Nelson verneigte sich und da er unter seiner rauhen Außenseite ein stets religöses, zuweilen sogar poetisches Herz barg, so kniete er, ehe er das Zimmer verließ, vor der Leiche des kleinen Prinzen nieder.
»Schlaf‘ in Frieden, königliches Kind,« sagte er. »Du hat keine Rechenschaft vor Gott abzulegen, welcher in seiner geheimnißvollen Güte den Todesengel gesendet hat, um Dich schon an der Schwelle des Lebens zu erwarten. Möchten wir uns derselben Reinheit erfreuen, wenn wir unsererseits vor dem Throne des Ewigen erscheinen, um ihm für unsere Thaten Rede zu stehen. Amen.«
Dann erhob er sich, verneigte sich nochmals und entfernte sich.
Als er seinen Platz auf dem Commandoposten wieder einnahm, begann der Tag zu grauen, und der erschöpfte Sturm hauchte seine letzten Seufzer aus, furchtbare Seufzer, gleich denen des Titanen, welcher bei jeder Bewegung, die er in seinem Grabe macht, den Boden Siciliens erschüttert.
Jeder Andere als Nelson, welchem dieses Schauspiel weniger vertraut gewesen, würde durch die majestätische Größe desselben überrascht worden sein.
Unter dem Winde, welcher immer mehr nachließ, ragte gleich einem bläulichen Nebel die äußerste Kette der Apenninen empor. Links erstreckte sich die Unermeßlichkeit, das Schlachtfeld, wo der Wind und das Meer sich ein letztes Treffen lieferten. Rechts erkannte man unter einem ziemlich reinen Himmel die Küsten Siciliens, über welchen wie eine Laune der Schöpfung der Koloß Aetna emporragte, dessen Haupt sich in den Wolken verlor.
Rückwärts ließ man jene unter den Wogen bleichenden Felsen, die Trümmer erloschener oder zerbröckelter Vulkane, denen man nur durch ein Wunder entronnen. Unter dem Schiffe endlich zeigte das aufgewühlte Meer tiefe Thäler, in welche der »Vanguard« ächzend hinabfuhr und die sich über ihm schließen zu wollen schienen wie ein Grab.
Nelson warf einen Blick auf dieses glänzende Blatt der Natur, welches sich unter seinen Augen entrollte. Er hatte aber dieses Schauspiel zu oft gesehen, als daß es, wie prachtvoll es auch war, seine Aufmerksamkeit lange beschäftigen gekonnt hätte.
Er rief Henry.
»Was denken Sie jetzt von dem Wetter?« fragte er ihn.
Es war augenscheinlich, daß der geschickte Capitän, an welchen Nelson sich wendete, nicht erst diesen Augenblick abgewartet hatte, um sich eine Meinung in dieser Beziehung zu bilden. Da er jedoch sich nicht leichthin aussprechen wollte, so betrachtete er abermals die vier Himmelsgegenden mit forschendem Blick und versuchte durch die Dünste und Wolken hindurch die geheimnißvollen Tiefen des Raumes zu durchdringen.
»Mylord,« sagte er dann, »meine Meinung ist, daß wir mit dem Sturm fertig sind und daß in einer Stunde sein letzter Hauch erloschen sein wird. Dann aber glaube ich, daß ein Umspringen des Windes entweder nach Süden oder nach Norden erfolgen wird. In dem einen wie in dem anderen Falle werden wir damit sehr gut nach Palermo steuern können.«
»Ganz dasselbe habe ich zu den Majestäten gesagt und ihnen versprechen zu können geglaubt, daß sie nächsten Abend in dem Palast des Königs Roger schlafen werden.«
»Dann, sagte Henry, »handelt es sich um weiter nichts mehr, als Ihr Wort, Mylord, wahrzumachen und dies soll meine Sorge sein.«
»Sie sind eben so müde als ich, Henry,« entgegnete Nelson, »denn Sie haben ebensowenig geschlafen als ich.«
»Wohlan, in diesem Falle können wir, wenn Sie damit einverstanden sind, Mylord, uns in die Arbeit des Tages auffolgende Weise theilen: Sie ruhen jetzt fünf bis sechs Stunden, Mylord. Während dieser Zeit wird der Wind die ihm beliebige Evolution ausführen. Sie wissen, Mylord, wenn ich auf Backbord- und Steuerbordseite vor mir und hinter mir Wasser habe, so gerathe ich in nicht größere Verlegenheit als ein Anderer. Möge daher der Wind von Norden oder von Süden kommen, so werde ich die Richtung nach Palermo nehmen und wenn Sie aufwachen, Mylord, werden wir auf dem besten Wege dahin sein. Dann gebe ich Ihnen Ihr Commando wieder zurück, Mylord, welches Sie behalten werden, so lange es Ihnen Vergnügen macht.«
Nelson war im höchsten Grade erschöpft und hatte übrigens wie immer, obschon er von seiner Jugend an zur See gewesen, die Seekrankheit. Er gab deshalb Henry's Bitten nach, übertrug ihm das Commando des Schiffes und zog sich in seine Cajüte zurück, um einige Stunden Ruhe zu genießen.
