»Graybrooke, ich habe dir ein Wort über Launcelot Linzie zu sagen.«
Nataliens erster Gedanke war, an die Tür zu eilen. Als sie aber Richard Launces Namen aussprechen hörte, stand sie davon ab. In Richards Ton lag etwas, was ihre Neugierde erweckte, und die Macht der Neugierde ist oft stärker als die der Furcht. Sie wartete, während sie ihre Hand in Launces Hand ruhen ließ.
»Du wirst dich erinnern«, fuhr Richard mit seiner dröhnenden Stimme fort, »daß ich es nicht geraten fand, ihn auf dieser Fahrt mitzunehmen; du warst nicht meiner Meinung, und auf deine ausdrückliche Bitte gab ich nach. Es war unrecht von mir. Launcelot Linzie ist ein sehr anmaßender junger Mann.«
Sir Joseph antwortete mit seinem gewohnten milden Lachen: »Mein lieber Richard, du urteilst wirklich etwas zu hart über Launce.«
»Du verstehst dich nicht darauf, Menschen zu beobachten, wie ich, Graybrooke! Ich sehe unverkennbare Zeichen, daß er sich gegen uns alle, und namentlich gegen Natalie mehr herausnimmt, als ihm zukommt. Mir gefällt die Art nicht, wie er mit ihr spricht und wie er sie ansieht. Er hat einen ungebührlich familiären Ton, eine unverschämte Vertraulichkeit, dem muß Einhalt getan werden. In meiner Stellung darf ich verlangen, daß auf meine Gefühle Rücksicht genommen werde. Ich bitte dich, der Intimität zwischen den jungen Leuten ein Ende zu machen, sobald wir wieder am Lande sind.«
Der Überraschung, welche diese Worte in Sir Joseph hervorriefen, gab derselbe in ernsterem Tone Ausdruck. »Lieber Richard, sie sind Cousin und Cousine, sie sind seit ihrer frühesten Jugend Gespielen gewesen. Wie kannst du das geringste Gewicht auf irgend etwas legen, was der arme Launce sagt oder tut.«
Der Ton, in dem Sir Joseph diese letzten Worte sprach, hatte etwas gutmütig Geringschätzendes, das seine Tochter tief verletzte. Er hätte in keinem anderen Tone von einem harmlosen Haustier reden können. Sie drückte Launces Hand sanft.
Turlington beharrte bei seinem Verlangen: »Ich muß noch einmal darauf dringen, ernstlich darauf dringen, daß du dieser wachsenden Vertraulichkeit der Beiden Einhalt tust. Ich habe nichts dagegen, daß du ihn von Zeit zu Zeit mit anderen Freunden einladest. Aber was ich wünsche und von dir erwarte, ist, daß er nicht mehr zu jeder Tages— und Abendstunde, wenn er vielleicht nichts anderes zu tun hat, wie man zu sagen pflegt, ins Haus fällt. Bist du damit einverstanden?«
»Wenn du es zur Bedingung machst, Richard, so bin ich natürlich damit einverstanden.«
Als der schwache Sir Joseph mit diesen Worten in das Verlangen Richards willigte, sah Launce Natalie an.
»Was habe ich dir gesagt?« flüsterte er. Natalie ließ schweigend den Kopf hängen. In der Unterhaltung auf dem Verdeck entstand eine Pause. Die beiden Herren gingen langsam nach dem Vorderdeck.
Launce verfehlte nicht, seinen Vorteil weiter zu verfolgen. »Dein Vater läßt uns keine Wahl«, sagte er. »Sobald wir wieder ans Land kommen, wird mir die Tür eures Hauses verschlossen werden. Wenn ich dich verliere, Natalie, weiß ich nicht, was aus mir werden soll. Aus meinem Beruf mache ich mir nichts, ich habe dann nichts mehr, was es mir der Mühe wert erscheinen ließe, weiter zu leben.«
»Still, still! Sprich nicht so!«
Launce versuchte es noch einmal mit dem besänftigenden Einfluß der Überredung: »Hundert und aber hundert Leute in unserer Lage haben sich heimlich verheiratet und haben nachher Vergebung gefunden«, fuhr er fort. »Ich verlange nicht von dir, daß du irgend etwas übereilt tust. Ich will mich ganz von deinen Wünschen leiten lassen. Alles, was ich verlange, um mein Gemüt zu beruhigen, ist die Gewißheit, daß du mir angehörst. Gib mir, ich flehe dich um alles, gib mir eine Gewähr dafür, daß Richard Turlington dich mir nicht entreißen kann.«
»Dränge mich nicht, Launce!« Mit diesen Worten sank sie wieder auf die Vorratskiste. »Sieh«, sagte sie, »schon der Gedanke daran macht mich zittern.«
»Vor wem fürchtest du dich denn, Liebchen? Doch nicht vor deinem Vater?«
»Der arme Papa! Das wäre das erste Mal in seinem Leben, daß er hart gegen mich wäre.« Sie hielt inne. Ihre feuchten Augen blickten flehend zu Launce auf. »Dringe nicht in mich!« wiederholte sie mit schwacher Stimme. »Du weißt, es ist unrecht. Wir würden es eingestehen müssen; und was würde dann geschehen?« Sie hielt wieder inne. Ihre Augen wandten sich wieder unruhig dem Deck zu. Dann fuhr sie mit noch leiserer Stimme als bisher fort: »Denk an Richard!..« Sie schauderte bei dem Gedanken an die Schrecken, welche dieser Name ihr vor die Seele rief. Noch ehe Launce ihr ein beruhigendes Wort sagen konnte, war sie wieder aufgestanden. Bei Richards Namen hatte sie sich plötzlich wieder an die geheimnisvolle Anspielung auf den Eigentümer der Yacht erinnert, welche Launce eben vorher gemacht hatte.
»Was war das, was du vorhin von Richard sagtest?« fragte sie. »Du sahest oder hörtest etwas Sonderbares, während Papa seine Geschichte erzählte. Was war das?«
»Ich beobachtete Richards Gesicht, Natalie, als dein Vater erzählte, daß der über Bord gefallene Mann keiner von der Mannschaft des Lotsenbootes gewesen sei. Bei diesen Worten wurde er unheimlich bleich. Das Bewußtsein der Schuld lag deutlich auf seinem Gesicht —«
»Der Schuld? Woran?«
»Er war dabei, als der Matrose über Bord geworfen wurde – davon bin ich fest überzeugt. Ja, nach allem, was ich von ihm weiß, sollte es mich nicht wundern, wenn er es selbst getan hätte.«
Natalie fuhr entsetzt zurück.
»O, Launce, Launce, wie kannst du nur so etwas denken! Du magst Richard nicht leiden können, du magst ihn als deinen Feind betrachten, aber eine so furchtbare Beschuldigung gegen ihn auszusprechen – das ist nicht großmütig von dir, das sieht dir gar nicht ähnlich!«
»Wenn du ihn angesehen hättest, würdest du dasselbe gesagt haben. Ich werde sowohl im Interesse deines Vaters, wie in unserem eigenen Interesse nähere Erkundigungen einziehen. Mein Bruder kennt einen Polizeikommissar, und von dem kann er gewiß das Nähere erfahren. Turlington ist nicht immer im Levantinischen Handel beschäftigt gewesen, das weiß ich schon.«
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