Die Verzauberten. Roland Betsch. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Roland Betsch
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788027224388
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und dahinter die felsigen Schneeberge. Es wird ein gutes Bild, ich will mich gewiß nicht loben, aber es wird ein Bild, das, so dachte ich mir, von sich reden machen würde. Müde geworden, lege ich mich ins Gras und habe das Künstlerpech, einzuschlafen. Als ich aufwache, sehe ich einen oberbayrischen Ochsen gemächlich damit beschäftigt, mein frisch gemaltes Bild mit seiner gewaltigen Ochsenzunge abzulecken. Ich springe auf und stelle fest, daß der Wiederkäuer schon fast die ganze Landschaft auf der Zunge hängen hat.«

      Die Geschichte freut Herrn Schluckebier, er lacht, daß der Bauch wackelt.

      »Na und weiter! Was weiter?«

      »Es gab eine Gerichtsverhandlung, und dabei standen verschiedene strafbare Delikte zur Debatte. Der Ochse nämlich, samt Ochsenzunge, war am Schweinfurter Grün meines Bildes eingegangen. Ich verlangte Ersatz für meine Landschaft, die, was nachgewiesen schien, von hohem naturalistischem Wert gewesen sein mußte, sonst hätte der Ochse in ihr nicht eine wirkliche Wiese vermutet, die man abgrasen könne. Hinwiederum stand, was den Ochsen betrifft, Körperverletzung mit nachgefolgtem Tod zur Debatte, und drittens wies der Bauer nach, daß ich mich auf fremdem Eigentum, wenn auch nicht auf seinem, befunden hatte, daß also sowohl ich, als auch der Ochse in verbotenes Gebiet eingedrungen waren.«

      Die Erzählung löst große Heiterkeit aus, ja, sie entfesselt bei Schluckebier wieder einen seiner bekannten Hustenanfälle.

      »Wie ist denn die verteufelte Ochsengeschichte ausgegangen?«

      »Überhaupt nicht. Ich kann Ihnen im geheimen mitteilen, daß ich demnächst wieder eine Vorladung erwarte.«

      »Das ist gelogen.« Brigitte haut auf den Tisch. »Du bist ein Schwarzkünstler und Komödiant, wie er im Buch steht. Weißt du was: du hättest Schauspieler werden sollen.«

      »Oh, mein Fräulein,« flüstert Hurrle, »das war schon immer mein Traum. Ich sage Ihnen, der Komödiant ist der Bruder der ganzen Menschheit. Tausend gute und tausend schlechte Menschen, Spitzbuben, Hochstapler und Heilige, Philosophen und Narren wohnen in einer einzigen Komödiantenbrust. Hallo, Herr Wirt, bringen Sie mir noch ein Bier und eine Brasil, mir ist plötzlich so heimatlich zumute.«

      Ich merke bald, daß Schluckebier und Hurrle wieder ein wenig dem Alkohol verfallen und gehe mit der Porzellanbrigitte über die herrlichen Sommerfelder spazieren. Wie lange ist es her, daß ich so schöne Wiesen sah, daß Getreidefelder mir entgegenwogten und daß der nahe Buchenwald zu mir herüberrauschte. Brigitte und ich, wir sind zwei Menschen in der Landschaft; wir wandern über die Fluren, und die Sonne kreist über uns hinweg. Ich weiß wohl, irgendwo gibt es Schnellzüge und Flugzeuge, Luxushotels und Überseeschiffe mit Turbinenanlagen; ich weiß, daß die Kilowatt und Volt, daß die Funkwellen und Lichtwellen, von Menschen genial eingefangen, durch die Luft rasen; ich weiß, daß Menschen in tiefen Schächten nach Erz und Kohlen graben, daß andere vor der wahnwitzig gefesselten Glut der Hochöfen stehen; in riesigen Kesselschmieden hämmern, in Anilinfabriken im Dampf der Säuren brüten und hoch oben an eisernen Brückenträgern die abertausend Nieten hydraulisch und elektrisch in die Eisengitterwerke ziehen. Ich weiß, daß nach Schwefel gegraben, nach Perlen getaucht wird, daß in Schlachthäusern das rote Tierblut strömt, daß aufeinandergetürmte Berge von Fischen ersticken, daß auf Operationstischen von genialen Chirurgen das Herz, die Augen, die verborgensten Zellen operiert werden. Ich weiß, daß Menschen sterben und Menschen aus begnadeter Kehle singen, daß Menschen sich hassen und sich lieben; daß Gott und Teufel in ihrer Brust grausam zwiespältig leben; daß sie in Kirchen und Kathedralen knien, und daß sie dem Gold nachjagen in den Börsen und in jedem Winkel der Welt. Ich weiß, daß Symphonien geschrieben und Kanonen gegossen werden, daß Dichter erstehen und Totschläger, Heilige und Narren. Ich weiß um Lachen und Weinen, um das größte Geschenk der Natur. Ich weiß, daß alles rollt und kreist und tobt und strömt, daß alles in sausender, brausender Bewegung ist; daß man geboren wird als Wunder, daß man lebt inmitten von Wundern, und daß man hineinstirbt in das große, dunkle gespenstische Wunder.

