Auch an die europäischen Beamten wird eine Belohnung im Verhältnis zur Produktion gezahlt.
Wohl wird also der arme Javane durch doppelte Gewalt vorwärts gepeitscht; wohl wird er von seinen Reisfeldern fortgezogen; wohl ist Hungersnot die Folge dieser Maßregeln; aber fröhlich flattern zu Batavia, zu Samarang, zu Surabaja, zu Passaruan, zu Besuki, zu Probolingo, zu Patjitan, zu Tijlatjap die Flaggen an Bord der Schiffe, die beladen werden mit den Ernten, die Nederlanden reich machen.
Hungersnot …? Auf dem reichen, fruchtbaren Java Hungersnot? Ja, Leser, vor wenigen Jahren sind ganze Distrikte ausgestorben vor Hunger: Mütter boten ihre Kinder zur Speise feil, Mütter haben ihre Kinder verzehrt …
Aber dann hat sich das Mutterland mit der Sache befaßt. In den Sälen der Volksvertretung ist man damit unzufrieden gewesen, und der damalige Landvogt hat befehlen müssen, daß man die Ausbreitung der sogenannten »Europäischen Markt-Produkte« nicht wieder bis zu einer Hungersnot fortsetzen solle …
Ich bin bitter geworden. Was würdet ihr von jemand denken, der solche Dinge ohne Bitterkeit niederschreiben könnte?
Ich habe noch von der letzten und vornehmsten Art der Einkünfte inländischer Häupter zu sprechen: von ihrer willkürlichen Bestimmung über Person und Eigentum ihrer Unterthanen.
Nach den in ganz Asien herrschenden Begriffen gehört der Unterthan mit allem, was er besitzt, dem Fürsten. Die Nachkommen oder Verwandten der früheren Fürsten machen gern Gebrauch von der Unkenntnis der Bevölkerung, die nicht recht begreift, daß ihr Tomonggong, Adipati oder Pangerang jetzt ein besoldeter Beamter ist, der seine eigenen und ihre Rechte für eine feste Rente verkauft hat, und daß daher die filzig bezahlte Arbeit in der Kaffee- oder Zucker-Plantage an die Stelle der Lasten getreten ist, die sie früher für ihre Herren aufbrachten. Nichts ist daher gebräuchlicher, als daß Hunderte von Familien aus weiter Entfernung herbeigerufen werden, um ohne Bezahlung Felder zu bearbeiten, die dem Regenten gehören: nichts ist gebräuchlicher als die unbezahlte Lieferung von Lebensmitteln für die Hofhaltung des Regenten, und wenn der Regent ein gnädiges Auge wirft auf das Pferd, den Büffel, die Tochter, die Frau des kleinen Mannes, würde man es ungehörig finden, wenn dieser sich weigerte, den begehrten Gegenstand bedingungslos abzutreten.
Es giebt Regenten, die von solcher willkürlichen Bestimmung einen mäßigen Gebrauch machen und nicht mehr von dem kleinen Mann sondern als durchaus nötig ist, um ihren Rang aufrechtzuerhalten Andere gehen etwas weiter, und gänzlich fehlt die Gesetzlosigkeit nirgends. Es ist auch schwer, ja unmöglich, solchen Mißbrauch gänzlich auszuroden, denn er liegt in der Natur des Volkes begründet, das darunter leidet. Der Javane ist sanft, vor allem, wo es ihm darum zu thun ist, seinem Regenten, dem Abkömmling derer, dem seine Väter unterthan waren, einen Beweis von Ergebenheit zu geben: ja er würde glauben, der Ehrerbietung, die er seinem angestammten Herrn schuldig ist, zu wenig zu thun, wenn er dessen »Kratoon« ohne Geschenke beträte. Diese Geschenke sind oft von so geringem Werte, daß das Abweisen etwas Erniedrigendes in sich schließen würde, und diese Gewohnheit ist eher mit der Hingebung eines Kindes zu vergleichen, das seine Liebe zum Vater im Anbieten einer kleinen Gabe äußern möchte, denn als Tribut an tyrannische Willkür aufzufassen.
Aber so macht das Bestehen einer liebenswürdigen Sitte das Abschaffen eines Mißbrauchs sehr schwierig.
Wenn der »Aloon-aloon« vor dem Wohnsitz des Regenten verwildert daläge, so würde sich die Nachbarschaft darüber schämen, und es wäre viel Gewalt nötig, um sie zu verhindern, den Platz von Unkraut zu säubern und in einen Stand zu bringen, der dem Range des Regenten angemessen ist. Bezahlung dafür zu geben, würde man als eine allgemeine Beleidigung empfinden. Aber in der Nähe dieses Aloon-aloon oder sonstwo liegen Sawahs, die warten auf den Pflug oder auf eine Wasserleitung, die oftmals meilenweit das befruchtende Naß herbeischaffen soll: die Sawahs gehören dem Regenten. Er ruft, um seine Sawahs zu bewirtschaften, die Insassen ganzer Dörfer auf, deren eigene Sawahs die Arbeit ebenso sehr brauchen … Sieh da den Mißbrauch.
