darf, die kein anständiger Mensch Dir beigebracht haben würde – weiter will ich nichts sagen.«
»Verzeihung, Herr,« unterbrach ihn Dermody sehr ehrerbietig, aber gleichzeitig sehr bestimmt, »es gibt viele Dinge, welche ein Herr das Vorrecht hat, seinem Diener in der Erregung zu sagen, aber Sie haben dieses Vorrecht überschritten. Sie haben mich in Gegenwart meiner Mutter und vor den Ohren meines Kindes beschimpft.«
Hier fiel ihm mein Vater ins Wort.
»Erspart Euch das Ende,« sagte er. »Wir sind nicht länger Herr und Diener. Als mein Sohn Euer Haus zu besuchen anfing und mit Eurer Tochter zu tändeln begann, war es Eure Pflicht ihm Eure Tür zu verschließen. Ihr habt Eure Pflicht versäumt, ich kann Euch nicht länger trauen. Ich kündige Euch hiermit für den nächsten Monat Euren Dienst, Dermody.«
Nun stand der Vogt mit meinem Vater auf neutralem Boden. Er war nicht länger der bequeme, sanfte, bescheidene Mann, als den ich ihn kannte.
»Ich erlaube mir Ihre Kündigung für den nächsten Monat abzulehnen, mein Herr,« erwiderte er. »Sie sollen keine Gelegenheit haben mir das eben Gesagte zu wiederholen. Ich werde Ihnen heute Abend meine Rechnungen zuschicken und werde morgen Ihren Dienst verlassen.«
»So sind wir doch in einer Sache einverstanden,« sagte mein Vater, »je eher Ihr geht, je besser.«
Er schritt durch das Zimmer und legte seine Hand auf meine Schulter.
»Höre mich an,« sagte er, indem er eine letzte Anstrengung zur Selbstbeherrschung machte. »Ich mag vor einem entlassenen Diener nicht mit Dir streiten. Dieser Unsinn muss ein Ende haben. Verlass diese Leute, damit sie aufpacken und gehn können – und komm mit mir nach Hause.«
Seine schwere Hand, die auf meine Schulter drückte, schien den Geist des Widerspruchs in mir zu erdrücken. Ich gab in so weit nach, als ich ihn durch Bitten zu erweichen versuchte.
»Ach Papa! Papa!« rief ich aus, »trenne mich nicht von Mary! Sieh wie hübsch und gut sie ist! Sie hat mir eine Flagge für mein Boot gestickt. Lass mich zuweilen her gehen und sie sehen, ich kann nicht ohne sie leben.«
Weiter konnte ich nichts sagen. Meine arme, kleine Mary brach in Tränen aus, aber ihre Tränen rührten meinen Vater eben so wenig, als meine Bitten.
»Wähle,« sagte er, »ob Du gutwillig mit mir kommen willst oder ob ich Gewalt brauchen soll. Ich werde Dich und Dermodys Tochter trennen.«
»Weder Sie noch irgend ein Mensch kann sie trennen,« warf eine Stimme aus dem Hintergrunde dazwischen, »geben Sie diesen Gedanken auf, Herr, ehe es zu spät ist.«
Mein Vater sah sich schnell um und bemerkte Dame Dermody, die hell vom Fenster beleuchtet vor ihm stand. Sie hatte sich beim Beginn des Streites in die Ecke am Kamin zurückgezogen. Dort hatte sie ihre Zeit abgewartet und verließ nun ihren stillen Winkel bei meines Vaters letzter Drohung, um zu sprechen.
Sie blickten sich einen Augenblick lang an. Mein Vater schien es unter seiner Würde zu halten, ihr zu antworten und fuhr also in dem fort, was er mir zu sagen hatte:
»Ich werde langsam bis drei zählen, bevor ich die letzte Zahl ausspreche, entschließe Dich zu tun, was ich von Dir fordere, oder füge Dich der Schande, mit Gewalt fortgeschleppt zu werden.«
»Bringt ihn, wohin Ihr wollt,« sagte Dame Dermody, »er wird immer auf dem Wege bleiben, der zur Verheiratung mit meiner Enkelin führt.«
»Und wo werde ich bleiben, wenn’s beliebt?« fragte mein Vater, der nun doch versucht war mit ihr zu sprechen.
Die Antwort erfolgte sofort in den wunderbaren Worten: —
»Sie werden dann auf dem Wege zu Ihrem Untergange und zu Ihrem Tode sein.«
Mein Vater kehrte der Prophetin mit einem verächtlichen Lächeln den Rücken.
»Eins!« begann er zu zählen.
Ich biss die Zähne zusammen und schlang beide Arme um Mary, als er sprach. Er sollte jetzt erfahren, dass ich etwas von seinem Charakter geerbt hatte.
»Zwei!« fuhr mein Vater nach einer kleinen Weile fort.
