»Sogleich, Mutter, wenn ich noch einige gemalt habe. Gib mir dieß zurück, damit ich’s vor mich lege.«
»Willst du denn Alle auf dieselbe Weise bemalen?«
»Nein, Mutter, es sind aber noch viel Fehler in dem ersten, welche ich in den andern verbessern will.«
Die alte Frau war so froh, so vergnügt, als ob ihr ein großes Glück zu Theil geworden wäre; nicht just darum weil Quintin die Bildchen so schön bemalt hatte, denn darüber hatte sie nicht das geringste Urtheil, und sie glaubte außerdem, nicht mehr als einige Stüber für seine Arbeit erwarten zu dürfen: aber sie freute sich über die heitere Stimmung ihres Sohnes, dessen Zustand sich durch den Eifer welchen er seiner neuen Beschäftigung weihte, merklich verbesserte; auch hatte er nach Vollendung des dritten Bildchens die ersten Worte seiner alten, halbvergessnen Lieder wieder gesungen. Zuweilen unterbrach die glückliche Mutter ihn in seiner Arbeit durch eine herzliche Umarmung. Dann sagte er lachend:
»Laß mich doch arbeiten Mutter! damit ich schneller vorwärts schreite!«
Nachdem auch das vierte Bildchen gefertigt, drang die Wittwe so lange in Quintin, bis er ihr erlaubte, alle nach Ter Zieken zu tragen, und Mutter Metsis lief so schnell sie konnte dem Kloster zu, das einige Büchsenschüsse weiter in der Nähe der Stadt lag. Sie klopfte hastig an der Pforte, und erwartete mit pochendem Herzen daß man ihr öffne.
Eine stockalte Nonne erschien an dem Thorschieberchen; und als sie sah daß es nur eine gewöhnliche Bürgersfrau war, öffnete sie langsam indem sie frug:
»Was wollt Ihr Frau?«
»Ist Schwester Ursula im Kloster?«
»Nein, Schwester Ursula ist ausgegangen. Kommt morgen wieder.«
Mit diesen Worten erfaßte sie die Thüre, und machte eine Bewegung als ob sie sagen wollte: »Geht, damit ich das Thor schließe.«
Mutter Metsis war sehr niedergeschlagen über die Abwesenheit Ursula’s und blieb wie festgebannt vor dem Kloster stehen.
»Habt Ihr noch ein Anliegen?« frug die Nonne.
»Ja Schwester« sagte die alte Frau, indem sie die Bilder unter ihrem Mantel hervorzog »seid so gütig diese Bildchen an Schwester Ursula zu übergeben und ihr zu sagen daß Quintin Metsis der Schmied sie bemalt hat.«
Die Nonne betrachtete die dargereichten Gegenstände mit mißbilligendem Ausdruck. Sie mußten ihr nicht zusagen, denn ihre Züge gaben dieß deutlich zu erkennen.
»Ach Gott! wie häßlich sind diese Bildchen« rief sie: »man ekelt sich vor ihrem Anblick, und um keinen Preis möchte ich sie in meinem Gebetbuch haben.«
»Sind sie nicht gut Schwester?« frug die bange Mutter.
»Pfui, es ist Schande solche Bilder zu malen« war die bittere Antwort der Nonne womit sie die Wittwe entließ.
Mit zerrissenem Herzen kehrte die Mutter nach ihrer Wohnung zurück. – Sollte sie Quintin die niederschlagende Kunde bringen, um ihn in jene tödtende Verzweiflung zurückzuschleudern? Aber konnte sie ihre Thränen zurückhalten, hatte sie Kraft genug um nicht durch ihre Züge den Schmerz zu verrathen, der sie niederdrückte ?
