Der rote Komet. Robert Heymann. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Robert Heymann
Издательство: Public Domain
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Жанр произведения: Зарубежная классика
Год издания: 0
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›Lumen‹-Platte ist so empfindlich, dass sie die schwächsten Reaktionen mit genauester Deutlichkeit wiedergibt! Die Platte hat nicht nur die Gesichter all dieser Elenden fotografiert, sondern auch ihre heimlichsten, tiefsten und innerlichsten Gedanken. Ha! Ich halte also jetzt den Schlüssel zu einer neuen, geheimnisvollen und furchtbaren Wissenschaft in Händen! Ich werde imstande sein, von heute ab zu wissen, was jeder Mensch denkt!«

      Selbstverständlich hatten sich die Gedanken, von denen Romulus Futurus sprach, nicht in Schriftzeichen auf der Fotografie kopiert. Es ist eine alte Weisheit, dass jedes Ding auf Erden einen Reflex hinterlässt, jede Bewegung, jede Schall-, jede Lichtwelle. Ebenso gibt auch der menschliche Gedanke, so schnell er immer gedacht sein mag, einen unwillkürlichen Reflex in den menschlichen Mienen, so deutlich, dass jedes Kind den Gedanken lesen könnte, wenn sein Auge nur scharf genug wäre, den Reflex zu sehen.

      Romulus Futurus hätte kein so großer Psychologe sein müssen, um nicht die Empfindung, die sich in den Mienen des Einzelnen in dem Moment der photographischen Aufnahme ausgeprägt hatte, lesen zu können.

      »Es ist ein Wunder! Ein unnennbares Wunder!« murmelte Frau Fabia, die immer noch nicht die Kraft besaß, sich zu erheben, und mit einer Miene wahnsinnigen Entsetzens auf ihren Gatten blickte. »Ich habe deutlich gesehen, dass aller Augen auf den photographischen Apparat gerichtet waren. Und doch blickt jetzt auf der entwickelten Fotografie jeder nach einer anderen Seite!«

      »So groß ist die Beweglichkeit des menschlichen Auges, so enorm die Verwandlungsmöglichkeit der Iris!« stieß Romulus Futurus zwischen den Zähnen hervor. Plötzlich beugte er sich zu Frau Fabia nieder.

      »Siehst du dein Gesicht? Siehst du deine Mienen? Siehst du, wie du zu John Crofton hinüberblickst? Ah, nicht genug, dass ich nur einen einzigen Freund besitze! Du willst ihn mir noch rauben! Der starre Blick, mit dem du ihn betrachtest, beweist mir alles! Warum denkst du immer an ihn? Warum beschäftigten sich deine Gedanken in dem Augenblick, da ich die photographische Aufnahme machte, einzig nur mit ihm?«

      »Ich liebe ihn ja nicht, ich hasse und verabscheue ihn!« rief Fabia verzweifelt. Aber Romulus Futurus hörte nicht auf sie. Er fuhr fort, den Blick in die Fotografie förmlich vergrabend:

      »Miss Head-Divina sieht zu dem reichen Krösus hinüber. Ihre Miene ist schrecklich, halb Wahnsinn, halb diabolische Grausamkeit und Schlechtigkeit. Wie sie Ralph Jonathan Wieland anblickt! Ihr Auge taucht förmlich in das seine! Ihr Gesicht, das im Moment der Aufnahme ernst und starr gewesen wie Stein, ihr Gesicht lächelt, und um ihre Mundwinkel ringeln sich abscheuliche Schlangen. Soll ich dir sagen, was sie denkt? Hier steht es geschrieben! Hier steht es! Seid ihr nicht alle gleich, ihr Frauen?«

      »Ja, ich bin geneigt, Ihren Antrag zu erhören, Ralph Jonathan Wieland«, sagt sie. »Aber – Siehst du, Fabia, wie sie sich zu gleicher Zeit halb zu meinem Freunde John Crofton hinüberwendet? Und da! Da!« —

      Romulus Futurus schüttelte sich und heftete den Nagel des rechten Zeigefingers auf das Gesicht Ralph Jonathan Wielands.

      »Siehst du die scheußliche Grimasse des Krösus? Siehst du, wie er meinen Freund John Crofton anstarrt? Die Lippen Wielands sind halb geöffnet. Ich sehe förmlich die gefletschten Zähne! Die Nasenflügel sind hinaufgezogen, wie man dies bei wilden Tieren im Augenblick des Angriffs bemerken kann. Die Augen sind zusammengekniffen, und strahlenförmig spannen sich die Falten um seine Schläfen!«

      Romulus Futurus schwieg. Seine Augen öffneten sich unnatürlich weit, denn er las, las deutlich auf diesem bis zur Scheußlichkeit verzerrten Gesicht den furchtbaren Gedanken, der Ralph Jonathan Wieland im Augenblick der Aufnahme beherrschte.

      Inzwischen blickte Frau Fabia mit nicht minder entsetzten Augen auf das Gesicht der jungen Fürstin Angelika, die Romulus Futurus ansah. Auch ihre Gedanken waren mit unverkennbarer Deutlichkeit fotografiert, und Frau Fabia las, las mit blutendem Herzen die Gedanken der Fürstin:

      »Romulus Futurus, ich liebe dich in Ewigkeit!«

      Und neben der Fürstin saß Dr. Diabel und starrte sie an und dachte:

      »Ich werde dich zu Tode martern, wenn du mich nicht erhörst!«

      Romulus Futurus schrie plötzlich auf und starrte mit fiebernden Augen hinaus in die Nacht.

