Sein Compagnon Herr Walter folgte in einer Entfernung von zwei bis drei Schritten; er hatte das Aussehen eines ehrenwerthen Mannes, war mit Sorgfalt gekleidet und Gang und Manieren zeugten von einer gewissen Glätte und feinen städtischen Bildung. Rosina, Hugo’s schöne und anmuthige Schwester, ging neben ihm. Das Mädchen horchte mit lebhaftem Interesse und sichtlichem Wohlgefallen auf die feine städtische Sprache des Herrn Walter, der Alles so schön auszudrücken wußte, daß es zu verwundern war. Vielleicht war das beständige Lächeln auf Rosina’s Mund und die Aufmerksamkeit ihrer großen blauen Augen nur eine Eingebung ihres Pflichtgefühls – denn war Herr Walter nicht der Compagnon ihres Bruders? Und mußte sie nicht gegen den freundlich und rücksichtsvoll sein, dessen Namen ihr Bruder nur mit Lobeserhebungen und Dankbarkeit aussprach?
Während die Mutter ihr liebliches, mit besonderer Sorgfalt gekleidetes Söhnchen, den Liebling der ganzen Familie, wegen seiner zu großen Hast sanft verwies, hatte Hugo sein Auge nachdenklich aus seinen Vater gerichtet und mit einem gewissen Unwillen dessen ungeduldige Gebehrden bemerkt. Er unterbrach die Rede seiner Mutter und sagte:
»Vater sieht so böse aus. Es ist aber doch traurig, daß ihm jeden Tag, den ich zuweilen zu Hause zubringen kann, etwas fehlt.«
»Das sind so seine Launen! Hugo, Du weißt es wohl,« antwortete die Mutter lächelnd. »Laß Dich das nicht bekümmern; Vater ist vielleicht froher als ich über deine Ankunft; aber es liegt in seiner Art, immer etwas im Kopfe zu haben, worüber er zum Schein murren kann. Es hat nichts auf sich; wenn er nur erst beim Schießen ist und Glück hat, so wird er bald heiter und wohlgemuth sein.«
Baas Job wandte sich um, stampfte auf die Erde und rief mit übel verhaltenem Aerger:
»Werdet Ihr nun kommen? Die Frauen schleichen über den Weg wie die Schnecken. Um Gotteswillen, beeilt Euch etwas, oder ich komme zu spät zum Schießen. Man würde dort, auf mein Wort; recht froh darüber sein. Es ist wirklich so, als wolltet Ihr meinen Feinden wider mich beistehen; aber ich will sie lehren, diese neidischen Menschen!«
»Herr Walter! nehmen Sie es nicht übel«, sagte Mutter Job, ihren Kopf umdrehend, »wir sollen etwas schneller gehen.« – Und sie selbst beschleunigte ihre Schritte, ihrem Verdrießlichen Mann zu Liebe.
Hugo, dem das Wort Feinde seltsam in den Ohren klang, war zu seinem Vater geeilt, und ihn beim Arm nehmend, fragte er ihn:
»Aber, Vater, ist denn jemand im Dorfe, der Dir Verdruß bereitet? Du hast doch, so viel ich wenigstens weiß, niemals Feinde gehabt!«
»Jetzt hab ich doch welche,« murmelte der Brauer. »Wenn sie diesen Bogen in meiner Hand zerbrechen könnten, sie würden’s gern thun. Unglücklicher Weise bin ich heute nicht aufgelegt; sonst würde ich ihnen schon zeigen, wie Baas Job sich an denen rächt, welche ihn beneiden!«
»Aber von wem sprichst Du denn?«
»Zuerst von dem Notar.«
»Von Gabriel's Vater?«
»Ja, von dem Heuchler! Zweitens vom Pächter Wyns, drittens von dem Secretär, viertens von Bauer Daems und von noch vielen andern.«
»Du nennst ja da, Vater, Deine ältesten Freunde, und, irre ich mich nicht, die besten Schützen im Dorfe?«
»Ich bin der beste Schütze!« rief der Brauer, »und jedermann weiß es.«
»Wirklich können sich wenige im Schießen mit Dir messen; aber das beweist doch, dünkt mich, keineswegs, daß die Freunde aus der St. Sebastiansgilde Deine Feinde geworden sind. Haben sie Dir wirklich etwas zu Leide gethan?«
»Sie haben mich diesen Morgen ausgelacht. Sieh, Hugo, nach dem Hochamt bin ich nach der Schießbahn gegangen, um einige Probeschüsse zu thun. Von zehn Schüssen nur einmal ins Schwarze und zweimal außerhalb des Weißen! Außerhalb des Weißen! Es ist mir in einem halben Jahre nicht passiert. Ich wußt’ es aber schon am frühen Morgen: beim Aufstehen stieß ich die Lampe vom Tisch; ich zog meine Schuhe verkehrt an; und beim Öffnen der Thür trat ich auf die Katze, daß sie heulte. Alles zusammen Unglückszeichen!«
»Ich begreife, daß Dich diese Vorzeichen beunruhigen, Vater, aber Deine Freunde haben doch daran keine Schuld; und wenn sie zufällig das Weiße nicht treffen, lachst Du dann nicht auch, wie die andern Gildebrüder?«
»Ja, ja; aber die silberne Tabaksdose!« murmelte Baas Job mit einem schweren Seufzer. »Ich bin bezaubert; es ist immer dasselbe: Alles ist gegen mich! Gibts wohl einen unglücklicheren Menschen als ich bin?«
»Vater, Vater, das meinst Du doch wohl nicht so?« sprach der Jüngling mit sanft verweisendem Tone. »Wir sind alle gesund. Deine Brauerei bewahrt ihren alten Ruf in der Umgegend; meine Geschäfte verbessern sich täglich; unsre Rosine geht eine vortheilhafte Verbindung ein; Mutter ist die Heiterkeit und Güte selbst. Die Leute im Dorf nennen uns die Glücklichen; und, zum Uebermaß des Segens, jedermann hat uns lieb; wir werden von Niemand gehaßt oder beneidet. Sind wir Gott nicht Dankbarkeit für dies Alles schuldig?«
Hugo’s Stimme war bei diesen letzten Worten so dringen und so innig geworden, daß der Vater sich gerührt fühlte.
