Den Beweis für diese rein mechanische Leugnung lieferte mir vorderhand allein meine schlimme Erfahrung. Immer deutlicher klangen auch die Worte des Tischlers aus grauer Erinnerung herüber, die so kraß an dem Bilde Gottes herumgedeutet hatten, an jenem Abende, als ihn mein Vater über unsere Schwelle getrieben. Sie nagten und minierten in meiner Seele, ohne daß ich die Kraft fand, ihnen Einhalt zu tun. Was sage ich? Mir war es im Gegenteil recht, so einsam zu sitzen oder zu liegen und den geheimen Schauer dieser verborgenen, fortschreitenden Vernichtung über mich ergehen zu lassen. Aber erhob ich mich dann, so fühlte ich mich betäubt, erschlafft, gallig, leer, wie einer, der großen Hunger hat und nichts besitzt, um ihn zu stillen.
Vielleicht bin ich damals zerbrochen und habe seitdem das Leben anderer geführt.
Vielleicht auch habe ich mich doch noch gerettet, und war es nur in jenem verwehten Lichte, das am Horizonte der damaligen inneren Öde stand, immer machtlos tröstete und doch nicht ganz erlosch. –
Vielleicht auch täusche ich mich mit einer Täuschung. Denn es ist wohl ebenso unmöglich, sich restlos zu erkennen, als man mit seinem Blick sich auf den Grund seines Auges sehen kann.
... Kastner! Schläfst du? Ich kann nicht mehr. Komm, gib mir die Hand und geh'! – Wenn ich soweit bin, will ich dir schreiben.«
Ende der zweiten Nacht.
Die dritte Nacht
Acht Tage später, solange hatte Faber gebraucht, aus tiefer Aufregung zu innerer Entschiedenheit zu kommen, saß ich meinem Freunde in seinem Stübchen wieder gegenüber. Der Tag war ungewöhnlich heiß gewesen. Die Dämmerung stand noch, wie ein hellgrauer, leidenschaftlicher Hitzedunst, draußen. Das Weiß der getünchten Hauswände und das Grün der Birken am fernen Grenzhügel glasteten aus diesem Verkochen des Tages mit krankhaft übertriebener Schärfe. Der Amselruf aus dem Walde der Feistelberge schnitt dann und wann als schrilles, hysterisches Gellen durch die Dämmerung und hinterließ eine beklemmte Stille, ein peinliches Aufhorchen. Durch die Kronen der Obstbäume ging der Wind ganz leise und geruhig und führte solch schwaches Rauschen vorüber, daß es nur in den stockenden Augenblicken zu vernehmen war, doch so verhaucht, daß man im Zweifel sein konnte, woher es rühre. Es schien auch durch das Haus zu wehen, über die Stiegen hinauf und hinab, an der Tür vorbei. Faber hob den Kopf und lauschte hinaus auf den Gang. »Hörst du?« fragte er dann gedämpft, »es schleichen draußen Kleider über die Stufen, stehen gebauscht vor unserer Tür und streifen über den Boden.«
»Ich würde das für die Laute des leisen Windes halten«, sagte ich.
Er lächelte und zuckte mit den Achseln.
»Nun, wir können uns ja überzeugen«, sprach ich und erhob mich, um zu gehen und durch die Tür zu blicken.
Aber er streckte abwehrend den Arm aus. »Ach nein, laß nur«, sagte er gütig. »Mag das Mädchen immer horchen. Wir wollen sie nicht beschämen.«
Dann senkte er den Kopf, und indem er die Diele entlang sah, sprach er versonnen mehr zu sich als zu mir: »Übrigens ist es seltsam, daß wir oft zu hören meinen, was wir denken. –
Verwandelt die Natur uns, oder verwandeln wir das Gesicht und den Laut der Dinge?« Er hob das Gesicht wieder, das er über seine gelassen gefalteten Hände geneigt hatte. »Wenn man darin klar entscheiden könnte, wäre dem Menschen der größte Teil schwerster Verantwortlichkeit genommen. So oder so. Denn nur die Sicherheit, alles oder nichts zu vermögen, wäre die wahre Lebensfreiheit. So kommen wir in der Empfindung, als Geschobene oder Abgleitende wirken zu müssen, nie zu einem klaren Bilde von uns und bei Welt. Und wenn nicht dieser unbeirrbar leise Ruf stillster Stunden in mir lebte, dieses tiefste, geheimnisvolle Lied wäre, vor dem es kein draußen und drinnen, kein oben und unten gibt, ich weiß nicht, wohin mich die Verfinsterungen dieser letzten Tage geführt hätten. Ein Hoffen, das so unzerstörbar ist, weil es gar so unbegreiflich erscheint, lockt uns aus Dunkel durch Nächte und steht doch so ferne wie die Morgenhelle des Frühlings um drei Uhr nach Mitternacht. Aber doch liegt in ihm jene grandiose Macht unserer Seele, die imstande ist, das Stückwerk dieses Lebens zu einer notwendigen, heiligen Angelegenheit des Weltalls umzuschaffen. Denn das Leben, wie es sich unter unseren Händen bildet, erfüllt nie alle Forderungen. Mancher Wunsch hat eine schwache Brust, schreit sich vor der Zeit krank und stirbt mit offenem Munde. Wenn dann zufällig seine Erfüllung kommt: ein Glück, ein Wissen, ein Besitz, so weht einen nur Trauer an, denn es erscheint plötzlich eine verlorene Zeit, die schneller dahinlief, lauter auftrat und kecker lachte. Dann bepackt man die Erinnerung mit dieser verspäteten Erfüllung und schickt die gute Frau hinaus auf die unendlichen Friedhöfe der Seele, die rückliegende Zeit, und heißt sie, das unvermutete Geschenk dort am Grabe eines ungebärdigen, frühverstorbenen Wunsches niederlegen.
Doch was nutzt es?
Der Zwang des Blutes liegt über jedem Menschenleben. Geschehnisse regeln den Gang dieser geheimnisvollen Uhr, die in der unverantwortlichen Kinderzeit, wohl gar vor der Geburt über uns hereinbrechen. Der »freie