In geistiger Hinsicht war die Gabe, welche die Natur dem armen Teufel zugeteilt hatte, vielleicht noch geringer. Während schlechte und schmutzige Scheiden bisweilen eine gute und schöne Klinge bergen, enthielt der Körper des Mathias Goguelue – so hieß der Bursch – eine schwache Seele. So viel ist gewiß, daß jedes Wesen, das schwächer war als Mathias, einen Schmerzenslaut von sich gab, sobald er es berührte: Der Vogel, weil er ihm die Federn auszupfte; der Hund, weil er ihn auf die Pfote trat; das Kind, weil er es am Haar zupfte. Dagegen war Mathias neben den Stärkeren demütig, wenn er auch Spott und Hohn nicht ließ; empfing er eine Beleidigung, einen Schimpf, einen Schlag, wie heftig und empfindlich sie auch waren, so behielt sein Gesicht das stumpfsinnige Lächeln, aber die Beleidigung, der Schimpf, der Schlag blieb unvertilgbar in dem Herzen eingeprägt; irgend einmal wurde das Leid, ohne daß man ahnte, woher es kam, hundertfach vergolten und Mathias hatte in der tiefsten Tiefe seines Innern einen Augenblick unheimlicher Freude, die ihn oftmals zu dem Gedanken brachte, das Böse, das er erlitten, sei ein Glück für ihn, da er Böses habe dafür tun können.
Uebrigens muß man zu seiner Entschuldigung hinzufügen, daß sein Leben immer ein schmerzensreiches und unsicheres gewesen. Eines Tages hatte man ihn aus einer Schlucht hervorkommen sehen, wo ihn ohne Zweifel herumziehende Zigeuner zurückgelassen. Er war damals drei Jahre alt gewesen, halb nackt und konnte kaum sprechen. Der Bauer, der ihn zuerst gesehen, hieß Mathias, die Schlucht aus der er gekommen, Goguelue, deshalb wurde das Kind Mathias Goguelue genannt. Von einer Taufe war niemals die Rede gewesen und Mathias vermochte nicht zu sagen, ob er überhaupt getauft worden sei, oder nicht. Wer sollte sich auch mit seiner Seele beschäftigen, da der Körper in einem Zustande sich befand, daß er doch immer von Almosen und Diebstahl leben mußte.
So war er herangewachsen. Obgleich schlecht geformt und hässlich, besaß er doch Kräfte, und obgleich scheinbar stumpfsinnig, war er schlau und pfiffig. Wäre er in Ozeanien, an den Ufern des Senegal, oder im japanischen Meere geboren worden, hätten die Wilden von ihm sagen können, was sie von den Affen sagen: »sie reden nicht, weil sie fürchten, man würde sie für Menschen halten und sie zum Arbeiten nötigen.«
Mathias stellte sich schwach und stellte sich blödsinnig; zeigte sich aber eine Gelegenheit, daß er seine Körperkraft oder seinen Verstand gebrauchen mußte, so gab er Beweise von der rohen Kraft des Bären und der Schlauheit des Fuchses. War dann die Gefahr vorüber, oder der Wunsch befriedigt, so wurde Mathias wieder Mathias, der bekannte, verspottete, kraftlose, blödsinnige Mathias.
Der Abbé Gregoire, – der vortreffliche Mann, von dem ich in meinen »Memoiren« spreche, und der auch in dieser Geschichte eine Rolle zu spielen hat – hatte Mitleid mit dem armen, geistesschwachen Wesen gehabt, sich als den geborenen Vormund des Verwaisten angesehen und ihn um eine Stufe in der Reihenfolge der Geschöpfe höher stellen wollen, deshalb ein Jahr lang sich unsägliche Mühe gegeben ihm lesen und schreiben zu lehren. Nach einem Jahre hatte er den Versuch als unausführbar aufgeben müssen. Der allgemeinen Meinung nach, welcher auch der würdige Abbé folgte, kannte Matthias keinen Buchstaben und vermochte keinen zu schreiben, aber Alle täuschten sich; Mathias las zwar nicht vortrefflich, aber er las und sogar ziemlich geläufig; er schrieb nicht wie in Kupfer gestochen, aber er schrieb und recht leserlich. Nur hatte Niemand ihn jemals lesen hören und schreiben sehen.