»Du hast Recht, Hugo; wir müssen Gott dankbar sein,« antwortete er, »aber die Tabaksdose, die Tabaksdose! Sie kommt mir zu, und ich werde sehen müssen, daß sie ein Anderer gewinnt: es ist um krank zu werden vor Ärger.«
»Was ist es doch um eine silberne Tabaksdose? Wünschest Du Dir wirklich eine? Ich werde sie Dir mit Freuden schicken.«
»Ach, es ist mir nicht um die Dose; ich kann mir ja doch auch eine kaufen, wenn ich will! Aber meine Ehre als Schütze! Mein Ruf! Ein ganzes Jahr als Stümper gelten müssen und ausgelacht werden in der Gilde? Hielte ich mich nicht mit Gewalt zurück, ich zerschlüge meinen Bogen an dem Baum da; dann würde ich doch nicht besiegt werden!«
»Du kannst es nicht wissen, Vater; vielleicht wirst Du besser schießen, als du denkst. Und begegnete Dir es auch, daß die Dose von einem andern Gildebruder gewonnen würde, morgen wird es doch wohl besser gehen?«
»Ja, ja, das hast Du von Deiner Mutter gelernt: Auf Leiden folgen Freuden, auf Regen folgt Sonnenschein; so lange man lebt, hoff man . . . und so weiter, immer daß selbe Liedchen. Deine Mutter grämt sich um nichts; ich glaube, wenn der Kirchthurm ihr auf den Leib fiele, sie würde noch rufen: ’s wird morgen schon besser gehn! . . . Aber sieh, da steht die Kutsche des Herrn Barons vor der Thür des »goldenen Adlers«; der Gilderath muß ihn empfangen. O Schande, ich bin der einzige, der nicht dabei zugegen sein wird. Frau, Frau, das ist Deine Schuld!«
Und grimmig die Faust gegen Mutter Job ausstreckend, lief er zur Stelle, wo er, aus der Ferne, die Bauern ihre Mützen in die Höhe schwenken sah, um den neuen Hauptmann der St. Sebastiansgilde zu bewillkommnen.
Baas Job kam wirklich zu spät; denn als er nahte, verschwand die jubelnde Menge ins Innere des Wirthshauses und der Wagen des Barons ward durch den Kutscher auf der Straße nach dem Schlosse umgewendet.
Einige Augenblicke später saß Mutter Job neben den Ihrigen auf dem Hinterhof des »goldenen Adlers-« mit ihrem Knäbchen an der Seite und mit ihrem Sohne Hugo über seinen Handel sprechend. Herr Walter hatte sich neben Rosina gesetzt und fuhr fort, stets freundliche und höfliche Worte an sie zu richten, indem er sie bald um Erklärungen über das Gildefest fragte, bald wieder ihr lustige Geschichten von Bogenschützen und Jägern erzählte; denn es stand Herrn Walter ein reiches Gedächtnis zu Gebote. Allerdings wurde Rosine jetzt manchmal sehr unaufmerksam und schien mit ihren Augen jemand zu suchen; gleichwohl konnte man bemerken, daß sie sich über diese Zerstreutheit schämte und sich Gewalt anthat, um sie vor dem Freund ihres Bruders zu verbergen.
Der ganze Hinterhof war mit laut sprechenden und lachenden Leuten angefüllt. An der Seite, wo Mutter Job sich befand, saßen die Frauen – meist Pächterinnen