      »Er will meinen Freund John Crofton töten! Jawohl, so ist es! In dieser Nacht noch! Ralph Jonathan Wieland dachte darüber nach, wie er John Crofton aus dem Wege räumen konnte, um sich selbst in den Besitz seiner Geliebten, der Schauspielerin Happy Head-Divina zu setzen!«

      Und in einer Anwandlung von Abscheu und Verzweiflung warf Romulus Futurus die kostbare Platte zu Boden, zertrat sie mit den Füßen und zerriss die Fotografie in tausend Fetzen, so dass er nicht mehr die Gedanken der Fürstin Angelika lesen konnte, nicht mehr das, was der Student dachte, während Frau Fabia im letzten Augenblick noch deutlich von den Lippen Happy Head-Divina den Gedanken abgeschaut hatte:

      »Ich muss versuchen, alles von dem General zu erfahren, denn die englische Regierung verlangt die Pläne des Kriegshafens von Kiel!«

      Wie gesagt, die Entdeckung, welche Frau Fabia gemacht hatte, kannte Romulus Futurus nicht. Ihn beherrschte nicht nur die Erkenntnis, dass Ralph Jonathan Wieland in dieser Nacht seinen Freund John Crofton töten wollte; und während er darüber nachsann, wie er den Freund retten könnte, kam er auf eine bizarre Idee.

* * *

      III

      Die Sternwarte des Romulus Futurus lag gerade im Tiergarten, etwa dort, wo vor einigen hundert Jahren der »Große Stern« gewesen. Von hier aus beherrschte die Sternwarte ganz Berlin. Die neue Stadt war nämlich in einem großen Halbkreis gebaut worden und gruppierte sich, etwa von der ehemaligen Jungfernheide angefangen, in einem Bogen, der allerdings viele, viele Stunden weit über den Gesundbrunnen, die Schönhauser Allee, Neu-Weißensee, Rummelsburg, Stralau, Rixdorf, Schöneberg und Wilmersdorf hinausreichte, um den Tiergarten.

      Von seiner Sternwarte aus konnte also Romulus Futurus ganz Berlin, übersehen und beobachten. Ja, er konnte noch mehr! Er erinnerte sich, dass Ralph Jonathan Wieland in der ehemaligen Königgrätzerstraße Wohnung genommen hatte. Diese war die erste Straße, die, von der Sternwarte an gerechnet, jenseits des Tiergartens überhaupt bewohnt werden durfte. Dort standen denn auch die Paläste der reichsten Millionäre von Berlin, darunter das Riesenhaus Ralph Jonathan Wielands.

      Schon oft hatte Romulus Futurus nach jener Richtung geblickt und mit dem Glase den Nabob beobachten können.

      »Ich habe keine Zeit zu verlieren!« murmelte er.

      Ohne sich um Frau Fabia zu bekümmern, die ihn mit vorgestrecktem Hals beobachtete und plötzlich von dunklem, unbewusstem Grauen ergriffen, aus der Sternwarte floh, setzte Romulus Futurus den Riesenscheinwerfer in Tätigkeit. Er schraubte die Linse so zu, dass der Lichtschein keinen größeren Umfang hatte als höchstens 1 Meter. Diesen schmalen, spitzen Lichtstrahl ließ er geradeaus nach dem Schlafzimmer des Ralph Jonathan Wieland gleiten.

      Er selbst bewaffnete seine Augen mit einem scharfen Vergrößerungsglas. Es hatte die Form einer Automobilbrille. Die kleinen Gläser saßen auf hohen, runden, schwarzen Einfassungen, die wieder hohl auf den Augen lagen. So stellte er sich an das Fenster und beobachtete. In dem Bruchteil einer Minute, bevor Ralph Jonathan Wieland auf die Störung durch den weißen Strahl aufmerksam gemacht wurde, sah Romulus Futurus durch das geöffnete Fenster, dass der Krösus eben damit beschäftigt war, eine kleine schwarze Kugel mit Acetylen zu füllen. Er begriff sofort den schändlichen Mordplan dieses von Leidenschaften ganz und gar irre geführten Millionärs.

      Acetylen war nämlich das neueste, furchtbarste Sprengmittel, das man im dritten Jahrtausend kannte und Acetylengranaten waren bereits bei allen schweren Geschützen eingeführt. Diese Geschosse bestanden aus Holzbüchsen mit Eisenkern, die mit Calcium Carbid gefüllt waren. Unter dem Calcium Carbid lag eine Schicht Phosphatkalium, die, sobald Wasser eindrang, Phosphorwasserstoff bildete, während das Calcium Carbid das Acetylen entwickelte. Sowie der Phosphorwasserstoff mit Luft in Berührung kam, entzündete er sich von selbst und setzte das Acetylen in Brand, das eine furchtbare Flamme entwickelte, dass die größten Wassermassen nicht hinreichen konnten, sie zu löschen.

      Ohne Zweifel wollte Ralph