»Tödtet ihn, tödtet ihn!« riefen die Mörder, als sie sahen, daß ihr Opfer entkommen sollte.
Der Mensch erhob sich nach seinem Degen greifend, der beim Falle seinen Händen entschlüpft war, nahm seinen Lauf mit gesenktem Haupte durch die Umstehenden, warf drei oder vier nieder und schoß, mitten unter dem Pistolenfeuer, mitten unter den Verwünschungen der Soldaten, welche wüthend darüber waren, daß sie ihn verfehlt hatten, wie der Blitz an Coconnas vorüber, der ihn mit dem Dolche am Thore erwartete.
»Getroffen!« rief der Piemontese, ihm den Arm mit der seinen, spitzigen Klinge durchstoßend.
»Feiger!« antwortete der Flüchtling, seinem Feinde mit der Klinge seines Schwertes das Gesicht peitschend, da er nicht Raum genug hatte, ihm einen Stoß mit der Spitze beizubringen.
»Oh, tausend Teufel!« rief Coconnas, »es ist Herr de La Mole.
»Herr de La Mole!« wiederholten La Hurière und Maurevel.
»Er hat dem Admiral Nachricht gegeben,« riefen mehrere Soldaten.
»Tödtet ihn, tödtet ihn!« brüllte man von allen Seiten.
»Coconnas, La Hurière und zehn Soldaten stürzten La Mole nach, der mit Blut bedeckt und zu jener Stufe von Exaltation gelangt, welche der letzte Vorbehalt menschlicher Kraft ist, ohne einen andern, Führer als den Instinkt, durch die Straßen sprang. Die Tritte und das Geschrei seiner Feinde hinter ihm, spornten ihn an und schienen ihm Flügel zu leihen. Zuweilen pfiff eine Kugel an seinem Ohre hin und verlieh seinem Lauf, statt ihn zu schwächen, eine neue, Geschwindigkeit. Es war kein Athmen mehr, was aus seiner Brust hervorkam, sondern ein dumpfes Röcheln; der Schweiß und das Blut tropften von seinen Haaren und flossen vermischt über sein Gesicht herab. Bald wurde sein Wamms zu eng für die Schläge seines Herzens, und er riß es auf; bald wurde sein Degen zu schwer für seine Hand, und er warf ihn von sich. Zuweilen kam es ihm vor, als entfernten sich die Tritte und als wäre er nahe daran, seinen Henkern zu entfliehen. Aber auf das Geschrei der letzteren verließen andere Mörder, die sich an seinem, Wege befanden und ihm näher waren, ihr blutiges Geschäft und liefen herbei. Plötzlich sah er den Fluß schweigsam an seiner Linien hinrollen. Es kam ihm vor, als fühlte er, wie der Hirsch, der vor Mattigkeit beinahe umsinkt, ein unbeschreibliches Vergnügen, sich hineinzustürzen, und nur die äußerste Kraft des Geistes vermochte ihn zurückzuhalten. Zu seiner Rechten war der Louvre, düster, unbeweglich, aber voll dumpfen, unseligen Geräusches. Auf der Zugbrücke eilten Helme, Panzer hin und her, welche in kalten Blitzen die Strahlen des Mondes wiedergaben. La Mole dachte an den König von Navarra, wie er an Coligny gedacht hatte. Es waren seine zwei einzigen Beschützer. Er raffte alle seine Kräfte zusammen, schaute den Himmel an und that ganz leise das Gelübde, abzuschwören, wenn er der Metzelei entkommen würde, ließ durch einen Umweg die Meute, welche ihn verfolgte, etwa dreißig Schritte verlieren, lief gerade auf den Louvre zu, stürzte durch einander mit den Soldaten auf die Zugbrücke, erhielt einen Dolchstich, welcher an seinen Rippen hinglitt, und trotz des Geschreis: »Tödtet ihn, tödtet ihn!« das hinter ihm und um ihn her erscholl, trotz der angreifenden Stellung, welche die Schildwachen nahmen, schoß er wie ein Pfeil in den Hof, sprang in das Vorhaus, erreichte die Treppe, stieg zwei Stockwerke hinauf, erblickte eine Thüre lehnte sich daran und klopfte mit Händen und, Füßen.
»Wer ist da?« flüsterte eine weibliche Stimme.
»Oh, mein Gott! mein Gott!« murmelte La Mole, »sie kommen … ich höre sie… sie sind da! … ich sehe sie … Ich bin es … ich! …«
»Wer seid Ihr?« versetzte die Stimme.
La Mole erinnerte sich des Losungswortes.
»Navarra! Navarra!« rief er.
Sogleich öffnete sich die Thür: ohne Gillonne zu sehen, ohne zu danken, drang La Mole in einen Vorplatz, eilte durch einen Corridor, durch ein paar Gemächer und gelangte endlich in ein Zimmer, das durch eine am Plafond hängende Lampe beleuchtet war.