Als er wieder auf der Campanje erschien, war es elf Uhr Morgens. Der Wind war nach Süden umgesprungen und wehte frisch. Der »Vanguard hatte das Cap Orlando umsegelt und legte acht Knoten in der Stunde zurück.
Nelson warf einen Blick auf das Schiff. Es bedurfte des erfahrenen Blickes eines Seemanns, um zu erkennen, daß ein Sturm gewesen war, und daß derselbe Spuren in dem Takelwerk des Schiffes zurückgelassen hatte.
Mit dankbarem Lächeln reichte Nelson dem Capitän Henry die Hand und schickte ihn fort, damit er seinerseits ausruhe.
In dem Augenblicke aber, wo Henry die Treppe der Campanje hinabstieg, rief Nelson ihn noch einmal zurück, um ihn zu fragen, was man mit der Leiche des kleinen Prinzen gemacht habe. Dieselbe war unter der Aufsicht Doctor Beatys und des Caplans Monsieur Scott in die Cajüte des Lieutenants Parkenson gebracht worden.
Der Admiral überzeugte sich, ob das Schiff gut orientiert sei, befahl dem Steuermann immer dieselbe Richtung einzuhalten, und ging dann in das Zwischendeck hinab.
Der königliche Knabe lag in der That auf dem Bett des jungen Lieutenants. Man hatte ein Tuch über ihn geworfen und der auf einem Stuhle sitzende Caplan las, ohne zu bedenken, daß er, ein Protestant, für einen Katholiken betete, das Gebet für die Todten.
Nelson kniete nieder, sprach ebenfalls ein leises Gebet, hob das Tuch, welches das Gesicht der kleinen Leiche bedeckte, empor und warf einen letzten Blick darauf.
Obschon der kleine Todte bereits in leichenhafter Erstarrung dalag, so hatte der Tod ihm doch die heitere Ruhe seiner Züge zurückgegeben, während die Schmerzen des Todeskampfes sie ihm für den Augenblick geraubt hatten. Sein langes blondes Haar, von derselben Farbe wie das seiner Mutter, fiel in Locken auf seine bleichen Wangen und den von blauen Adern marmorierten Hals herab.
Ein Hemd mit umgeschlagenem Spitzenkragen umrahmte seine Brust. Man hätte meinen sollen, er schliefe.
Nur ward dieser Schlaf, anstatt von seiner Mutter oder Emma, von einem Priester bewacht.
Nelson konnte, obschon er kein sonderlich weiches Herz besaß, nicht umhin zu bedenken, daß der kleine Prinz, welcher hier allein schlief, während ein protestantischer Priester für ihn betete, nur wenige Schritte entfernt, sein Vater, seine Mutter, vier Schwestern und einen Bruder hatte, von welchen allen auch nicht eins auf den Gedanken kam, der Leiche den frommen Besuch zu machen, den er ihr machte. Eine Thräne stieg ihm ins Auge und fiel auf die halb durch die prachtvolle Spitzenmanschette bedeckte Hand des kleinen Todten.
In diesem Augenblick fühlte er eine leichte Hand, welche sich sanft auf seine Schultern legte.
Er drehte sich um und streifte zwei duftige Lippen. Es war die Hand, es waren die Lippen Emma's.
In den Armen dieser und nicht in denen seiner Mutter war, wie man sich erinnert, der Knabe gestorben, und während seine Mutter schlief oder mit geschlossenen Augen über ihren Racheplänen brütete, war es abermals Emma, welche, da sie nicht wollte, daß die rohen Hände eines Matrosen diesen zarten Körper berührten, die fromme Pflicht der Bestattung zu erfüllen kam.
Nelson küßte ihr ehrerbietig die Hand. Selbst das glühendste Herz kann sich, wenn es nicht aller Poesie entkleidet ist, in Gegenwart des Todes einer heiligen Scheu nicht erwehren.
Als Nelson wieder auf die Campanje hinaufkam, fand er hier den König.
Noch erfüllt von dem erschütternden Anblick, dessen Erinnerung er mit hinweggenommen, war Nelson darauf gefaßt, ein Vaterherz trösten zu sollen. Er täuschte sich. Der König befand sich wieder wohl, der König hatte wieder Hunger, der König kam, um Nelson auf die Schüssel Maccaroni aufmerksam zu machen, ohne welche für ihn kein Diner möglich war.
Dann, weil man jetzt den ganzen lipariotischen Archipel vor Augen hatte, erkundigte er sich nach dem Namen einer jeden dieser Inseln, indem er mit dem Finger darauf zeigte und Nelson erzählte,