Einen Augenblick später verkündete lautes Geschrei die Annäherung der Gefangenen.
Voran und hinterher kam ein Detachement neapolitanicher Gendarmen zu Pferde, welche, indem sie sich denen, welche schon auf dem Platze warteten, anschlossen, das Volk zurückdrängten und einen freien Raum machten, auf welchem der Henker und seine Gehilfen ruhig arbeiten konnten.
Die Stille und Einsamkeit der Engelsburg hatte alle Welt beruhigt, so daß man gar nicht mehr an sie dachte.
Einige Römer, die muthiger waren als die andern, wagten sich bis auf die verlassene Brücke und insultierten sogar die Festung auf dieselbe Weise, wie die Neapolitaner den Vesuv insultiren. König Ferdinand lachte nicht wenig darüber, denn es erinnerte ihn an seine guten Lazzaroni vom Molo und bewies ihm, daß die Römer beinahe eben so viel Witz besaßen.
Fünf Minuten vor zwölf Uhr Mittag langte der unheimliche Zug auf dem kleinen Platze an. Die Verurtheilten schienen von Anstrengung und Qualen gänzlich erschöpft, dabei aber ruhig und ergeben zu sein.
Am Fuße des Schaffots ließ man sie von ihren Eseln steigen. Dann löste man ihnen den Strick vom Halse und befestigte ihn am Galgen. Die Büßenden drängten sich näher an die beiden Verurtheilten, ermahnten sie zum Tode und ließen sie das Crucifix küssen.
Mattei sagte, indem er dies that:
»O Christus, Du weißt, daß ich unschuldig und wie Du für das Wohl und die Freiheit der Menschen sterbe.«
Zaccalone sagte:
»O Christus, Du bist mein Zeuge, daß ich diesem Volke verzeihe, wie Du deinen Henkern verziehst!«
Die den Verurtheilten am nächsten befindlichen Zuschauer hörten diese Worte und beantworteten dieselben mit Hohngeschrei.
Dann ließ eine starke Stimme sich vernehmen, welche sagte:
»Betet für die Seelen der Sterbenden!«
Es war die Stimme des Anführers der Büßenden.
Alle knieten nieder, um ein Ave Maria zu beten, selbst der König auf seinem Balcon, selbst der Henker und seine Knechte auf dem Schaffot.
Einen Augenblick lang herrschte feierliches, tiefes Schweigen.
Plötzlich krachte ein Kanonenschuß. Das zerschmetterte Schaffot brach unter dem Henker und seinen Knechten zusammen. Das Thor der Engelsburg öffnete sich und hundert Grenadiere rückten unter Trommelschlag im Sturmschritte über die Brücke und bemächtigten sich, mitten unter dem Schreckensruf der Menge, der wilden Flucht der Gendarmen, des Erstaunens und Entsetzens Aller, der beiden Verurheilten, welche sie in die Engelsburg hineinschleppten, deren Thor sich hinter ihnen schloß, ehe noch Volk, Henker, Büßer, Gendarmen und König sich von ihrer Bestürzung erholt hatten.
Die Engelsburg hatte nur ein Wort gesprochen. Aber, wie man sieht, sie hatte es gut gesprochen und es hatte seine Wirkung geäußert.
Die Römer sahen sich gezwungen, diesen Tag auf das Hängen zu verzichten und sich wieder auf die Juden zu werfen.
König Ferdinand kehrte sehr schlecht gelaunt in den Palast Farnese zurück. Es war die erste Täuschung, die er seit Beginn des Feldzuges erfuhr, und unglücklicherweise für ihn sollte es nicht die letzte sein.
Drittes Capitel.
Nanno tritt wieder auf
Der von dem König Ferdinand an die Königin Caroline gerichtete Brief hatte die Wirkung geäußert, die er davon erwartet. Die Nachricht von dem Triumphe der königlichen Waffen hatte sich mit der Schnelligkeit des Blitzes von Margelina an bis zur Magdalenenbrücke und von der Karthause St. Martin bis nach dem Molo verbreitet, dann war sie von Neapel auf den schnellsten Wegen in das ganze übrige Königreich entsendet worden. Couriere waren nach Calabrien und leichte Fahrzeuge nach den liparischen Inseln abgegangen.
Während so die Boten und Scorridori ihrer Bestimmung entgegeneilten, waren die Wünsche des Siegers befolgt worden.
Die Glocken der dreihundert Kirchen von Neapel verkündeten mit lautem Schalle das Tedeum, und die von allen Castellen krachenden Geschützsalven priesen mit ihrer ehernen Stimme den Herrn der Heerschaaren.