Unter Vorhängen von Sammet mit goldenen Lilien, in einem Bette von geschnitztem Eichenholze, öffnete eine in ein Nachtgewand gehüllte Frau, auf ihren Arm gestützt, die vor Schrecken starren Augen.
La Mole stürzte auf sie zu und rief:
»Madame, man tödtet mich, man erdrosselt meine Brüder, man will mich auch tödten, auch erdrosseln! – Ah, Ihr seid die Königin… rettet mich!«
Und er sank, eine breite Blutspur auf dem Teppich zurücklassend, zu ihren Füßen.
Als die Königin von Navarra, welche sich, von der Herzogin von Lothringen gewarnt, völlig angekleidet in das Bett gelegt hatte, diesen bleichen, entstellten, vor ihr knieenden Menschen sah, richtete sie sich erschrocken auf und rief, ihr Gesicht in den Händen verbergend, um Hilfe.
»Madame,« sprach La Mole und strengte sich an, um aufzustehen, »in des Himmels Namen, ruft nicht, wenn man Euch hört, bin ich verloren! Mörder verfolgen mich … sie stürzen hinter mir die Stufen herauf; … ich höre sie … hier sind sie! hier sind sie!«
»Zu Hilfe!« wiederholte die Königin von Navarra außer sich, »zu Hilfe!«
»Ah! Ihr habt mich getödtet,« rief La Mole in Verzweiflung, »durch eine so süße Stimme, durch eine so schöne Hand sterben! Oh! das hätte ich für unmöglich gehalten!«
In demselben Augenblick öffnete sich die Thüre, und eine Meute keuchender, wüthender Menschen, das Gesicht von Blut und Pulver befleckt, Büchsen, Hellebarden und Schwerter in den Fäusten, stürzte in das Zimmer.
An ihrer Spitze war Coconnas. Seine rothen Haare sträubten sich auf seinem Haupte, sein Auge war übermäßig erweitert, die Wange völlig gequetscht von dem Schwerte von La Mole, das eine blutige Furche auf dem Fleische gezogen hatte. So entstellt, war der Piemontese furchtbar anzuschauen.
»Mordi!« rief er, »hier ist er! hier ist er! Diesmal soll er uns nicht entkommen!«
De La Mole suchte eine Waffe um sich her und fand keine. Er warf seine Augen auf die Königin und sah das tiefste Mitleid auf ihrem Antlitz ausgeprägt. Da begriff er, daß sie allein ihn retten konnte, stürzte auf sie zu und umschlang sie mit seinen Armen.
Coconnas machte drei Schritte vorwärts, stieß die Spitze seines langen Degens abermals in die Schulter seines Feindes, und einige Tropfen warmen, frischrothen Blutes besprengten wie Thau die weißen, duftenden Tücher von Margarethe.
Margarethe sah das Blut fließen, sie fühlte das Beben des mit dem ihrigen verschlungenen Körpers und warf sich mit ihm in den Raum hinter dem Bette. Es war die höchste Zeit. Der völligen Erschöpfung seiner Kräfte nahe, fühlte sich de La Mole unfähig, irgend eine Bewegung zu machen. Er legte sein leichenblasses Haupt auf die Schulter der jungen Frau und seine krampfhaft zusammengezogenen Finger klammerten sich ihn zerreißend, an dem feinen gestickten Batist an, der mit einer Gazewelle den Körper von Margarethe bedeckte.
»Oh! Madame,« murmelte er mit sterbender Stimme, »rettet mich!«
Das war Alles, was er sagen konnte. Sein von einer Wolke, der Nacht des Todes ähnlich, verschleiertes Auge verdunkelte sich, der schwere Kopf fiel zurück, seine Arme erschlafften, seine Hüften beugten sich, und er glitt, die Königin mit sich ziehend, auf den Boden in sein eigenes Blut.
In diesem Augenblick streckte Coconnas, durch das Geschrei begeistert, durch den Geruch des Blutes berauscht, außer sich durch den wüthenden Lauf, den er gemacht hatte, den Arm nach dem königlichen Alkoven aus. Noch einen Augenblick und sein Degen durchdrang das Herz von La Mole und vielleicht zugleich das von Margarethe.
Bei dem Anblick dieses entblößten Eisens und vielleicht mehr noch bei dem dieser rohen Frechheit erhob sich die Tochter der Könige in ihrer ganzen Höhe und stieß einen Schrei so von Schrecken, Entrüstung und Wuth aus, daß der Piemontese, durch ein unbekanntes Gefühl versteinert, innehielt. Hätte diese Scene nur unter denselben handelnden Personen fortgedauert, so würde allerdings dieses Gefühl wie ein Morgenschnee unter der Frühlingssonne hingeschmolzen sein.
Aber plötzlich stürzte durch eine in der Wand verborgene Thüre ein junger Mensch von sechszehn bis siebzehn Jahren, schwarz gekleidet,