Das Stubenmädchen der Etage schlüpfte herbei und erläuterte, daß Fräulein Therese schon seit drei Stunden unterwegs sei.
»Sie hat gesagt: im Auftrag der gnädigen Frau! Ich glaube, sie holt Blumen für die gnädige Frau –«
Die Martens besann sich einen Augenblick. Ach ja, richtig, sie selbst hatte Therese weggeschickt. Sie wollte für heute abend einen Strauß weiße Rosen haben, sieben weiße Rosen mit dunkelroten Deckblättern . . . Sie hätte einfach nicht spielen können ohne die sieben weißen Rosen. Heute nacht erst war ihr die Idee gekommen, wie stimmungsvoll sieben weiße Rosen mit purpurnen Deckblättern zu der Dämmerung des dritten Aktes, zu ihrem malvenfarbenen Gewand und ihren schwermütigen Liebesworten wirken müßten. Solche Ideen kamen ganz plötzlich, ganz intuitiv über sie und mußten dann ausgeführt werden, gleichviel um welchen Preis. Es war dann, als ob die Gestalt, die sie darstellen sollte, mit solch einer Intuition verwachsen sei und nur mehr Schemen bliebe, wenn man sie davon losreißen wollte. So hätte sie heute abend eben einfach absagen, Bachmanns »Rodogune« nicht spielen können, wenn Therese nicht die sieben weißen Rosen mit purpurnen Deckblättern herschaffte. Meta Martens seufzte. Ach ja, man war eben immer und überall ein Sklave des Ruhmes. Sie ließ sich wieder in ihren Sessel fallen und bestellte bei dem Kellner das Mittagsmahl. Nicht viel, sie hatte wenig Appetit und hielt sich knapp, wenn sie abends spielte. Nur ein wenig Hühnerbrühe, eine Forelle, ein kleines Vol-au-vent und einen Löffel Eiscrême.
»Befehlen gnädige Frau sogleich zu speisen?«
»Nein, in einer halben Stunde,« sagte sie leise und begann wieder mit den schwarzen Schwänzchen des Hermelins zu spielen. Gerade aber, als der Kellner unhörbar davonhuschen wollte, rief sie ihn zurück: »Bitte, sagen Sie auch dem Herrn Direktor, daß ich auf der nächsten Rechnung keinen Irrtum zu finden wünsche. Vorgestern war wieder eine Eierspeise notiert, die ich nicht gehabt habe und auch die Zimmer sind mit fünfunddreißig Mark berechnet, trotzdem ich ausdrücklich gesagt habe, daß ich nicht über dreiunddreißig gehe. Wenn man fortfährt, mich in dieser Weise zu übervorteilen, steige ich das nächste Mal nicht mehr hier ab!«
Ihre weiche Stimme war immer härter und lauter geworden. Der Kellner verbeugte sich, versprach, dem Herrn Direktor die Wünsche und Beschwerden der gnädigen Frau zu übermitteln und verschwand.
Meta Martens machte sich daran, den Posteinlauf durchzusehen und allerlei, was sonst noch für sie abgegeben worden war. Ein ganzer Stoß Zeitungen lag da. Sie durchblätterte sie rasch, überschlug alles und las nur die Theaternachrichten, vor allem die Notizen, die sich mit ihr beschäftigten und dachte bei sich: »Seltsam! In einem halben Jahr wird dich das alles nicht mehr interessieren, wird dein Name hier nicht mehr stehen!«
Sie las eifrig, lächelte zufrieden, als sie sah, wie laut und einstimmig ihr Scheiden beklagt wurde. Die Briefe interessierten sie weniger, machten ihr Mißtrauen rege. Es waren immer zuviel Bettelbriefe dabei, zuviel Menschen, die Geld, Fürsprache oder Interesse von ihr verlangten. Meistens mußte Therese, die ein gebildetes Mädchen war, die Korrespondenz zuerst durchsehen, die Bettelbriefe in den Papierkorb werfen und nur die uneigennützigen Bewunderungsschreiben der Herrin übermitteln. Ja, Therese war ein Juwel! Ein Mädchen aus guter Bürgersfamilie, das sein Lehrerinnenexamen gemacht, hatte sie sich nur aus Begeisterung für die Kunst der Martens zum Zofendienst bei ihr gemeldet, ließ sich wie ein Dienstbote behandeln und ins Gesindezimmer schieben, nur um bei der vergötterten Künstlerin bleiben, ihr dienen zu können.
Die Martens ging ein paarmal im Zimmer auf und ab, sah hin und wieder nervös nach der Uhr. Wie lange Therese doch ausblieb. Seit drei Stunden war sie nun unterwegs, Zeit genug, um ein ganzes Treibhaus zu plündern! . . . Und sollte doch nichts heimbringen als eine Handvoll weißer Rosen.
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