Die arme Frau grämte sich inzwischen unnöthiger Weise über die harten Worte der Nonne, welche sie nur unrichtig aufgefaßt hatte. Die Stiche, welche Quintin bemalt, stellten nämlich meist Kranke und aussätzige Menschen vor; der junge Schmied hatte so viel Ausdruck in diese Jammergestalten gelegt, und sie so natürlich in Farben dargestellt, daß der Nonne vor den schrecklichen Gruppen graute, und sie entsetzt von der Wahrheit, welche sich darin aussprach, die Worte rief:
»Pfui! pfui! es ist eine Schande!«
Die Mutter ahnte das nicht und glaubte darum daß die Nonne die ganze Art und Weise des Bemalens so schlecht beurtheile. Kaum hatte sie die Schwelle ihres Hauses überschritten, als Quintin ihr zurief:
»Nun, wie findet man meine Bilder, liebe Mutter?«
Die bedrückte Mutter fiel weinend in die Arme ihres Sohnes, und konnte vor überwallender Wehmuth kein Wort hervorbringen; sie strich nur in größter Aufregung Quintin’s Haupt, welches er an ihrem Herzen barg. Je unerträglicher sich das Geschick dieser Unglücklichen gestaltete, um so inniger schien die Liebe sie zu verbinden. Wenn dumpfe Seufzer nicht ihren Schmerz offenbart hätten, so wäre man versucht gewesen zu glauben, daß sie freudig ergriffen seien, denn sie gaben sich gegenseitig die wärmsten Beweise von Zärtlichkeit. Ein gemeinschaftliches, tiefes Schmerzgefühl ließ sie darin den einzigen Trost finden. Endlich seufzte Quintin:
»Mutter, liebste Mutter, was nun beginnen? Um jede Hoffnung betrogen, von Allen verlassen, o Gott!«
»Mein Kind!« rief die Mutter verzweifelnd und ihrer Sinne nicht mehr mächtig »mein theures Kind, ich habe dich an meiner Brust genährt; ich habe stets nach Kräften für dich gearbeitet, als du noch klein warst. – Du hast mir als ein guter Sohn meine Liebe reichlich vergolten, und im Schweiße deines Angesichts deine alte Mutter erhalten. Wohlan, Quintin, wenn es dann doch sein soll, wenn wir sterben müssen, wenn dich das Siechthum und mich der Hunger ins Grab zieht, . . . dann bleibt uns noch ein seeliger Trost, eine freudige Gewißheit: – wir sterben zusammen!«
Eine lange Umarmung folgte diesen Worten; und die schnellen Athemzüge zweier von Schmerz überwältigten Menschen, wurden nur zuweilen durch eine leise, flüsternde Stimme unterbrochen: »Mutter, geliebte Mutter!«
Sie hatten sich bereits eine geraume Zeit Stille und unter heißen Thränen einander umschlungen gehalten, und sie würden noch lange so dagesessen haben, hätte nicht plötzlich eine Stimme vor der Thüre sie aufgeschreckt:
»Wo wohnt der Schmied Quintin Metsis?«
Die alte Frau trocknete schnell die Thränen von ihrem Angesicht, und eilte die Thüre zu öffnen, als sich dieselbe aufthat, und vier Personen zugleich in die Kammer traten.
Die beiden Ersten waren die Aebtissin des Klosters Ter Zieken und ein geistlicher Herr der sie begleitete. Hinter ihr kam Schwester Ursula mit einer andern Nonne, welche ein großes Buch unter’m Arme trug. All diese Personen betrachteten erstaunt Quintin, der seinen Pinsel weggelegt hatte und ängstlich und beschämt ein strenges Urtheil zu erwarten schien.
Die Aebtissin näherte sich ihm, zeigte ihm seine ersten Bilder und frug mit wohlwollendem Ausdruck in Blick und Stimme: »Seid Ihr es, der diese Bilder bemalt hat?«
»Ja, Frau Aebtissin,« erwiederte Quintin mit bangem Herzen »aber ich hoffe, wenn ich Eure Gunst nicht verscherzt habe, mit der Zeit mehr Fertigkeit zu erlangen. Vergebt mir, ehrwürdige Frau, daß ich diese verdorben habe. O, vergebt mir, um meiner unglücklichen Mutter willen!«
»Verdorben?« rief die Aebtissin verwundert aus, »Ihr seid zu bescheiden; denn ich bin gekommen Euch zu sagen daß Niemand je schönere Bildchen gesehen hat, als gerade die, welche Ihr bemalt habt.«
Diese Worte wirkten wie ein Donnerschlag auf den verstummten Quintin: Todtenblässe überzog sein Angesicht, und seine Glieder bebten, als ob ein plötzlicher Schmerz ihn getroffen hätte. In freudiger Aufregung streckte er dann die Arme seiner Mutter entgegen, und rief:
»Ach Mutter! liebste Mutter!«
Die glückliche Frau verstand ihn: sie warf sich mit wildem Ungestüm in seine Arme und drückte ihn an ihre Brust.
Die vier Anwesenden waren so ergriffen bei dem Anblick dieser rührenden Scene, daß ihre Augen sich mit Thränen füllten.
»Quintin Metsis,« sprach die Aebtissin »wollet Ihr wohl Etwas für mich thun?«
Während die Aebtissin sprach hatte die Mutter sich der engen Umarmung ihres Sohnes entzogen; sie behielt jedoch eine seiner Hände in den ihren, und blieb neben ihm stehen.
Quintin erwiederte freudig: »sprecht, hochwürdige Frau, ich bin Euer willigster Diener.«
Die Aebtissin nahm das Buch aus den Händen der Nonne, zeigte es dem Jüngling, und fragte ihn, ob er die Leidensgeschichte unsers Herrn, welche darin dargestellt war, für sie bemalen wolle? Quintin wandte