Einen wahren Columbus von einem Morgen konnte man den heutigen Sommermorgen nennen, da er Cripple Cornet entdeckt hatte. Sein Licht und seine Wärme drangen durch die offenen Fenster und beleuchteten das Bildniß einer Dame über dem Kamin, außer dem vorher erwähnten Portrait die einzige Wandverzierung.
»Meine Mutter, als sie fünfundzwanzig Jahre alt war,« sprach Mr. Wilding zu sich selbst. Seine Augen waren voller Entzücken dem Lichtstrahl zu dem Bilde hinauf gefolgt. »Ich habe sie hierher gehängt, damit die mich Besuchenden meine Mutter in der Blüthe ihrer Schönheit und Jugend bewundern können. Meine Mutter im Alter von fünfzig Jahren hängt in der Verschwiegenheit meines eigenen Zimmers, als eine mir heilige Erinnerung.« —
»O! Sind Sie es Jarvis?«
Die letzten Worte waren an einen Schreiber gerichtet, der an die Thür gepocht hatte und nun hineinsah.
»Ja, Sir. Ich wollte nur melden, daß es zehn vorbei ist, Sir, und daß mehrere Frauen im Comptoir warten.«
»Richtig!« sagte der Weinhändler. Das Rothe in seiner Gesichtsfarbe wurde röther und das Weiß weißer als vorher.
»Also Mehrere sind da? Mehrere – das ist sehr viel. Ich hätte anfangen sollen, ehe Mehrere da waren.
Ich will eine nach der andern sehen, Jarvis, und zwar in der Reihe, wie sie gekommen sind.«
Eiligst sich in seinen Lehnstuhl am Tisch hinter dem großen Tintenfaß verschanzend, nachdem er zuvor einen andern Sessel seinem eignen gegenüber gestellt hatte, begann Mr. Wilding sein Geschäft mit Zittern und Zagen.
Ein Spießruthenlaufen begann, wie bei jeder solchen Gelegenheit. Es kam die gewöhnliche Sorte von unsäglich unanziehenden Frauen und die ebenso gewöhnliche von zu anziehenden Frauen. Es kamen raubgierige Wittwen, die sich seiner bemächtigen wollten; sie hatten Schirme unter ihre Arme gepreßt und ihm war, als ob er das Pressen mitempfand. Es kamen schwärmerische Kammermädchen, die bessere Tage gesehen hatten, mit Zeugnissen von Geistlichen bewaffnet, welche die Frömmigkeit der Kammermädchen bescheinigten, als ob er St. Peter mit den Schlüsseln wäre. Es kamen allerliebste Kammermädchen, die ihn gern geheirathet hätten. Es kamen Haushälterinnen von Profession, gleich Beamten ohne Amt, welche ihn mit sich durch alle häuslichen Pflichten zogen, anstatt sich selbst einem Examen zu unterwerfen. Es kamen Alterschwache und Kranke, die weniger auf gutes Gehalt sahen, als auf liebevolle Verpflegung. Es kamen sentimentale Wesen, die bei jeder Anrede in Thränen ausbrachen und erst mit Gläsern kaltem Wasser wieder zu sich gebracht werden mußten. Es kamen zwei zu gleicher Zeit, von denen eine die andere empfehlen wollte, die eine war sehr viel versprechend die andere gar nichts versprechend. Die Vielversprechende antwortete bezaubernd auf alle Fragen, nur kam zuletzt heraus, daß sie gar keine Stelle haben wolle, sondern sie nur die Freundin der Nichtsversprechenden sei, welche in absolutem Schweigen verharrte. Endlich, als dem guten einfachen Weinhändler der Muth zu sinken begann, trat eine Bewerberin ein, die ganz verschieden von allen Uebrigen war. Eine Frau von etwa fünfzig Jahren, aber jünger aussehend, mit einem Gesicht, welches durch ruhige Freundlichkeit anzog und einer Haltung, die nicht minder durch ihr Gepräge von Seelenruhe fesselte. An ihrem Anzug hätte nichts zum Vortheil verändert werden können, ebenso wenig an der geräuschlosen Art ihrer Bewegungen und nichts konnte zu dem eben Erwähnten besser passen, als der Ton der Stimme, mit dem sie die Frage: »Welchen Namen habe ich zu schreiben?« beantwortete. »Mein Name ist Sarah Goldstraw. Mrs. Goldstraw. Mein Mann ist schon seit Jahren todt und wir haben keine Kinder.«
Ein halbes Dutzend Fragen hatten bei den Andern nicht so viel zur Sache Gehörendes herausgebracht. Die Stimme schlug so angenehm an Mr. Wildings Ohr, während er seine Notiz machte, daß er länger damit zu brachte, als nöthig. Beim Aufsehen bemerkte er, daß Mrs. Goldstraw’s Blicke im Zimmer umhergewandert waren und eben Von der Kaminwand zu ihm zurückkehrten. Ihr Ausdruck war der der offensten Bereitwilligkeit, alle Fragen: unumwunden zu beantworten.
