Auf solche Weise glaubte Herr Jubber die schimpfliche Niederlage, welche er durch Doktor Joyce erlitten hatte, in eine vorteilhafte Geldspekulation zu verwandeln.
Nach vielen sorgfältigen Bedenken und manchem ernsthaften Wortwechsel gelang es Frau Joyce, Herrn Blyth zu überreden, dass er die kleine Marie nach ihrem Bette herauftragen könnte, ohne dass sie erwachen würde.
Valentin trug sie sorgfältig auf seinen eignen Armen nach dem Schlafzimmer.
Sie legten sie vorsichtig auf das Bett und bedeckten sie leicht mit einem Schal – dann gingen sie wieder herunter, um auf Frau Peckover zu warten. Mit bekümmertem und abgespanntem Gesicht kam die Frau des Clowns nach einer halben Stunde, wie sie versprochen hatte. Außer dem Bündel, welches des Kindes wenige Kleider enthielt, brachte sie auch noch das Haararmband und das Taschentuch, welche bei der Mutter der kleinen Marie gefunden worden waren.
»Wo das Kind auch immer hingeht, so müssen diese beiden Dinge sie stets begleiten.«
Sie richtete diese Worte an Herrn Blyth und übergab seinen eigenen Händen das Haararmband und das Taschentuch.
Als Frau Peckover hörte, dass Marie oben schliefe, erregte dies eher eine beruhigende als traurige Empfindung in ihr. Sie ging hinauf, betrachtete sie auf ihrem Bettchen und küsste sie ganz leise.
»Sagen Sie ihr, dass sie an mich schreiben soll, mein Herr«, sagte die arme Frau Peckover, indem sie Valentins Hand festhielt und ihm durch Tränen gedankenvoll in das Gesicht sah. »Ich werde ihren ersten Brief an mich sehr hoch schätzen, wenn er auch nur einige Zeilen enthält. Gott segne Sie, mein Herr, und leben Sie wohl! Ich hoffe, dass ich bald nach London kommen werde, um sie selbst zu sehen. Aber vergessen Sie den Brief nicht, mein Herr, denn sobald ich einen von ihr bekommen haben werde, werde ich mich nicht mehr so sehr ängstigen.«
Nach diesen Worten entfernte sie sich eilig und verbarg ihre hervorquellenden Tränen. Herr Blyth und die kleine Marie verließen den andern Morgen frühzeitig die Wohnung des Rektors und fuhren mit dem ersten Postzuge nach London.
Achtes Kapitel – Das Resultat
Die kleine Marie war von jetzt ab ein Mitglied von der Familie des Malers und wuchs in ihrer neuen Heimat glücklich zu der schönen, jungen Dame heran, welche von Valentin, seiner Frau und allen intimen Freunden, die ihr Haus zu besuchen pflegten, »Madonna« genannt wurde. Das erste, was Herr Blyth tat, nachdem er mit dem kleinen Kinde zu Hause angelangt war, war, dass er sie zu dem Arzte führte, welcher in der Behandlung der Gehörkrankheiten damals den größten Ruf hatte. Er tat dies nicht etwa in der Hoffnung, als ob die ärztliche Untersuchung ein heilsames Resultat herbeiführen würde, aber er betrachtete es als seine erste Pflicht, welche er dem Kinde schuldig war, jetzt, da er es einzig und allein übernommen hatte, für sie zu sorgen. Der Arzt interessierte sich für diesen Fall sehr, erklärte ihn aber nach sorgfältiger Untersuchung für einen vollständig hoffnungslosen.