Der Regierung ist das bekannt, und wer die Staatsblätter liest, die die Gesetze, Weisungen und Instruktionen für die Beamten enthalten, dem geht das Herz auf bei all der Menschenliebe und Rechtschaffenheit, die bei der Ausarbeitung dieser Vorschriften den Vorsitz geführt haben. Überall wird dem Europäer, der mit der Gewalt im Binnenlande bekleidet ist, als eine seiner treuesten Pflichten ans Herz gebunden, die Eingeborenen gegen ihre eigene Unterwürfigkeit und die Habsucht ihrer Häupter zu schützen, und als wäre es noch nicht genug, diese Pflicht allgemein vorzuschreiben, wird noch den Adsistent-Residenten, beim Antritt der Verwaltung eines Bezirks, ein besonderer Eid abgenommen, daß sie die väterliche Sorge für die Bevölkerung als eine erste Pflicht betrachten werden.
Eine schöne Aufgabe. Gerechtigkeit üben; den Geringen beschirmen gegen den Mächtigen, den Schwachen schützen gegen die Übermacht des Starken, das Lamm des Armen aus den Ställen des königlichen Räubers zurückfordern ja, es ist, um das Herz glühen zu machen vor Freude, bei dem Gedanken, daß man zu etwas Schönem berufen ist Und wer im javanischen Binnenlande mit seiner Stellung oder Belohnung unzufrieden ist, der erhebe seine Augen zu der erhabenen Pflicht, die auf ihm ruht, auf das herrliche Bewußtsein, das die Erfüllung solcher Pflicht mit sich bringt, und er wird keine andere Belohnung begehren.
Aber leicht ist die Pflicht nicht. Zuerst hätte man genau zu unterscheiden: wo hat die Sitte aufgehört, um dem Mißbrauch Platz zu machen? und, wo der Mißbrauch besteht, wo in der That Raub oder Willkür herrscht, da sind oftmals die Schlachtopfer selbst mitschuldig, sei es aus zu weit getriebener Unterwürfigkeit, sei es aus Furcht, sei es aus Mißtrauen gegen den Willen oder die Kraft desjenigen, der sie beschirmen soll. Jeder weiß, daß der europäische Beamte jeden Augenblick in ein anderes Amt berufen werden kann, und daß der Regent, der mächtige Regent, dableibt. Ferner giebt es so viele Arten, um sich das Eigentum eines armen einfältigen Menschen anzueignen. Wenn ein Mantri ihm sagt, daß der Regent sein Pferd begehrt, mit der Folge, daß das begehrte Tier bereits einen Platz in den Stallungen des Regenten erhalten hat, so beweist das noch nicht, daß dieser nicht die Absicht hatte, dafür einen hohen Preis zu zahlen in einiger Zeit. Wenn Hunderte auf den Feldern eines solchen Großen arbeiten, ohne dafür bezahlt zu werden, folgt daraus keineswegs, daß er das zu seinem Vorteil geschehen ließ. Konnte nicht seine Meinung sein, ihnen die Ernte zu überlassen, aus der gutherzigen Berechnung, daß sein Grund und Boden besser gelegen wäre, fruchtbarer als der ihrige, und deshalb ihre Arbeit besser lohnen würde?
Außerdem, woher bekommt der europäische Beamte die Zeugen, die den Mut haben, eine Aussage gegen ihren Herrn, den Regenten, abzugeben? Und, wagte er eine Anklage, ohne sie beweisen zu können, wo bleibt da das Verhältnis des älteren Bruders, der ja in einem solchen Falle seinen jüngeren Bruder grundlos in seiner Ehre gekränkt hätte? Wo bleibt die Gunst der Regierung, die ihm Brot giebt für seinen Dienst, die ihm aber das Brot aufkündigt, die ihn als ungeschickt entläßt, wenn er eine so hochgestellte Persönlichkeit wie einen Adipati oder Pangerang leichtfertig verdächtigt oder angeklagt hat?
Nein, nein, leicht ist diese Pflicht nicht Das ergiebt sich schon daraus, daß jeder überzeugt ist, daß jedes inländische Haupt die Grenze der erlaubten Verfügung über Arbeit und Eigentum überschreitet, daß alle Adsistent-Residenten den Eid leisten, Wandel zu schaffen, und daß doch sehr selten ein Regent des Mißbrauchs der Gewalt oder der Willkür angeklagt wird.
Es scheint also eine unüberwindliche Schwierigkeit zu bestehen, um dem Eid Folge zu geben: »die Eingeborenen zu beschirmen gegen Aussaugung und Erpressung.«
Sechstes Kapitel
Stern