Der Klang der Glocken und der Donner der Kanonen dröhnte daher in alle Häuser von Neapel hinein und erweckte darin je nach den Meinungen derer, die sie bewohnten, Freude oder Verdruß.
Alle, welche zur liberalen Partei gehörten, sahen mit Schmerz den Sieg Ferdinands über die Franzosen, denn es war dies nicht der Triumph eines Volkes über ein anderes Volk, sondern der eines Princips über ein anderes Princip.
Nun aber repräsentierte die französische Idee in den Augen der Liberalen von Neapel die Humanität, die Liebe für das allgemeine Beste, Fortschritt, Aufklärung und Freiheit, während die neapolitanische Idee in den Augen derselben Liberalen nur Barbarei, Egoismus, Stillstand, Verfinsterungssucht und Tyrannei repräsentierte.
Die Liberalen, welche sich moralisch besiegt fühlten, hielten sich daher in ihre Häuser eingeschlossen. Sie sahen ein, daß es für sie nicht gerathen sei, sich öffentlich zu zeigen. Sie dachten an den furchtbaren Tod des Herzogs della Torre und seines Bruders, und beklagten nicht blos für Rom, wo die päpstliche Gewalt wieder hergestellt werden sollte, sondern auch für Neapel, wo nun der Despotismus neuen Boden gewann, den Triumph des Königs Ferdinand, das heißt den Sieg der reactionären Ideen über die revolutionären.
Was die Absolutisten betraf – und die Zahl derselben war groß in Neapel, denn sie bestand aus Allem, was zum Hofe gehörte, oder was von demselben lebte oder abhing und aus dem ganzen Volke. Fischer, Lastträger, Lazzaroni, alle waren jetzt voll Freude und Jubel. Sie rannten in den Straßen umher und schrien: »Es lebe Ferdinand der Vierte! Es lebe Pius der Sechste! Tod den Franzosen! Tod den Jakobinern!«
Und mitten unter ihnen und stärker schreiend als alle Andern sah man Fra Pacifico, der seinen Esel Giacobino nach dem Kloster zurücktrieb.
Das arme Thier war nahe daran, der Last seiner mit Lebensmitteln aller Art angefüllten Körbe zu erliegen und blöckte aus Leibeskräften nach dem Beispiele seines Herrn, welcher behauptete, der Esel beklage die Niederlage seiner Brüder, der Jakobiner.
Dieser Witz fand bei den Lazzaroni, die in der Wahl ihrer Sarcasmen nicht sehr schwierig sind, großen Beifall.
So entlegen von dem Mittelpunkte der Stadt das Haus mit dem Palmbaume oder vielmehr das der Herzogin Fusco, welches an ersteres stieß, auch war, so war das Läuten der Glocken und der Donner des Geschützes doch bis zu Salvato gedrungen, welcher stutzte und horchte wie ein Schlachtroß beim Schmettern der Trompete.
Wie General Championnet durch das letzte anonyme Billet, welches er empfangen und welches, wie man schon errathen, von dem würdigen Doctor Cirillo herrührte, erfahren, ging es mit dem Verwundeten, obschon er noch nicht vollständig wieder hergestellt war, weit besser.
Nachdem er mit Erlaubniß des Arztes von Luisa und deren Zofe unterstützt das Bett verlassen, um sich in einen Sessel zu strecken, hatte er später diesen Sessel verlassen, und von Luisa geführt, einige Male die Runde durch das Zimmer gemacht.
Eines Tages endlich, als Giovannina in Abwesenheit ihrer Herrin sich erboten, ihn eine dieser Promenaden machen zu helfen, hatte er ihr Anerbieten dankend abgelehnt, aber dann ganz allein den beschränkten Spaziergang wiederholt, welchen er seither nur an Luisa's Arm gemacht.
Giovannina hatte sich hierauf, ohne etwas zu sagen, in ihr Zimmer zurückgezogen und lange geweint. Es war klar, daß es Salvato widerstrebte, von der Dienerin die Hilfe zu empfangen, welche ihn, wenn sie von der Herrin kam, so glücklich machte, und obschon sie sehr wohl begriff daß zwischen ihrer Herrin und ihr für einen Mann von Distinction kein Zögern möglich war, so empfand sie nichtsdestoweniger jenen tiefen Schmerz, über welchen die Ueberlegung nichts vermag oder den vielmehr die Ueberlegung nur noch bitterer macht.
Wenn sie durch die Glasthür hindurch ihre Herrin nach dem Weggange des Chevaliers leicht wie ein Vogel nach dem Zimmer des Kranken eilen sah, knirschte