Der erste Einfluss, welcher Marien fast vom ersten Augenblicke an an ihre neue Heimat fesselte, wurde von Frau Blyth ausgeübt. Der Anblick jener gebrechlichen, dahinwelkenden Frau, welche, wie man ihr durch Schreiben gesagt hatte, so lange schon in demselben prächtigen Zimmer zugebracht hatte und seit so vielen, vielen Jahren zu dieser müßigen Untätigkeit verurteilt war – der Blick jenes blassen, ruhigen Gesichtes, welches eben so viel an Schönheit des Ausdrucks gewonnen, als es an Schönheit der Form verloren hatte – rührte Mariens Herz sogleich und erfüllte sie mit einer jenen neuen geheimnisvollen Empfindungen, welche Epochen in dem Wachsen der moralischen Natur bezeichnen. Diese ersten Eindrücke verändern sich niemals. Als Jahre dahingeschwunden waren und Marie, die nun nicht die »kleine« Marie mehr war, jene charakteristischen Kennzeichen der Gesichtszüge und des Ausdrucks besaß, welche ihr den Namen »Madonna« verschafften, so bewahrte sie dennoch alle ihre kindlichen Gefühle für die Frau des Malers. Wie leicht und ausgelassen ihr Benehmen auch oft gegen Valentin sein mochte, es änderte sich sogleich, sobald sie bei Frau Blyth war. Dann zeigte sie dieselbe ängstliche Zärtlichkeit, dieselbe ungekünstelte Bewunderung und dasselbe aufmerksame und liebende Mitgefühl. Es lag etwas Geheimes und Abergläubisches in des Kindes Zärtlichkeit für Frau Blyth. Sie wollte nicht gern, dass andere Leute diese Liebe in ihrer ganzen Tiefe und ihrem ganzen Umfange begriffen; sie schien von ihr unmittelbar in der heiligsten Verborgenheit ihres eigenen Herzens bewahrt zu werden, wie wenn dieses Gefühl ein Teil ihrer Religion oder eine Religion in sich selbst ausmachte.
Diese Liebe zu ihrer neuen Mutter, welche sich so innig und aufrichtig in vielen Dingen kundgab, wurde von dieser Mutter mit demselben Eifer vergolten. Von dem ersten Tage an, als die kleine Marie neben ihrem Bette kniete, fühlte sich Frau Blyth, als wenn ihr neue Kraft verliehen worden wäre, um die neue, ihrem Leben zugeteilte Glückseligkeit zu genießen. Glänzendere Hoffnungen, besseres Befinden, ruhigere Ergebung und ein reinerer Friede schienen des Kindes Fußtritten zu folgen und von ihrer Gegenwart unzertrennlich zu sein, wenn sie sich im Krankenzimmer hin und her bewegte. Alle die kleinen Schwierigkeiten, sich ihr mitzuteilen und sie zu belehren, welche ihr Unglück unvermeidlich mit sich brachte und die andern zuweilen lästig gewesen sein möchten, waren ebenso viele ungetrübte Quellen der Glückseligkeit, ebenso viele köstliche Beschäftigungen für die früher so müßige Zeit der Frau Blyth. Sogar diejenigen, welche vom ersten Augenblicke an Zeugen von der wunderbaren Geduld und Heiterkeit waren, womit sie ihr hartes Los ertrug, sahen jetzt oft erstaunt, wie sie unter dem Einflusse von Mariens Gegenwart auf ihre eigene, sanfte, weibliche Weise in übersprudelnder heiterer Laune mit ihrem Manne wetteiferte. Alle Freunde der Familie erklärten, dass dem Kinde gelungen wäre, was Ärzte, Medikamente, Luxus und die eigene mutige Ergebung der Dulderin bis jetzt umsonst erstrebt hätten – denn es war ihr gelungen, Frau Blyth mit einem neuen Leben zu beschenken.
In diesem Sinne brachte das Kind wirklich ein neues Leben für alle mit, die in ihrer neuen Heimat lebten – ebenso wohl für die Diener als für den Herrn und die Herrin. Selten hatte eine Wolke in frühern Tagen das häusliche Glück getrübt, jetzt schien in diesem Hause ein ewiger Sonnenschein zu strahlen.
Mit dem Fortschreiten ihrer Erziehung traten viele hervorspringende Eigentümlichkeiten in dem Charakter der »Madonna« hervor, welche alle mehr oder weniger durch den Einfluss ihres Unglücks hervorgebracht wurden. Die soziale Abgeschlossenheit, wozu sie jenes Trübsal verurteilte, die vereinsamten Gedanken und Gefühle, welche dasselbe ihr aufzwang, trugen schon frühzeitig dazu bei, ein für ein so junges Mädchen merkwürdiges Selbstvertrauen bei ihr zu wecken. Obgleich sie sehr gern die Meinungen anderer achtete, so schien sie sich doch immer ihre eigenen Überzeugungen und zwar mehr durch Instinkt als durch Vernunft zu bilden. Diese Eigentümlichkeit des Charakters wurde oft merkwürdig durch das Betragen erläutert, welches sie gegen die verschiedenen Personen zeigte, welche Herrn Blyths Haus besuchten.
Der erste Eindruck, welchen Fremde auf sie ausübten, schien ihre Meinung von ihnen sogleich und auf immer festzustellen. Sie liebte oder hasste die Leute herzlich und schätzte sie anscheinend aus Gründen, ohne ihr Alter, ihr Geschlecht oder ihren Stand zu berücksichtigen.
Sie