      Hier aber blüht eine Wiese, hier singt das Korn, seht nur, wie grün der Wald herüberglänzt. Hier fallen die Jahrhunderte ab von uns, hier ist das verzauberte Leben.

      An einem Kornfeld setzen wir uns nieder und sind ganz still. Der Mittag saust in den Wiesen, das Kornfeld ist schweigsam, aber zwischen den Halmen bricht das Feuer des roten Mohnes hervor. Ich liege auf dem Rücken, ganz nahe den Halmen bin ich; sie wachsen biegsam über mich hinaus, es ist ein herrliches Meer von grünen Säulen. Und am Rain wachsen Gras und Schierling und mancherlei Blütchen in blauen und gelben Farben. Das Getier krabbelt an uns herum; es ist viel neugieriges Getier um uns.

      Ich sage zu Brigitte: »Jetzt trennen wir uns bald, Brigitte.«

      Sie antwortet: »Ich mache mir nichts draus. Pah, was du denkst.«

      Und ich: »Ich denke augenblicklich gar nichts.«

      Aber Brigitte hat etwas auf dem Herzen, das fühle ich durch Wände hindurch. Brigitte will mir etwas sagen.

      »Sag' mal, du heißt doch Stephan von der Wieden? Ich hab's doch in deiner Fleppe gelesen.«

      »Ja, so heiß' ich.«

      »Dann bist du ja eigentlich ein Baron.«

      »Stimmt. Ein Baron in Lumpen.«

      Sie wälzt sich herum, stützt die Ellbogen auf und plient mich mit listigen Augen an.

      »Mir fällt da was ein.«

      »Was denn?«

      »Ich sag's nicht.«

      »Meinetwegen, sag's nicht.«

      Sie kommt näher, ihr Gesicht ist dicht über mir; Haare, schwarz und wirr, hängen ihr über die Augen.

      »Ich, ich – hör' mal zu – ich kann's doch nicht sagen.«

      »Na, wenn du's nicht sagen kannst.«

      »Wenn du mir versprichst, daß du niemand etwas davon erzählst.«

      »Ich verspreche es.«

      »Es ist nämlich, – du mußt nämlich wissen, daß es ein Geheimnis ist.«

      »So?«

      »Ich hab's immer für mich behalten. Verstehst du?« Es ist still um uns.

      »Warum sagst du denn nichts?« fragt sie nach einer Weile verwirrt.

      »Na, ich denke du willst was sagen?«

      »Nein, lieber nicht!«

      Sie wälzt sich wieder auf den Rücken, und ich höre, wie sie seufzt und wie sie am Geheimnis herumwürgt.

      Sie ist schon wieder da, diesmal noch näher. Ich ziehe sie an mich heran, und so liegen wir eine Weile, der ganze Duft ihres Körpers strömt auf mich über. Das gelbe, verwaschene Kleiderfähnchen geht noch zuschanden.

      Sie hebt den Kopf und nun ist ihr Gesicht verändert. Ein Zug von Traurigkeit liegt über den Augen.

      »Wenn du keine Ruhe hast, will ich dir's doch sagen. Es handelt sich um den Baron.«

      »Um den Baron?«

      »Na ja, es ist doch so komisch, daß du ein Baron bist. Paß mal auf: meine Mutter ist vor ein paar Jahren unterwegs gestorben. Und – und bevor sie gestorben ist, da hat sie mir noch etwas gesagt.«

      »Was denn, Brigitte?«

      »Der Vater war mal paar Minuten fort, da hat sie mich ganz nahe zu sich hingezogen und hat zu mir gesagt: Brigitte, du darfst es keinem Menschen auf der Welt verraten: Dein Vater ist nicht dein Vater! Dein Vater ist der Baron! Das hat sie gesagt.«

      »Hat sie das gesagt? Allerdings recht merkwürdig. Dann bist du am Ende doch noch ein Fürstenkind.«

      »Sieh mal, ich muß so oft daran denken, und ich kann's nicht herauskriegen, wen sie mit dem Baron gemeint hat.«

      Sie tut mir jetzt fast leid, wie sie so dasitzt und über Fragen nachdenkt, über die man nicht nachdenken sollte. Das Geheimnis aber hat sie nun glücklich an den