Auch Vater Watrin hatte das Seinige getan, Mathias aus seiner Vertierung zu reißen, und zwar aus der körperlichen, wie der Abbé aus der geistigen. Er hatte bemerkt, daß Mathias die Gabe oder das Geschick besaß, das Geschrei der Thiere, den Gesang der Vögel nachzuahmen und einer Fährte zu folgen; er hatte erkannt, daß Mathias mit seinen Schielaugen einen Hasen oder ein Kaninchen im Lager recht gut sehe; es war ihm mehrmals aufgefallen, daß ihm Pulver und Blei fehlte, und geschlossen, daß er die Anlagen des Mathias vielleicht nützlich verwenden, und ihn zu einem brauchbaren Gehilfen im Walde machen könne. Er hatte deshalb mit dem Inspector Deviolaine gesprochen und von diesem die Ermächtigung erhalten, seinem Schützlinge eine Flinte in die Hand zu geben.
Das war denn geschehen, aber nach einer halbjährigen Probezeit hatte Mathias zwei Hunde erschossen, einen Treiber verwundet, aber nie ein Stück Wild getroffen. Da hatte Vater Watrin erkannt, Mathias habe alle Anlage zu einem Wilddiebe, aber keine zu einem Aufseher, und ihm die Flinte wieder abgenommen, von der er einen so schlechten Gebrauch gemacht, worauf der Bursch ohne Scham sein früheres Bettelleben von Neuem angefangen.
Auf seinen Wanderungen blieb das neue Haus und der Heerd des Vaters Watrin ein Lieblingsruhepunkt, trotz dem Hasse, oder vielmehr dem Abscheu, welche Mutter Watrin gegen ihn empfand, die eine zu gute Hausfrau war, als daß sie nicht hätte bemerken sollen, wie sehr die Anwesenheit des Mathias ihren Garten und ihren Speiseschrank benachteiligte, und trotz der Abneigung, mit welcher Bernhard, der Sohn vom Hause, ihn stets angesehen.
Wie übrigens Niemand die Fortschritte kannte, welche Mathias bei dem Unterrichte des Abbé Gregoire im Lesen und Schreiben gemacht hatte, war es auch Allen unbekannt, daß die Ungeschicklichkeit im Schießen von Mathias ebenfalls nur erheuchelt wurde, und daß er, wenn er wollte, ein Rebhuhn und ein Wildschwein so gut traf wie, der beste Schütze im Walde.
Warum entzog Mathias seine Talente den Blicken? Weil er glaubte, es könne ihm nicht blos nützlich sein, lesen, schreiben und schießen zu können, sondern vielleicht in höherem Grade nützlich, wenn man ihm das Geschick dazu nicht zutraue.
Derjenige also, welcher eintrat und Franz gleich im Anfange seiner Erzählung unterbrach, war also ein böswilliger Bursch.
»Wo ist das Wildschwein?« fragte Vater Watrin, der eben die Zunge frei hatte, da er die Pfeife wieder stopfen mußte.
»Im Pökelfaß, da es Franz ja schon hat,« sagte Mathias.
»Noch nicht,« erwiderte dieser, aber ehe die Uhr da die siebente Stunde vermeldet, wird es da sein. Nicht wahr, Schielax?«
Der Hund, den das neu auflebende Feuer in eine wahre Glückseligkeit versetzte, drehte sich auf den Ruf seines Herrn um, kehrte mit dem langen Schweife die Asche hin und her und ließ ein freundliches Knurren hören, welches bejahend auf die gestellte Frage zu antworten schien.
Franz wendete, zufrieden mit der Antwort seines Schielax, die Augen von Mathias mit einem Unwillen ab, den er gar nicht zu verheimlichen suchte, und setzte sein Gespräch mit Vater Watrin fort, der, mit der frisch gestopften Pfeife im Munde, den jungen Mann behäbig anzuhören sich anschickte.
»Das Wildschwein ist etwa eine Viertelstunde von hier,« begann Franz, »in dem Dickicht der Tétes des Salmon. Halb drei Uhr früh ist es von dem Gebüsch am Wege von Dampleur aufgebrochen . . .«
»Woher weißt Du das,« fragte Mathias, »da Du erst um drei hinausgegangen bist?
»Hören Sie nur, Vater Watrin! Fragt der, woher ich das weiß! – Ich will es Dir erzählen, Schielax, und merke es Dir.«
Franz hatte eine üble Gewohnheit, welche Mathias sehr verletzte, die nämlich, den Burschen und den Hund gleichmäßig Schielax zu nennen, obgleich, seiner Meinung nach, der Hund um Vieles zierlicher schielte.
Auf den ersten Blick schienen Beiden – dem Hunde und dem Burschen – die Benennung gleichgültig zu sein, aber die Äußerung dieser Gleichgültigkeit war doch nur bei dem Hunde unverstellt.
Franz selbst achtete nicht darauf und fuhr fort:
»Um welche Zeit fällt der Thau? Um drei Uhr früh, nicht wahr? Nun, wenn das Wildschwein nach dem Thaufalle sich