Gewiß! Es hieß »Browndown.« Nachdem wir uns noch weitere zehn Minuten immer tiefer und tiefer in die geheimnißvollen grünen Windungen des Thales verloren hatten, wurde endlich das Ziel unserer Reise sichtbar. Der Junge wies mit seiner Peitsche vor sich hin und sagte, indem er auch in diesem feierlichen Augenblick nicht mehr als drei einsilbige Worte vernehmen ließ:
»Da sind wir.«
Das war also Dimchurch! schüttelte den Kalkstaub von meinem Kleiderrock. Vergebens sehnte ich mich nach einem noch so kleinen Spiegel, um mich darin sehen zu können. Da stand die Bevölkerung mindestens fünf bis sechs Personen die sich, von den Wachen benachrichtigt, zusammengeschart hatte – und es lag mir als Frau ob, mich so vortheilhaft wie möglich zu präsentiren. Unser Weg führte uns längs der kleinen Straße hin. Ich lächelte der Bevölkerung zu und die Bevölkerung starrte mich ihrerseits an. An der einen Seite des Weges bemerkte ich drei oder vier Bauernhäuser mit ein wenig Weideland; dann einen Gasthof mit Namen »die gute Hand« und etwas mehr Weideland, und dann einen ganz, ganz kleinen Fleischerladen mit den Eingeweiden eines Hammels auf einer einzigen blauen Pieschüssel am Fenster und keinem andern Fleisch – und damit war das Dorf zu Ende und über diesen Laden hinaus war wieder nichts als grünes Weide und Hügelland zu sehen. An der andern Seite des Weges war eine Strecke weit nichts zu sehen als eine lange aus Steinen und Mörtel aufgeführte Mauer, welche die Nebengebäude eines Pachthofs umschloß. Auf diese Mauer folgte wieder eine kleine Gruppe von Häusern, denen das Siegel der Civilisation in Gestalt eines Postamts aufgedrückt war. Das Postamt befand sich in einem Laden, in welchem alle möglichen Artikel zu haben waren: Stiefeln und Speck, Zwieback und Flanell, Crinolinen und Tractätchen. Noch etwas weiter und es erschien wieder eine steinerne Mauer, ein Garten und ein Privatwohnhaus, welches sich sofort als das Pfarrhaus zu erkennen gab. Noch etwa weiter erhob sich auf einer Anhöhe eine kleine, einsame Kirche mit einem winzigen runden, weißen Thurm, welchen eine aus rothen Ziegelsteinen bestehende Spitze in Gestalt eines Auslöschers krönte. Und dann kam wieder nichts als Hügel und Himmel. Das war Dimchurch!
Was soll ich von den Einwohnern sagen? Ich glaube, ich muß die Wahrheit bekennen. Unter den Bewohnern fiel mir ein einziger wirklicher Gentleman und das war ein Schäferhund auf. Er allein fühlte sich – gedrungen, mir die Honneurs des Orts zu machen. Er hatte einen Schwanzstumpf, mit dem er mich unter großen Schwierigkeiten anwedelte, und ein gutes rechtschaffenes weiß und schwarz geflecktes Gesicht, das er mir zuthunlich in meine Hand steckte. »Willkommen, Madame Pratolungo, in Dimchurch und entschuldigen Sie die Arbeiter mit ihren Weibern, die da stehen und Sie angaffen. Der gute Gott, der uns Alle erschaffen, hat auch sie erschaffen, nur ist es ihm nicht so gut geglückt wie mit Ihnen und mir.« Ich gehöre zu den wenigen Menschen, welche die Sprache der Hunde, wie sie in ihren Gesichtern geschrieben steht, lesen können. Ich habe die Worte des Schäferhundes getreulich berichtet
Wir öffneten die Pforte des Pfarrhauses und traten ein. So war meine Land Seereise glücklich von Statten gegangen.
Drittes Kapitel.
Das arme Fräulein Finch
Das Pfarrhaus glich in einer Beziehung der Erzählung, die ich zu schreiben im Begriff stehe. Es bestand aus zwei Theilen. Der erste Theil, der vordere, welcher aus dem Mörtel und Kiesel der Gegend bestand, hatte kein Interesse für mich; der zweite Theil, der einen rechten Winkel mit der Rückseite des Vordertheils bildete, war augenscheinlich ein altes Gebäude. Es war, wie ich später hörte, seiner Zeit ein Nonnenkloster gewesen. Hier sah man gemüthliche kleine gothische Fenster und dunkle mit Epheu bedeckte Mauern von ehrwürdigem Stein, welche in einer früheren Zeit an einigen Stellen mit zierlichen rothen Backsteinen aus gebessert waren. Ich hatte gehofft, daß ich das Haus von dieser Seite her betreten würde. Aber nein. Der Junge schien einen Augenblick lang nicht zu wissen, was er mit mir anfangen solle, führte mich aber dann an eine Thür der neueren Seite des Gebäudes und zog die Glocke.
