Inhalt
Schöne Perlen – feuchte Tränen
Wenn alles über dir zusammenbricht
Wie durch eine dichte Nebelwand vernahm Bettina Lenis Stimme.
»Bettina, warum gehst du nicht ans Telefon? Thomas versucht verzweifelt, dich zu erreichen.«
Sie reichte ihr den Hörer.
»Er hat bei uns angerufen. Du kannst mir ja mein Telefon gleich wieder zurückbringen.«
Bettina wollte eine abwehrende Handbewegung machen, das Telefon nicht annehmen. Doch das würde Leni irritieren.
Sie hätte nicht verstanden, warum Bettina nicht mit Thomas, ihrer großen Liebe, sprechen wollte.
»Danke«, sagte sie deshalb nur.
Leni verließ den Raum, und Bettina preßte den Hörer an ihr Ohr.
Sie war sich nicht sicher, ob sie jetzt mit Thomas reden wollte. Zu tief saß die Enttäuschung noch in ihr, daß er sich nicht gefreut hatte, als sie ihm einen Besuch in Amerika ankündigte, sondern versucht hatte, es ihr auszureden.
Es war die erste Unstimmigkeit zwischen ihnen, seit sie sich wiedergefunden hatten, und es schmerzte sie ungemein.
»Tini, Liebes, bist du schon am Apparat?«
Sie zögerte, nickte, wobei ihr sofort bewußt wurde, daß er das ja nicht sehen konnte.
»Ja«, sagte sie schließlich.
Sein Aufatmen war nicht zu überhören. »Gott sei Dank. Warum hast du denn aufgelegt? Ich sehne mich doch auch nach dir, ich kann es kaum aushalten ohne dich. Aber im Moment wäre ein Besuch wirklich nicht das Richtige – ich habe noch etwas sehr, sehr Wichtiges zu erledigen, was sich leider immer wieder verzögert. Aber wenn ich das hinter mir habe, gibt es kein Halten mehr für mich. Dann komme ich. Tini, du darfst nicht zweifeln. Du bist die große Liebe meines Lebens, und ich danke Gott jeden Tag, daß er uns wieder zusammengebracht hat.«
»Ich wäre doch nur für ein paar Tage gekommen, sogar ein Wochenende hätte mir gereicht.«
»Liebes«, seine Stimme klang sanft und gab ihr das Gefühl, er rede nicht mit einer erwachsenen Person, sondern einem Kind, das beruhigt werden mußte.
»Thomas, gibt es etwas, was du mir verschweigst?«
Sein Zögern dauerte ihr ein wenig zu lange.
»Tini…, ich bitte dich, wie kommst du denn darauf?«
»Nun, vielleicht sehe ich es falsch, aber normalerweise nutzen Liebende jeden Augenblick, um zusammen sein zu können, und sie nehmen dafür alle Mühen in Kauf. Und du willst mich nicht einmal für ein Wochenende bei dir haben.«
Aber das will ich doch, und wenn ich dich bitte, es vorerst nicht zu tun, dann denke ich dabei an dich, weil ich mich dir kaum widmen könnte…«, er zögerte einen Moment, »aber wenn du es unbedingt möchtest…«
Sie unterbrach ihn. »Nein, ist schon in Ordnung. Ich werde nicht kommen, sondern brav hier auf meinem Hof auf dich warten, genauso, wie du es haben möchtest.«
»Tini, bitte rede nicht so. Solche Töne kenne ich überhaupt nicht an dir.«
»Tom, du kennst vieles nicht, doch du gibst mir ja nicht einmal die kleinste Chance, mich dir so zu präsentieren, wie ich wirklich bin, wie ich lebe, was ich empfinde…«
»Aber, Liebes, was du empfindest, das weiß ich doch – du liebst mich, genau wie ich dich liebe.«
»Tom, wir müssen auch einmal anfangen, über mehr zu reden, als nur über unsere Gefühle und wie schön es in der Vergangenheit war. Wir leben in der Gegenwart und wissen überhaupt nichts voneinander. Ich war kürzlich im Kino, und da wurde mir bewußt, daß ich nicht einmal weiß, welchen Geschmack du in dieser Hinsicht hast. Nicht so etwas Banales ist mir von dir bekannt. Das ist unbefriedigend.«
»Aber mein Herz, wir haben noch soviel Zeit, über all diese Alltäglichkeiten zu reden. Ich genieße es sehr, im Moment den Alltag auszuklammern und mich nur diesem wunderbaren Gefühl hinzugeben, das uns miteinander verbindet, das uns einhüllt wie ein warmes Tuch. Was übrigens meinen Kinogeschmack angeht, so habe ich keinen. Es gibt nichts Spezielles, was ich bevorzuge. Aber ich kann mich noch sehr gut an die Kinobesuche mit dir erinnern, als wir Händchen hielten und uns küßten, und wo es uns egal war, was sich auf der Leinwand abspielte.«
»Tom, da waren wir jung und ungestüm, jetzt wäre ein solches Verhalten wohl nicht mehr passend.«
»Vielleicht nicht, aber es war doch trotzdem wunderbar und ist einer Erinnerung wert.«
»Ich hätte gern Erinnerungen, die nicht so weit zurückliegen, und eigentlich ist mir eine Gegenwart, ein gelebtes Leben, noch viel lieber. Ich vermisse dich, und ich möchte meinen Alltag mit allem, was dazugehört, mit dir teilen. Manchmal bin ich so neidisch, wenn ich Linde und Martin sehe, deren Liebe, seit sie verheiratet sind, noch viel stärker geworden ist.«
»Tini, wir werden auch einen gemeinsamen Alltag haben, schneller, als du denkst. Und ich wette mit dir, daß du dann an all die glücklichen Momente zurückdenken wirst, die einmal waren, und daß du dir diese so manches Mal herbeiwünschen wirst.«
»Das glaube ich nicht, Tom. Nichts kann schöner sein als eine beglückende Gegenwart mit gemeinsamem Zubettgehen, mit gemeinsamem Aufwachen, mit Gesprächen, mit Lachen, Teilen der Sorgen…«
»Tini, du bist eine Romantikerin. Es gibt keine nur beglückende Gegenwart, genauso wie es nicht nur gut oder böse gibt. Doch ich bin bereit, mich allen Widrigkeiten zu stellen, solange ich es nur an deiner Seite tun kann, du Traum meines Lebens. Doch jetzt muß ich unser Gespräch beenden, weil ich mich sputen muß, rechtzeitig zu einem Termin zu kommen. Ich rufe dich heute Abend an, da können wir ausführlich reden. Bis dahin habe ich dich in meinen Gedanken, in meinem Herzen ohnehin. Habe einen schönen Tag, und vergiß all deine trüben Gedanken. Ich liebe dich. Bis heute abend dann.«
Er schien wirklich in Eile zu sein, denn er wartete ihre Antwort überhaupt nicht ab, sondern hatte aufgelegt.
Schade.
Sie hätte ihm auch gern gesagt, daß sie ihn liebte.
Nachdenklich drückte sie auf die ›Aus-Taste‹ von Lenis Telefon, das sie ihr gleich rüberbringen mußte.
War sie zufrieden mit dem Verlauf des Gesprächs?
Nicht unbedingt!
Und es war das erste Mal, daß sie nicht auf der Woge der Glückseligkeit