er an, »geschah nur, um Euch auf die Probe zu stellen. Alles ist ruhig. Es war mir nur daran gelegen, Euch hier zu behalten, um meinen Neffen wieder gesund zu machen. Da Ihr aber zur Abreise fest entschlossen seid, fürchtet Euch nicht, die Straßen sind völlig sicher. Ich will Euch auch einen Führer mitgeben, der Euch sicher geleiten soll, selbst wenn Gefahr vorhanden wäre. Geht nur und bereitet die Arzneien, die Achmet braucht, ich will inzwischen meine Briefe beenden.« Ich willigte