»Und wenn es so ist,« fiel sie ein, »so wissen Sie denn, daß ich diesen Mann liebe und daß mich die Meinung, welche Sie über meine und seine Liebe hegen, wenig kümmert. Weshalb mischen Sie Sich darein? Mit welchem Recht reden Sie so mit mir? Und wenn ich entschlossen bin . . .«
Hier brach sie ab und verschwand.
Ich blieb im Salon und fühlte mich plötzlich so verwirrt, daß ich mein Gesicht mit den Händen bedeckte. Ich verstand vollkommen das Unzarte, die Niedrigkeit meiner Handlungsweise, Scham und Reue schnürten mir das Herz zu; ich betrachtete mich wie ein entehrtes Wesen. »Großer Gott,« rief ich, »was habe ich gethan?«
»Anton, Anton,« rief die Magd im Vorzimmer, »bringen Sie rasch dem Fräulein Sophie ein Glas Wasser!«
»Was ist ihr begegnet?« fragte Anton.
– »Sie weint, sie weint«
Ich erschrak und trat in den Salon, meinen Hut zu holen.
»Was haben Sie denn Sophien gesagt?« fragte mich gleichgültig Barbara, dann nach einer kleinen Weile fuhr sie fort: »Da geht der Schreiber noch immer durch die Straße.«
Ich näherte mich der Thüre.
»Wo wollen Sie hin,– sagte sie, »warten Sie einen Augenblick, meine Mutter kommt gleich.«
»Nein, ich kann jetzt nicht bleiben, ich komme lieber ein andermal.« In diesem Augenblick sah ich mit Schrecken Sophie festen Schrittes in das Zimmer treten. Ihr Gesicht war noch bleicher als gewöhnlich, nur ihre Wangen überflog eine leise Röthe. Sie sah mich gar nicht an.
»Sieh doch,« sagte Barbara, – »wer mag nur der Beamte sein, der so um unser Haus herumstreicht?«
»Vielleicht ein Spion,« erwiderte Sophie mit kaltem, verächtlichem Tone.
Das war zu viel. Ich ging hinaus und weiß wahrlich nicht, wie ich meine Wohnung erreichte.
Ich kann den bitteren Schmerz, welchen ich empfand, nicht schildern. Ich war völlig niedergebeugt. An einem einzigen Tag zwei furchtbare Schläge! Ich hatte erfahren, daß Sophie einen Andern liebte und hatte für immer ihre Achtung verloren. Ich fühlte mich so beschämt, so schuldig, daß ich mich nicht einmal über mich selbst ärgern konnte. Auf meinem Sopha liegend, das Gesicht gegen die Wand gekehrt, fühlte ich eine Art grausamer Genugthuung darin, mich meiner Verzweiflung zu überlassen, als ich mit einem Male Schritte im Vorzimmer vernahm. Ich erhob den Kopf und vor mir stand einer meiner vertrautesten Freunde: Jakob Passinkow.
Ich war in diesem Augenblick schlecht ausgelegt, Besuche zu empfangen, aber es wäre mir unmöglich gewesen, Passinkow nicht willkommen zu heißen. Nein, im Gegentheil; in der Herde meines Schmerzes freute es mich, ihn zu sehen, und ich grüßte ihn mit Kopfnicken.
Er ging seiner Gewohnheit gemäß eine Weile in meinem Zimmer auf und ab, seine langen Glieder streckend und ausspannend, dann blieb er eine Weile vor mir stehen und setzte sich schweigend in eine Ecke.
Ich kannte Jakob schon lange, beinahe seit meiner Kindheit, aus der Erziehungsanstalt eines Deutschen, Namens Winterkeller her, bei welchem ich auch drei Jahre zubrachte. Sein Vater, mit dem Titel Major aus dem Dienste getreten, war ein rechtschaffener Mann, aber ohne Vermögen und etwas gestörten Geistes. Jakob war sieben Jahre alt, als er ihn zu dem deutschen Erzieher brachte. Er bezahlte sein Kostgeld ein Jahr voraus, dann verließ er Moskau und ließ nichts wieder von sich hören. Geheimnißvolle, seltsame Gerüchte hatten sich über ihn verbreitet. Acht Jahre nach seiner Abreise erfuhr man, daß er in Sibirien bei der Ueberfahrt des Irtisch ertrunken sei. Was er in Sibirien gewollt? Gott weiß es.
Passinkow hatte früh schon seine Mutter verloren. Es blieben ihm keine anderen Verwandten, als eine Tante, so arm, daß sie es nicht wagte, den Waisenknaben zu besuchen, aus Furcht, man könne ihn ihr aufbürden. Aber diese Furcht war ungegründet. Der gute Deutsche behielt Jakob bei sich, unterrichtete ihn wie seine anderen Zöglinge und ernährte ihn. Nur gab man ihm an gewöhnlichen Tagen kein Dessert und ließ ihm einen Anzug machen ans einem alten verschossenen, tabakfarbigen Ueberwurf der Mutter des Herrn Winterkeller, einer schon sehr bejahrten, aber noch rüstigen und sehr ordnungsliebenden Liefländerin.
Die Zöglinge, welche die Beziehungen und die Abhängigkeit Jakobs kannten, behandelten ihn ein wenig rücksichtslos und nannten ihn bald den Großmutterrock, bald den Nachtmützenneffen, weil seine Tante eine alte Mütze mit gelben Bandschleifen trug, welche einer Artischocke glich; bald nannten sie ihn, eingedenk seines Vaters, welcher im Irtisch umgekommen, den Sohn Jermals, des abenteuerlichen Eroberers von Sibirien.
Allein trotz diesen Beinamen, trotz allen Bemerkungen über seine eigenthümlich auffallende Kleidung und seine Armuth, liebten ihn seine Mitschüler dennoch, und es wäre unmöglich gewesen, ihn nicht zu lieben.
Ich glaube nicht, daß man in der Welt eine rechtschaffenere und bessere Natur finden konnte; überdies zeichnete er sich in seinen Studien aus.
Als ich ihn zum Erstenmale sah, war er ungefähr sechzehn, ich dreizehn Jahre alt. Ich, das verwöhnte, eitle, selbstgefällige Kind reicher Eltern, schloß, als ich in die Anstalt eintrat, zuerst Freundschaft mit einem jungen Fürsten, welcher der Gegenstand besonderer Aufmerksamkeit des Herrn Winterkeller war, dann mit einigen anderen, der Aristokratie angehörenden Zöglingen. Ich bekümmerte mich nicht um die übrigen, und schenkte Passinkow nicht die geringste Aufmerksamkeit. Dieser große Junge mit seinen linkischen Bewegungen, seinem unförmlichen Rock, kurzen Hosen und groben Strümpfen kam mir vor wie eine Art Groom, wie der Sohn eines Bauern.
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