Ein unordentlich aussehendes junges Dienstmädchen öffnete mir die Thür.
Vielleicht war die Pflicht, Fremde zu empfangen, etwas neues für diese Person, oder vielleicht wurde sie durch eine Herde von Kindern in schmutzigen Kleidern, welche auf dem Vorplatze auf uns losstürzten, bei dem Anblick einer Fremden aber dann eben so rasch kreischend wieder in unsichtbare hintere Raume verschwanden, außer Fassung gebracht, – jedenfalls schien auch sie durchaus nicht zu wissen, was sie mit mir anfangen solle. Nachdem sie mein Gesicht eine Zeitlang angestarrt hatte, öffnete sie plötzlich eine am Vorplatz liegende Thür und führte mich in ein kleines Zimmer. Aus diesem mir so gebotenem Asyl stürzten bei meinem Eintritt wieder zwei Kinder in schmutzigen Kleidern kreischend heraus. Ich nannte meinen Namen, sobald ich zu Worte kommen konnte. Das Mädchen schien entsetzt über die Länge des Namens. Ich gab ihr meine Karte; sie nahm sie zwischen ihren schmutzigen Zeigefinger und ihren ebenso schmutzigen Daumen, betrachtete sie, als ob es eine außerordentliche Natur Merkwürdigkeit sei, drehte sie um, indem sie mit ihrem Zeigefinger und Daumen verschiedene schwarze Flecke darauf drückte, verzweifelte dann ersichtlich daran, über die Bedeutung der Karte ins Klare zu kommen und ging hinaus. Draußen wurde sie, wie ich aus den an mein Ohr dringenden Tönen schloß, durch einen neuen Sturm der Kinder auf dem Vorplatz zurückgehalten. Ich hörte Flüstern, Kichern und dann und wann einen lauten Stoß gegen die Thür. Vermuthlich auf Antrieb der Kinder, jedenfalls von ihnen geschoben, trat das Mädchen plötzlich wieder in die Thür. »Wollen Sie gefälligst mit mir kommen,« sagte sie. Die Kinderschaar zog sich wieder treppenaufwärts zurück. Eines derselben, das meine Karte in der Hand hielt, schwang diese, auf dem ersten Treppenabsatz stehend, hin und her.
Das Mädchen führte mich über den Vorplatz und öffnete eine an der andern Seite desselben liegende Thür. Unangemeldet trat ich so in ein anderes größeres Zimmer Was fand ich hier?
Endlich war das Glück mir günstig gewesen. Mein guter Stern hatte mich zu der Frau vom Hause geführt. Ich machte meinen besten Knix und fand mich einer großen blonden, languissanten lymphatischen Dame gegenüber, die sich in dem Augenblicke meines Erscheinens offenbar die Zeit damit vertrieben hatte, im Zimmer auf und abzugehen. Wenn es wirklich Wassernixen giebt, so war sie gewiß eine. Aus ihrem farblosen weißen Gesicht lag ein feuchter Schimmer und ihre blaßblauen Augen hatten etwas unaussprechlich Wässeriges. Ihr Haar war ungemacht und ihre Spitzenhaube saß ihr ganz schief auf dem Kopfe. Ihr Oberkörper war in eine lose Jacke von blauen Merino gekleidet; ihr Unterkörper von einem Dimiti-Schlafrock von zweifelhaftem Weiß umhüllt. In der einen Hand hielt sie ein schmutziges, reichlich mit Eselsohren versehenes Buch, dem ich es auf der Stelle ansah, daß es ein Leihbibliotheksroman sei. Mit der andern Hand hielt sie ein auf ihrem Arm ruhendes, in Flanell gewickeltes Baby, das an ihrer Brust sog. So trat mir die Frau des ehrwürdigen Finch zuerst entgegen, und so und nicht anders sollte sie mir auch in der Folge immer wieder erscheinen. Niemals ganz angezogen, niemals ganz trocken, immer mit einem Baby in der einen und einem Roman in der andern Hand.
»O! Madame Pratolungo? Ja. Ich hoffe, daß jemand Fräulein Finch angezeigt hat, daß Sie hier sind. Sie hat ihr eigenes Logis und besorgt alle ihre Angelegenheiten selbst. Haben Sie eine gute Reise gehabt?« Sie sprach diese Worte wie abwesend, als ob ihr Geist mit etwas anderem beschäftigt sei. Mein erster Eindruck war, daß sie eine schwache gutmüthige Frau sei und daß sie früher eine untergeordnete Stellung im Leben eingenommen haben müsse.
»Ich danke Ihnen, Frau Finch,« antwortete ich, »die Reise über Ihre schönen Hügel hat mir das größte Vergnügen gemacht «
»O, gefallen Ihnen die Hügel? Entschuldigen Sie meinen Anzug. Ich bin diesen Morgen eine halbe Stunde zu spät aufgestanden. Und wenn man in diesem Hause