Durchs Gras das Sonnenaug'!
Und knisternd zieht durchs Bambusried
Des Frühlings Warnungshauch.
Fremd Busch und Strauch dem Dunkelaug',
Das scheu nur blinzeln mag,
In Lüften frei Wildentenschrei:
Des Menschen ist der Tag!
Und Fell und Gras, vom Taue naß,
In Sonne trocken dampft;
Es birst der Schlamm am Uferdamm,
den nächtens wir zerstampft.
Der Nacht Verrat deckt auf den Pfad
Von Pfot' und Klau' und Huf –
Nun – wer da Dschungelfrieden hält,
Gut Rast! – ihm gilt der Ruf!
Keine Übertragung aber kann die Wirkung wiedergeben noch den gellenden Hohn, den die vier in jedes Wort legten, als sie die Bäume krachen hörten, denn die Männer kletterten hastig hinauf ins Geäst, und Buldeo begann Beschwörungen und Zauberformeln vor sich hin zu lallen.
Dann legten sich die Wölfe nieder zum Schlafen, denn wie bei allen, die von eigener Körperkraft leben, war ihr Denken methodisch, und niemand kann gut arbeiten ohne Schlaf. Inzwischen legte Mogli neun Meilen in der Stunde zurück, sich leicht voranschwingend und erfreut darüber, daß er nach den einzwängenden Monaten unter den Menschen noch in so guter Form war. In seinem Kopf war der eine Gedanke, Messua und ihren Mann aus der Falle zu befreien, welcher Art diese auch sein mochte, denn er hatte ein natürliches Mißtrauen gegen Fallen. Späterhin, so gelobte er sich, würde er dem Dorf großzügig die Schuld heimzahlen.
Es begann schon zu dämmern, als er die wohlbekannten Weidegründe und den Dhâkbaum erblickte, unter dem Graubruder ihn erwartet hatte an jenem Morgen, da er Schir Khan erlegte. So zornig er auch war auf Menschen und Menschengemeinschaft, schnürte doch etwas seine Kehle zusammen, so daß er tief Atem schöpfen mußte, als er die Dächer des Dorfes erblickte. Ihm fiel auf, daß die Bewohner ungewöhnlich früh von den Feldern heimgekehrt waren, und anstatt die Abendmahlzeit zu bereiten, sich alle unter dem Dorfbaum versammelt hatten, schwatzten und schrien.
Menschen müssen immer Fallen stellen den Menschen, sonst sind sie nicht zufrieden, dachte Mogli. Vor zwei Nächten galt es Mogli, doch das scheint schon viele Regenzeiten her zu sein. Heute abend sind es Messua und ihr Mann. Morgen und viele weitere Nächte vielleicht wird wieder Mogli an der Reihe sein.
Er schlich sich an der Umwallung des Dorfes bis zu Messuas Hütte und blickte dann durch das Fenster ins Innere. Messua lag, geknebelt und an Händen und Füßen gefesselt, schwer stöhnend am Boden. Ihr Mann war an der buntbemalten Bettstatt festgebunden. Die Tür der Hütte, die sich nach der Straße öffnete, war fest verrammelt, und drei oder vier Männer saßen davor, den Rücken gegen die Tür gelehnt.
Mogli kannte Sitten und Gepflogenheiten der Dörfler ziemlich genau. Solange sie essen, schwatzen und rauchen konnten, überlegte er, würde nichts weiter geschehen; aber sobald sie gesättigt waren, wurden sie gefährlich. Buldeo mußte in Kürze beim Dorfe eintreffen, und wenn seine Begleitung ihre Pflicht getan hatte, würde er eine spannende Geschichte zu erzählen haben. Mogli stieg durch das Fenster, neigte sich über den Mann und die Frau, durchschnitt die Fesseln, zog die Knebel heraus und sah sich in der Hütte nach Milch um.
Messua war halb toll vor Schmerz und Angst, denn sie war den ganzen Morgen hindurch geprügelt und gesteinigt worden; und Mogli legte ihr noch gerade rechtzeitig die Hand auf den Mund, um sie am Schreien zu hindern. Der Mann war nur zornig und verwirrt, saß da und zupfte Schmutz und Splitter aus dem Bart.
»Ich hab's gewußt – hab's gewußt, er würde kommen«, schluchzte Messua endlich. »Jetzt weiß ich, daß er mein Sohn ist«, und sie preßte Mogli ans Herz. Bis dahin war Mogli vollkommen gleichgültig geblieben, aber nun begann er über und über zu zittern, und das setzte ihn in unbeschreibliches Erstaunen.
»Was sollten diese Stricke? Warum haben sie dich gebunden?« fragte er nach kurzem Schweigen.
