Die Verzauberten. Roland Betsch. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Roland Betsch
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788027224388
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habe ich diesen verluderten Saufbold gespielt, dieses gefüllte Faß, diesen randalierenden Weinschlauch, diesen – –«

      »Schlafen, Hurrle, schlafen.«

      »Schon recht! Die Pest übers ganze Theater! Ich liege hier und habe einen leeren Magen und mir fehlt der Nikotingeschmack im Hals. Das erste, was morgen her muß, ist eine Pfeife, ein richtiger Gurkenwärmer, und wenn ich ihn stehlen muß. Störe mich nicht mehr, ich will schlafen.«

      Er rollt sich zusammen wie ein Igel und brummt in sich hinein. Ich liege auf dem Rücken und sehe zwischen den belaubten Ästen in den Himmel hinauf, an dem die vielen wandernden Augen der Welt schon langsam verblassen. Und die Stimme Hurrle's will nicht verstummen.

      »Tausende habe ich begeistert; Tausende haben gelacht über meine Torheiten. Meine große Begabung hat günstig auf ihre Verdauung gewirkt. Was war ich denn; was bin ich denn? Ach, Bruder an meiner Seite, ein großer Mime geht in die Wälder; ein Menschendarsteller, ein Charakterkomiker von Format meidet das Bett und pennt zwischen Buchenbäumen. Oh, über uns Narren!«

      Sein Denken zerbröckelt, seine Logik züngelt in die Baumäste. Der Schlaf besiegt ihn. Der Schlaf ist ein Riese. Da liegt der große Mime und schnarcht. Es ist ein tiefes, sattes Schnarchen und klingt kurz und rechthaberisch wie ein Hobel, der über sprödes Holz fährt. Ist es nicht zum Lachen: hier liegt in einer alten, gestohlenen Pferdedecke ein Charakterkomiker und sägt sein Winterholz. Ich beuge mich nahe zu ihm; der Mund steht ein wenig offen, das Pumpwerk der Lunge arbeitet mit Macht. Das Gesicht ist wirklich nicht geistreich.

      Altes Roß, denke ich. Altes Roß!

      Ich liege in der Wäldernacht und stelle fest, daß ich zufrieden bin. Ich bin frei von Wünschen in diesem Augenblick. Glaubt mir, ich suche nach einem Wunsch und kann keinen finden. Ich will einschlafen. Erde rieche ich und Laub und Farnkraut. Und schmecke bittere Baumrinde.

      Keinen Wunsch, meine Freunde. Auf dieser großen Erde keinen Wunsch.

      Da habe ich ein großartiges Erlebnis.

      Ich liege mit geschlossenen Augen und höre auf das feine Sausen, das zwischen den Stämmen hindurchzieht; deutlich fühle ich, wie ich hinüberschlafen will in die unerforschte Welt, da spüre ich halb benommen, daß etwas Fremdartiges an meiner Seite ist, daß sich etwas nähert mit vorsichtigem Tasten. Ich habe nicht die Kraft, die Augen zu öffnen. Nun kommt deutlich ein heißer Atem in mein Gesicht; es bläst mich an und hat tierische Witterung. Mein Herz klopft hörbar in der Brust, aber ich bin wehrlos und halb gelähmt. Etwas Kaltes berührt mich mit ungeheurer Vorsicht, und dann fühle ich ganz deutlich, wie eine warme, weiche Zunge mein Gesicht beleckt.

      Vielleicht, daß es Bären gibt in diesen Wäldern, wer will es wissen. In diesem Fall muß man ruhig liegenbleiben und sich tot stellen; denn der Bär greift etwas leblos Daliegendes nicht an, das hat mir einmal der Wärter in einer Menagerie gesagt.

      Hurrle schnarcht wie ein Vollgatter, ich werde keine Hilfe an ihm haben. Es gelingt mir jetzt, langsam den Kopf zu wenden und die Augen plienend zu öffnen. Im gleichen Augenblick höre ich leises, klagendes Winseln.

      Das ist kein Bär, denke ich; denn Bären winseln nicht so; Bären können weinen wie kleine Kinder, aber sie winseln nicht.

      Nein, es ist ein Hund. Ich erkenne ihn, wie er schattenhaft vor mir steht. Da richte ich mich auf.

      Der Hund wird freudig bewegt; er wedelt mit dem kurzen Stummelschwanz und freut sich nach Hundeart. Es ist ein drahthaariger Jagdhund, mager und verkommen. Nun ich über sein Fell streiche, fühle ich die Rippen und die eingefallenen Flanken.

      Welch ein Zusammentreffen in der Wäldernacht. Tiere begegnen sich; auch ich bin nichts als eine streifende Kreatur, von Hunger und Weh geplagt und ewig auf der Suche. Der Hund duckt sich an meiner Seite nieder und legt den Kopf auf meinen Schoß. Alles ist schwarz und schattengespenstisch, nur seine Augen werfen einen milden Glanz aus. Die Wunder der Welt wollen aus diesen Hundeaugen treten.