»Entschuldigen Sie, daß ich einige Fragen thun muß,« sagte der Weinhändler bescheiden.
»Gewiß, Sir. Sonst brauchte ich ja nicht hier zu sein.«
»Haben Sie schon einem Haushalt vorgestanden?«
»Einmal. Ich bin nach dem Tode Meines Mannes zwölf Jahr bei einer verwittweten Dame gewesen. Sie war kränklich und starb vor Kurzem. Es ist der Grund, weshalb Sie Mich in Trauer sehen.«
»Ich zweifle nicht, daß sie Ihnen ein gutes Zeugniß ausgestellt haben wird,« sagte Mr. Wilding.
»Ich freue mich, es bestätigen zu können: wirklich ein gutes. Auch glaubte ich Ihnen Mühe zu ersparen, wenn ich Namen und Wohnung des Gentleman, der an Stelle meiner Herrin Auskunft ertheilen will, niederschrieb und mitbrachte.« Sie legte bei diesen Worten eine Karte aus den Tisch.
»Mrs. Goldstraw,« sagte Mr. Wilding indem er die Karte bei Seite legte, »Sie erinnern mich In Ihrer Art und Weise, Ihrem Ton der Stimme, an etwas aus früherer Zeit. Nicht an eine einzelne Person – das weiß ich gewiß, obgleich ich nicht darauf kommen kann, was mir eigentlich im Sinne liegt – aber an eine bestimmte Art des Benehmens. Ich muß hinzufügen, an eine freundliche, mir angenehme.«
Sie entgegnete lächelnd: »Das freut mich zu hören, Sir.«
»Ja,« fuhr der Weinhändler gedankenvoll fort, seine letzten Worte wiederholend, indem er einen schnellen Blick auf seine künftige Haushälterin warf, »eine freundliche und mir angenehme, aber das ist auch alles, worauf ich mich besinnen kann. Die Erinnerung schwebt mir vor, wie ein halb vergessener Traum. Ich weiß nicht, wie es Ihnen erscheinen mag, Mrs. Goldstraw, aber mir erscheint es so.«
Wahrscheinlich erschien es Mrs. Goldstraw in demselben Lichte, denn sie stimmte Mr. Wilding ruhig bei. Mr. Wilding erklärte sich in Verbindung mit dem Herrn setzen zu wollen, dessen Name aus der Karte verzeichnet stand: die Firma eines Procurators in Doctors Commons. Mrs. Goldstraw verneigte sich dankend. Da Doctors Commons nicht weit war, so schlug Mr. Wilding vor, ob es Mrs. Goldstraw möglich wäre, etwa in drei Stunden wieder herzukommen? Mrs. Goldstraw versprach es. Kurz und gut, das Ergebniß von Mr. Wildings Erkundigungen fiel im hohen Grade befriedigend aus. Mrs. Goldstraw wurde noch diesen Nachmittag engagirt und zog (nach ihrer eigenen Bestimmung) am andern Morgen ein, um sich in Cripple Cornet als Haushälterin niederzulassen.
Die Haushälterin redet
Am andern Tage traf Mrs. Goldstraw ein, um ihre neuen Pflichten zu übernehmen.
Nachdem sie sich in ihrem Zimmer eingerichtet hatte, ohne die Diener zu bemühen und ohne Zeitverschwendung meldete sich die neue Haushälterin bei ihrem Herrn, um die Instructionen, die er ihr etwa zu geben wünsche, entgegenzunehmen. Der Weinhändler empfing Mrs Goldstraw im Eßzimmer, in der er sie schon am vorigen Tage empfangen hatte und, nachdem die gegenseitige Begrüßung vorüber war, setzten sich beide nieder, um über die häuslichen Angelegenheiten zu berathen.
»Was die Speisen anbetrifft, Sir!« sagte Mrs. Goldstraw. »Habe ich eine große Anzahl oder nur wenig Menschen zu bewirthen?«
»Wenn ich einen lieben altmodischen Plan ausführen kann,« erwiderte Mr. Wilding »werden Sie eine große Anzahl zu versorgen haben. Ich bin ein einsamer unverheiratheter Mann, Mrs. Goldstraw, und gedenke mit allen denen, die bei mir im Geschäft sind, zu leben, als ob wir eine Familie wären. Bis es so weit ist, haben Sie Niemand als mich und den neuen Compagnon, den ich jeden Augenblicke erwarte, zu versorgen. Welche Gewohnheiten mein Theilnehmer am Geschäft haben mag, kann ich nicht sagen, aber mich selbst kann ich als einen Mann bezeichnen, der regelmäßig