Es war einmal ein Fräulein, das fiel bei den besseren Herren nirgends besonders auf, denn es verdiente monatlich nur hundertzehn Mark und hatte nur eine Durchschnittsfigur und ein Durchschnittsgesicht, nicht unangenehm, aber auch nicht hübsch, nur nett. Sie arbeitete im Kontor einer Kraftwagenvermietung, doch konnte sie sich höchstens ein Fahrrad auf Abzahlung leisten. Hingegen durfte sie ab und zu auf einem Motorrad hinten mitfahren, aber dafür erwartete man auch meistens was von ihr. Sie war auch trotz allem sehr gutmütig und verschloß sich den Herren nicht. Sie ließ aber immer nur einen drüber, das hatte ihr das Leben bereits beigebracht. Oft liebte sie zwar gerade diesen einen nicht, aber es ruhte sie aus, wenn sie neben einem Herren sitzen konnte, im Schellingsalon oder anderswo. Sie wollte sich nicht sehnen, und wenn sie dies trotzdem tat, wurde ihr alles fad. Sie sprach sehr selten, sie hörte immer nur zu, was die Herren untereinander sprachen. Dann machte sie sich heimlich lustig, denn die Herren hatten ja auch nichts zu sagen. Mit ihr sprachen die Herren nur wenig, meistens nur dann, wenn sie gerade mal mußten. Oft wurde sie dann in den Anfangssätzen boshaft und tückisch, aber bald ließ sie sich wieder gehen. Es war ihr fast alles in ihrem Leben einerlei, denn das mußte es ja sein, sonst hätte sie's nicht ausgehalten. Nur wenn sie unpäßlich war, dachte sie intensiver an sich.
Einmal ging sie mit einem Herrn beinahe über ein Jahr, der hieß Fritz. Ende Oktober sagte sie: »Wenn ich ein Kind bekommen tät, das wär das größte Unglück.« Dann erschrak sie über ihre Worte. »Warum weinst du?« fragte Fritz. »Ich hab es nicht gern, wenn du weinst! Heuer fällt Allerheiligen auf einen Samstag, das gibt einen Doppelfeiertag, und wir machen eine Bergtour.« Und er setzte ihr auseinander, daß bekanntlich die Erschütterungen beim Abwärts steigen sehr gut dafür wären, daß sie kein Kind kriegt.
Sie stieg dann mit Fritz auf die westliche Wasserkarspitze, zweitausendsiebenunddreißig Meter hoch über dem fernen Meer. Als sie auf dem Gipfel standen, war es schon ganz Nacht, aber droben hingen die Sterne. Unten im Tal lag der Nebel und stieß langsam zu ihnen empor. Es war sehr still auf der Welt, und Anna sagte: »Der Nebel schaut aus, als würden da drinnen die ungeborenen Seelen herumfliegen.« Aber Fritz ging auf diese Tonart nicht ein.
Seit dieser Bergtour hatte sie oft eine kränkliche Farbe. Sie wurde auch nie wieder ganz gesund, und ab und zu tat ihr's im Unterleib schon ganz verrückt weh. Aber sie trug das keinem Herrn nach, sie war eben eine starke Natur. Es gibt so Leut, die man nicht umbringen kann. Wenn sie nicht gestorben ist, so lebt sie heute noch. –
Mitte September saß sie also neben Kobler im Schellingsalon und bestellte sich lediglich ein kleines dunkles Bier. Ihr Abendbrot, zwei Buttersemmeln, hatte sie bereits in der Kraftwagenvermietung zu sich genommen, denn sie hatte dort an diesem Tag ausnahmsweise bis abends neun Uhr zu tun. Sie mußte dies durchschnittlich viermal wöchentlich ausnahmsweise tun. Für diese Überstunden bekam sie natürlich nichts bezahlt, denn sie hatte ja das Recht, jeden Ersten zu kündigen, wenn sie arbeitslos werden wollte.
»Gib mir was von deinem Kartoffelsalat«, sagte sie plötzlich, denn plötzlich mußte sie noch etwas verzehren. »Bitte«, meinte Kobler, und es war ihm unvermittelt, als müßte er sich eigentlich schämen, daß er nach Barcelona fährt.
»Es wird sehr anstrengend werden«, sagte er.
»Dann wird es also heut nacht nichts«, sagte sie.
»Nein«, sagte er.
Конец ознакомительного фрагмента.
Текст предоставлен ООО «ЛитРес».
Прочитайте эту книгу целиком, купив полную легальную версию на ЛитРес.
Безопасно оплатить книгу можно банковской картой Visa, MasterCard, Maestro, со счета мобильного телефона, с платежного терминала, в салоне МТС или Связной, через PayPal, WebMoney, Яндекс.Деньги, QIWI Кошелек, бонусными картами или другим удобным Вам способом.