      Schau mich an, sage ich leise und wühle die Hände in sein struppiges Fell, schau mich an, ich bin dein Bruder. Wir alle, die wir umherstreifen, suchend ein unbekanntes Ziel, wir alle, die wir dem großen Rätsel gegenüberstehen, sind Brüder. Alle fahrenden, streifenden, wandernden Kreaturen sind Brüder. Komm und lege dich an meine Seite. Ich weiß nicht, wer du bist und woher du kommst, du Bruder Fremdling, du Ausgeburt der dunklen Wälder.

      Der Hund liegt still, und nun senkt er die Lider über den Glanz seiner Augenschächte. Einmal hebt er den Kopf und windet in die aufdämmernde Nacht.

      Es ist nichts, Freund! sage ich. An meiner Seite liegt noch ein Kumpan. Ein altes Roß. Ein Weltenbummler. Ein Charakterkomiker. Er hat vielen Menschen das Zwerchfell erschüttert; er hat fremdes Wesen gespielt, fremde Bosheit und Verschlagenheit. Hundert Menschen hat er dargestellt; oder waren es tausend. Er war der Narr der Massen. Ein Rampenschwein. Dort liegt er, sein Mund steht offen, und er schnarcht in die sausende Sommernacht. Laß ihn schlafen.

      Der Hund wird immer unruhiger; ein warnender Laut, ein vergrabener Hundelaut kommt aus seiner Kehle. Von mir ist alle Schlafsucht gewichen. Ich bin wach; man soll sie nicht verschlafen, diese beweglichen, klingenden Nächte. In den Nächten leben wir unser zweites Leben; wahrhaftig, es gibt Nächte, die man nicht verschlafen soll. Leise erhebe ich mich, um den träumenden Narren nicht aufzuwecken. Der Hund und ich, wir wandern zwischen den Stämmen dahin. Das Grau des Morgens flutet milchig in den Wald. Die Sterne sind versunken; es raucht in Strauch und Buschwerk; der Odem des Tages kommt auf; schon höre ich den Ruf der Vögel.

      Der Hund geht an meiner Seite, aufmerksam lauschend und mit unablässig beschäftigter Nase. Nun bleibt er stehen, starr und steif; der Schwanzstummel steht nach oben. Oh, wie wach sind seine Sinne.

      Nach einer Weile kommt es die Landstraße daher. Ein Wagen fahrender Leute, ein Zigeunerwagen vielleicht oder ein Schirmflickerwagen. Das Gefährt bewegt sich schleierhaft im Grau des Morgens, von einem dürren Gaul mühsam gezogen. Der Hund steht nahe bei mir und gibt keinen Laut; mit scharfen Augen voll ungeheurer Spannung verfolgt er das Gefährt, das wie auf einem müden Filmband vorüberzieht.

      Wir zwei aber sind verborgene Zuschauer, dem Wald und den Farnkräutern verbunden. Die Hand habe ich auf den Kopf des Tieres gelegt, und so stehen wir und schauen dem wandernden Wagen nach, bis er zwischen den Stämmen verschwindet.

      Ich sehe mich selbst und den Hund in fremder Szene stehend. Weitab bin ich von dem, was gewesen ist. Auf der andern Seite des Lebens stehe ich. Unsichtbarer Odem hat mich verwandelt. Ich bin ein Verzauberter. Ich knie nieder und schlinge beide Arme um das Tier. Und fühle das fremde, unruhige Hundeherz schlagen.

      Dann gehen wir zurück und legen uns beim Kameraden Hurrle nieder. Seite an Seite, eine wunderliche Dreieinigkeit, schlafen wir in den aufbrechenden Tag hinein.

      Die Porzellanbrigitte

       Inhaltsverzeichnis

      Hurrle geht mit dem Hund zum Wiesenbach, schöpft eine Handvoll Wasser, spritzt sie über ihn und deklamiert mit verkitschtem Pathos: »Wir wissen nicht, von wannen du kommst und wissen nicht, wie du heißest. Du bist ein fahrender Ritter ohne Nam' und Art und zu uns gekommen in der Nacht; ein haariger Wanderer aus dem Nichts. Ich taufe dich Lohengrin!«

      Schüttet eine zweite Handvoll Wasser über ihn und gibt ihm einen verschrumpften Leberdärmling, den er bei einem Bauernmetzger zusammengebettelt hat. Der Hund macht eine einzige schnappende Bewegung und die Wurst ist gewesen. Er schüttelt das Wasser aus dem Fell und wedelt vergnügt mit dem struppigen Stummel; ich nehme an, er freut sich über seinen romantischen Namen.

      Dann liegen wir zusammen auf der Wiese und faulenzen in den blauen Himmel hinein. Es ist ein Tag nach dem Herzen der ganzen Welt. Gott ist besonders freundlich gestimmt heute; man spürt, wie er mit unsichtbarer Hand durch die Millionen Gräser fährt.

      Ein zufriedenes Glück summt in den Wiesen.

      Lohengrin hat keine rechte Ruhe. Er geht jetzt ein