Mary flüsterte mir mit bebenden Lippen ins Ohr: »Lass mich hinaus gehen, George! Ich kann es nicht ertragen, sieh, wie er grollt, ich weiß er wird Dir weh tun!«
Mein Vater erhob seinen Zeigefinger, um mich noch einmal zu warnen, ehe er Drei zählte.
»Haltet ein!« schrie Dame Dermody.
Mein Vater sah sich mit höhnischem Erstaunen nach ihr um.
»Verzeihen Sie, Madame, – haben Sie mir irgendetwas Wichtiges zu sagen?« fragte er.
»Mann!« erwiderte die Sybille, »Ihr sprecht leichtfertig. Habe ich auch leichtfertig zu Euch gesprochen? Lasst Euch warnen, beugt Euren gottlosen Willen vor dessen Willen, der mächtiger ist als Ihr. Die Geister dieser Kinder sind verwandt, sie sind für Zeit und Ewigkeit verbunden. Trennt sie durch Land und Meer, – sie bleiben doch vereint; sie werden durch Visionen miteinander verkehren; sie werden in Träumen beieinander sein. Bindet sie mit irdischen Banden; vermählt Euren Sohn einem anderen Weibe, gebt meiner Enkelin einen anderen Mann – umsonst! Ich sage Euch, es ist umsonst! Ihr könnt sie zum Elend verdammen, – Ihr könnt sie zur Sünde treiben, – der Tag, wo sie sich auf Erden wiederfinden werden, ist dennoch im Himmel voraus bestimmt. Er muss kommen! Und wird kommen! Unterwerft Euch dem Schicksal nun es Zeit ist. Ihr seid ein Verurteilter! Ich sehe auf Eurem Gesicht die Schatten des Unheils, ich sehe das Siegel des Todes darauf. Geht und lasst diese füreinander bestimmten Wesen ihren dunklen Weg durch das Leben gemeinsam gehen, in der Kraft ihrer Unschuld» im Lichte ihrer Liebe. Geht – und Gott möge Euch vergeben.«
Gegen seinen eigenen Willen war mein Vater erstaunt über die unwiderstehliche Macht der Überzeugung, die aus diesen Worten sprach. Die Mutter des Vogtes hatte auf ihn den Eindruck gemacht, wie eine tragische Schauspielerin auf der Bühne ihn ihm gemacht haben würde. Die höhnische Antwort war auf seinen Lippen erstorben – aber sein eiserner Wille war nicht erschüttert. Sein Gesicht war so streng wie zuvor, als er sich wieder zu mir wendete.
»Entschließe Dich, George!« sagte er – und zählte: »Drei!« -
Ich stand stumm und regungslos.
»So willst Du denn nicht anders?« sagte er und packte meine Hand.
Ich hielt Mary fest und flüsterte ihr zu: »Ich lasse dich nicht!« Sie schien mich nicht zu hören und zitterte von Kopf bis Fuß in meinen Armen. Ein schwacher Aufschrei entrang sich ihren Lippen. Dermody trat zu mir und ehe mein Vater mich von ihr losreißen konnte, sagte er mir ins Ohr: »Ihr könnt sie mir anvertrauen, Mr. George!« Damit entwand er sein Kind meiner Umarmung. Als sie in Dermodys Armen lag, streckte sie ihre kleine, zarte Hand verlangend nach mir aus. »Lebewohl, Geliebtester!« flüsterte sie. Als ich zur Tür geschleppt wurde, sah ich ihren Kopf
an ihres Vaters Brust sinken. In meiner machtlosen Wut und Verzweiflung bot ich alle meine Kraft auf, mich den grausamen Händen zu entwinden, die mich umklammerten. Ich rief ihr zu: »Ich liebe Dich, Mary! Ich werde zu Dir zurückkehren und nie ein andres Weib heiraten, als Dich! Schritt für Schritt wurde ich vorwärts gestoßen. Das Letzte, was ich sah, war noch, wie meines Lieblings Kopf an ihres Vaters Brust lehnte. Neben ihr stand ihre Großmutter und – meinem Vater drohend, rief sie ihm, in der fieberhaften Aufregung, in die sie durch die vollzogene Trennung versetzt war, ihre furchtbare Prophezeiung noch einmal nach! »Geht! – Ihr geht ins Verderben! In den sicheren Tod!« Während ihre Worte noch in meinen Ohren widerhallten, wurde die Haustür geöffnet und geschlossen. Es war Alles vorbei. Die bescheidene Welt meiner Kinderliebe und meiner Kinderfreuden sank wie ein Traumbild vor mir zusammen. Die Wildnis draußen, die meines Vaters Welt war, öffnete sich mir – liebeleer, – freudenleer. Gott verzeihe mir – wie ich meinen Vater in jenem Augenblick hasste! —
Viertes Kapitel
Der Vorhang fällt
Den