»Um zu Tode gefoltert zu werden, weil wir dich als Sohn aufnahmen – was sonst?« sagte der Mann mürrisch. »Sieh her, ich blute.«
Messua schwieg. Aber nur ihre Wunden sah Mogli, und seine Zähne knirschten beim Anblick ihres Blutes.
»Wer hat das getan? Einen hohen Preis wird man dafür zahlen.«
»Das ganze Dorf tat es. Zu reich war ich, besaß zu viele Rinder. Darum sind sie und ich Zauberer, und weil wir dir Obdach gaben.«
»Ich verstehe nicht. Messua, erzähle du.«
»Milch gab ich dir, Nathu, weißt du noch?« begann Messua zaghaft. »Denn du bist mein Sohn, den der Tiger raubte, und ich liebe dich von Herzen. Sie sagten, ich wäre deine Mutter, die Mutter eines Teufels, und deshalb verdiente ich den Tod.«
»Und was ist ein Teufel?« fragte Mogli. »Tod habe ich schon gesehen.«
Der Mann blickte düster unter seinen Brauen hervor, Messua aber lachte. »Sieh«, sprach sie zu ihrem Mann, »ich wußte – wußte immer, daß er kein Zauberer ist. Mein Sohn ist er, mein Sohn!« »Sohn oder Zauberer, was nützt uns das«, entgegnete der Mann. »Töten wird man uns trotzdem.«
»Dort läuft der Weg durch die Dschungel –«, Mogli wies durch das Fenster. »Frei sind eure Hände und Füße, geht jetzt.«
»Wir kennen die Dschungel nicht, mein Sohn, wie – wie du sie kennst«, begann Messua. »Ich glaube auch nicht, daß ich weit wandern könnte.«
»Und die Männer und Frauen würden auch hinter uns her sein und uns hierher zurückschleppen«, sagte der Mann.
»Hm«, meinte Mogli und kitzelte seine Handfläche mit der Spitze des Jagdmessers. »Ich wünsche nicht, irgendwem im Dorf ein Leids zu tun – dennoch – aber ich glaube nicht, daß sie euch zurückhalten werden. Binnen kurzem werden sie an ganz anderes zu denken haben. Aha!« Er erhob den Kopf und lauschte auf das Schreien und Trampeln draußen. »So haben sie Buldeo nun heimkehren lassen.«
»Diesen Morgen wurde er ausgeschickt, dich zu töten«, rief Messua. »Bist du ihm begegnet?«
»Ja – wir – ich begegnete ihm. Eine Geschichte kann er erzählen, und während er redet, bleibt Zeit, vieles zu tun. Aber ich muß erst wissen, was sie vorhaben. Überlegt, wohin ihr euch wenden könnt, und sagt es mir, wenn ich zurückkomme.«
Er schwang sich aus dem Fenster und lief wieder außen an der Umwallung entlang, bis er in Hörweite der Menge gelangte, die um den wilden Feigenbaum versammelt war. Buldeo lag auf der Erde, ächzte und stöhnte, und alle bestürmten ihn mit Fragen. Das Haar hing ihm wirr um den Kopf, Arme und Beine waren zerschunden vom Klettern auf die Bäume; kaum vermochte er zu sprechen, aber war sich doch der Bedeutung seiner Person sehr bewußt. Ab und zu murmelte er etwas von Teufeln, singenden Teufeln und magischen Verzauberungen, um der Menge einen Vorgeschmack zu geben von dem, was folgen würde. Dann rief er nach Wasser.
»Bah«, dachte Mogli, »immer nur Geschwätz und Geschnatter. Blutsbrüder des Affenvolkes sind die Menschen. Jetzt muß er erst seinen Mund mit Wasser waschen, dann Rauch blasen; und wenn das alles getan ist, so hat er noch seine Geschichte zu erzählen. Wahrlich, ein weises Volk, diese Menschen! Niemanden werden sie zurücklassen, um Messua zu bewachen, bis ihre Ohren vollgestopft sind mit Buldeos Geschichten, und – ich werde auch so träge wie sie!«
Er schüttelte sich und schlich nach der Hütte zurück. Gerade, als er unter dem Fenster war, fühlte er eine Berührung am Fuß.
»Mutter«, sagte er, denn er kannte diese Zunge gut, »was hast du hier zu schaffen?«
»Meine Kinder hörte ich durch den Wald singen; und ich folgte ihm, den ich am meisten liebe. Kleiner Frosch, ich habe das Verlangen, die Frau zu sehen, die dir Milch gab«, sagte Mutter Wolf, die ganz durchnäßt war vom Tau.
»Man hat sie gefesselt und wollte sie töten. Die Stricke habe ich durchschnitten, und jetzt wird sie mit ihrem Mann durch die Dschungel gehen.«
»Ich