»Bleiben Sie, bleiben Sie,« rief auch Frau Lenora. »Wir werden Sie mit dem Bräutigam von Gemma, Herrn Carl Klüber bekannt machen. Heute konnte er nicht kommen, weil er in seinem Laden sehr beschäftigt ist. – Sie haben wohl sicher das größte Magazin von Tuch und seidenen Waaren auf der Zeil bemerkt – dort ist er der erste Commis. Es wird ihm sehr angenehm sein, sich Ihnen vorstellen zu können.«
Sanin wurde – Gott weiß warum – von dieser Nachricht betroffen.
»Ein Glückskind muß dieser Bräutigam sein!« ging ihm durch den Kopf.
Er blickte Gemma an – und er glaubte einen schelmischen Ausdruck in ihren Augen zu bemerken. Er verabschiedete sich.
»Auf morgen? Nicht wahr auf morgen?« fragte Frau Lenora.
»Auf morgen!« rief Gemma nicht in fragendem, sondern bejahendem Tone, als ob es nicht anders sein könne.
»Auf morgen!« antwortete Sanin.
Emil, Pantaleone und Tartaglia begleiteten ihn bis zur Straßenecke. Pantaleone konnte nicht umhin, seiner Unzufriedenheit über das Lesen Gemma’s Ausdruck zu geben.
»Wie, schämt sie sich nicht! sie schneidet Fratzen, sie schnarrt – una carricatura! Sie sollte Merope oder Klytämnestra vorstellen – etwas Großes, etwas Tragisches, sie aber äfft eine eklige Deutsche! Das kann ich ja auch. .. Merz, Kerz, Smerz,« fügte er mit rauher Stimme hinzu, das Gesicht nach vorn schiebend und die Finger auseinander ziehend. Tartaglia bellte ihn an, Emil lachte. Der Alte kehrte schroff um.
Sanin kam nach dem Gasthaus zum »weißen Schwan« – er hatte vorher bloß sein Gepäck dort gelassen – in ziemlich verwirrter Gemüthsstimmung. Alle diese deutsch-französisch-italienischen Gespräche klangen in seinen Ohren nach.
»Braut!« flüsterte er, schon im Bette des ihm zugewiesenen Zimmers liegend. »Und welche Schönheit! Warum aber bin ich geblieben?«
Am nächsten Tage schickte er jedoch den Brief an seinen Berliner Freund ab.
VIII
Noch hatte er nicht Zeit gehabt sich anzukleiden, als ihm der Kellner die Ankunft zweier Herren meldete. Der eine derselben war Emil, der andere – ein stattlicher, junger Mann von hohem Wuchse und dem wohlgestaltetesten Gesichte von der Welt, war Herr Carl Klüber, der Bräutigam der schönen Gemma.
Man muß annehmen, daß es zu jener Zeit in ganz Frankfurt in keinem Laden einen so höflichen, anständigen, ansehnlichen, freundlichen Commis gegeben hat, wie solcher durch Herrn Klüber zur Erscheinung kam. Die Tadellosigkeit seiner ganzen Toilette glich der Würde seiner Haltung und der allerdings ein wenig steifen und zurückhaltenden Eleganz, nach englischer Art (er hatte zwei Jahre in England zugebracht) – doch immer bezaubernden Eleganz seiner Manieren. Beim ersten Blick war man überzeugt, daß dieser ein wenig strenge, prachtvoll erzogene und prachtvoll gewaschene junge Mann den Oberen zu gehorchen und den Untergebenen zu befehlen gewohnt war, und daß er hinter dem Ladentische seines Magazins nothwendiger Weise den Käufern selbst Achtung gebieten mußte. Hinsichtlich seiner übermenschlichen Ehrlichkeit konnte auch nicht der leiseste Zweifel aufkommen: man brauchte ja nur einen Blick auf seinen steifgestärkten Kragen zu werfen! Auch seine Stimme zeigte sich, wie zu erwarten war, voll und selbstbewußt, doch nicht zu laut, sogar nicht ohne eine gewisse Freundlichkeit im Timbre. Mit solcher Stimme muß es bequem sein, dem untergebenen Commis Befehle zu ertheilen: »Zeigen Sie jenes Stück Lyoner Pensée-Sammt« – oder: »Bieten Sie dieser Dame einen Stuhl an!«
Herr Klüber begann damit, daß er sich vorstellte, wobei er so edel seine Figur nach vorn beugte, so angenehm die Füße zusammenführte und so höflich die Hacken an einander schlug, daß Jeder sich sagen mußte: »Bei diesem Menschen ist die Wäsche und die moralischen Eigenschaften von Prima-Qualität!« Die Behandlung der entblößten rechten Hand (in der linken mit schwedischem Handschuh bekleidet, hielt er den, bis zur Spiegelglätte gebügelten Hut, auf dessen Boden der andere Handschuh lag), die Behandlung dieser rechten Hand, die er bescheiden, aber entschlossen Sanin reichte, übertraf alles Denkbare: jeder Nagel war für sich eine Vollkommenheit!
Darauf theilte er in ausgezeichnetem Deutsch mit, daß er dem Herrn Fremden, der seinem zukünftigen Verwandten, dem Bruder seiner Braut, einen so großen Dienst erwiesen, seine Hochachtung und Dankbarkeit bezeugen wolle; dabei führte er die linke Hand, die den Hut hielt, nach der Richtung des Platzes von Emil, der sich, wie beschämt, zum Fenster gewandt hatte und einen Finger im Munde hielt. Herr Klüber fügte hinzu, daß er sich glücklich schätzen würde, wenn er seinerseits dem Herrn Ausländer etwas Angenehmes erweisen könnte. Sanin antwortete nicht ohne Zwang und gleichfalls deutsch, daß er sehr erfreut sei. . . daß der Dienst, den er geleistet, nur gering sei. . . und bat die Herrn, Platz zu nehmen. Herr Klüber dankte und ließ sich, die Schöße seines Fracks rasch aufnehmend, auf den Stuhl nieder – ließ sich so leicht nieder und saß darauf so wenig, daß man nur zu klar sah, daß dieser Mensch nur aus Höflichkeit sich gesetzt habe – und sofort auffliegen werde. – Und wirklich, er flog in die Höhe, änderte wie beim Tanze ein paar Mal seine Fußstellung und erklärte, daß er leider nicht länger bleiben könne, da er nach seinem Laden eilen müsse: das Geschäft vor Allem! – Doch da morgen Sonntag sei, so habe er mit Zustimmung von Frau Lenora und Fräulein Gemma eine Landpartie nach Soden vorbereitet, zu der er den Herrn Fremden einzuladen hiermit die Ehre habe und sich mit der Hoffnung schmeichle, daß dieser nicht abschlagen werde, dieselbe durch seine Gegenwart zu verschönern. Sanin schlug die Verschönerung nicht ab – und Herr Klüber empfahl sich zum zweiten Male und ging weg, das Beinkleid von der zartesten Erbsfarbe lieblich schimmern und ebenso angenehm die Sohlen der allerneuesten Stiefel knarren lassend.
IX
Emil, der noch immer am Fenster stand, selbst nach der Einladung von Sanin, Platz zu nehmen, machte sofort, als sein zukünftiger Verwandter weggegangen war, links kehrt – und fragte Sanin mit kindlicher Verlegenheit und erröthend, ob er noch ein Bischen bei ihm bleiben dürfe? – »Ich fühle mich heute viel wohler,« fügte er hinzu, »doch der Doctor hat mir zu arbeiten verboten.«
»Freilich, bleiben Sie! Sie stören mich nicht im Geringsten!« rief sofort Sanin, der als echter Russe froh war, den ersten besten Vorwand zu ergreifen, um nicht in die Lage zu kommen, selbst etwas thun zu müssen.
Emil dankte – und war in der kürzesten Zeit vollständig vertraut mit Sanin und dessen Wohnung, er betrachtete seine Sachen, fragte beinahe bei jeder, wo sie gekauft sei und welchen Werth sie habe? Er half Sanin beim Rasiren, wobei er bemerkte, daß demselben ein Schnurrbart prachtvoll stehen würde; theilte ihm endlich eine Masse Einzelheiten über seine Mutter, seine Schwester, über Pantaleone, selbst über den Pudel Tartaglia – kurz über ihr ganzes Leben und Treiben mit. Jede Spur von Schüchternheit war bei Emil verschwunden; er fühlte sich plötzlich unwiderstehlich zu Sanin hingezogen – und gar nicht deshalb, weil dieser ihm den Tag zuvor das Leben gerettet, sondern weil dieser eben ein so sympathischer Mensch wart Er ermangelte nicht, Sanin alle seine Geheimnisse mitzutheilen. Mit besonderer Lebhaftigkeit vertraute er, daß die Mutter aus ihm durchaus einen Kaufmann machen wolle, er aber wisse, wisse genau, daß er zum Künstler, Musiker oder Sänger geboren sei; das Theater sei sein wirklicher Beruf; Pantaleone bekräftige ihn darin, doch Herr Klüber halte es mit der Mutter, auf die er einen großen Einfluß übe, daß sogar der Gedanke, aus ihm einen Händler zu machen, eigentlich Herrn Klüber gehöre, nach dessen Begriffen Nichts in der Welt sich mit dem Stande eines Kaufmannes vergleichen könne! Tuch und Sammt zu verkaufen – das Publikum zu betrügen, ihm Narren – oder Russenpreise abzunehmen, das sei sein Ideal!1
»Nun, jetzt ist es Zeit, zu uns zu kommen!« rief er, sobald Sanin seine Toilette beendet und den Brief nach Berlin geschrieben hatte.
»Jetzt ist es noch zu früh,« bemerkte Sanin.
»Das schadet nicht,« entgegnete Emil, sich an ihm schmiegend. »Gehen wir! Wir gehen nach der Post und von dazu uns. Gemma wird sich so freuen! Sie werden bei uns frühstücken . . . Sie werden vielleicht bei der Mutter ein Wörtchen über mich, über meine Bestimmung fallen lassen.«
»Gut, gehen wir,« sagte Sanin