In sein Hotel zurückgekehrt, bedachte jedoch Herr von Treville, daß es für ihn das Klügste wäre, zuerst Klage zu führen. Er schickte deßhalb einen seiner Bedienten zu Herrn de la Tremouille mit einem Brief, worin er ihn bat, die Leibwache des Herrn Cardinals aus seinem Hause zu entfernen und seinen Leuten einen Verweis darüber zu geben, daß sie die Frechheit gehabt hätten, einen Ausfall gegen die Musketiere zu machen. Aber bereits durch seinen Stallmeister unterrichtet, mit dem Bernajoux, wie man weiß, verwandt war, ließ ihm Herr de la Tremouille antworten, es sei weder an Herrn von Treville, noch an seinen Musketieren, sich zu beklagen, sondern im Gegenteil an ihm, dessen Leute von den Musketieren angegriffen und verwundet worden seien und dem sie sein Hotel hätten in Brand stecken wollen. Da jedoch der Streit zwischen diesen beiden hohen Herren lange hätte dauern können, indem natürlich jeder auf seiner Meinung beharren mußte, so ersann Herr von Treville ein Auskunftsmittel, durch das er die ganze Sache zu beendigen beabsichtige; es bestand darin, Herr de la Tremouille selbst aufzusuchen.
Er begab sich also sogleich in sein Hotel und ließ sich melden.
Die zwei Herren begrüßten sich sehr höflich, denn wenn auch keine Freundschaft unter ihnen bestand, so achteten sie sich doch gegenseitig. Beide waren Männer von Herz und Ehre, und da Herr de la Tremouille, ein Protestant, den König nur selten sah und keiner Partei angehörte, so erfaßte er seine gesellschaftlichen Verhältnisse gewöhnlich ohne Vorurtheil. Diesmal war jedoch sein Empfang, obgleich höflich, kälter als in Regel.
»Mein Herr,« sagte Herr von Treville, »jeder von uns glaubt, er habe sich über den andern zu beklagen, und ich bin gekommen, damit wir diese Angelegenheit gemeinschaftlich ins Reine bringen.«
»Gerne,« erwiederte Herr de la Tremouille, »aber ich habe Euch zu bemerken, daß ich gut unterrichtet bin, und daß alles Unrecht auf Seiten Eurer Musketiere zu suchen ist.«
»Ihr seid ein zu vernünftiger und gerechter Mann, mein Herr,« sagte Herr vom Treville, »um den Vorschlag nicht anzunehmen, den ich Euch machen will.«
»Macht ihn, ich höre.«
»Wie geht es Herrn Bernajoux, dem Vetter Eures Stallmeisters?«
»Sehr schlecht; außer dem nicht besonders gefährlichen Degenstich, den er in den Arm bekommen hat, ist ihm noch ein anderer durch die Lunge beigebracht worden, und der Arzt prophezeit das Schlimmste.«
»Hat der Verwundete sein Bewußtsein behalten?«
»Vollkommen.«
»Spricht er?«
»Mit einer Schwierigkeit, aber er spricht.«
»Nun gut, mein Herr, gehen wir zu ihm. Beschwören wir ihn im Namen Gottes, vor den er vielleicht bald gerufen wird, die Wahrheit zu sagen. Er soll Richter in seiner eigenen Sache sein, und was er sagt, werde ich glauben.«
Herr de la Tremouille überlegte einen Augenblick und willigte dann ein, da man nicht wohl einen vernünftigeren Vorschlag machen konnte.
Beide stiegen in das Zimmer hinab, wo der Verwundete lag. Als dieser die edlen Herren eintreten sah, versucht er es, sich auf seinem Bette zu erheben, aber er war zu schwach, und erschöpft durch diese kurze Anstrengung fiel er beinahe bewußtlos zurück.
Herr de la Tremouille näherte sich ihm und ließ ihn an flüchtigen Salzen riechen, die ihn wieder ins Leben zurückriefen. Herr von Treville forderte Herrn de la Tremouille auf, den Kranken selbst zu fragen, damit man ihn nicht beschuldigen könne, er habe einen Einfluß auf denselben ausgeübt.
Es geschah, was Herr von Treville vorhergesehen hatte. Zwischen das Leben und den Tod gestellt, dachte Bernajoux nicht einen Augenblick daran, die Wahrheit zu verschweigen, und erzählte den zwei Herren den Vorfall ganz genau, wie er sich ereignet hatte.
Das war Alles, was Herr von Treville haben wollte; er wünschte Bernajoux eine baldige Wiedergenesung, nahm von Herrn de la Tremouille Abschied, kehrte sogleich in sein Hotel zurück und ließ die vier Freunde benachrichtigen, daß er sie zum Mittagessen erwarte.
Herr von Treville empfing sehr gute, jedoch anticardinalistische Gesellschaft. Man begreift leicht, daß sich das Gespräch während des ganzen Mittagessens um die beiden Niederlagen drehte, welche die Leibwachen Sr. Eminenz erlitten hatten. Da nun d'Artagnan der Held dieser zwei Tage gewesen war, so fielen ihm alle Glückwünsche zu, die ihm Athos, Porthos und Aramis nicht nur als gute Kameraden, sondern auch als Männer überließen, an denen die Reihe in dieser Beziehung schon oft genug gewesen war.
Gegen sechs Uhr äußerte Herr von Treville, er sei verpflichtet, sich nach dem Louvre zu begeben: da jedoch die von Sr. Majestät bewilligte Audienzstunde vorüber war, stellte er sich, statt den Eingang bei der kleinen Treppe zu fordern, mit den vier jungen Leuten im Vorzimmer auf. Der König war noch nicht von der Jagd zurückgekommen. Unsere jungen Leute warteten, unter die Schaar der Höflinge gemischt, kaum eine halbe Stunde, als sich alle Thüren öffneten und man den König ankündigte.
Bei dieser Ankündigung bebte d'Artagnan bis in das Mark seiner Knochen. Der nächstfolgende Augenblick sollte aller Wahrscheinlichkeit nach über sein ganzes Leben entscheiden. Seine Augen waren voll Furcht auf die Thüre geheftet, durch welche Se. Majestät eintreten mußte.
Ludwig XIII. erschien zuerst in dem Vorzimmer. Er trug ein noch ganz bestaubtes Jagdgewand, hatte große Stiefel an und hielt eine Peitsche in der Hand. Auf den ersten Blick erkannte d'Artagnan, daß im Geiste des Königs ein Sturm tobte.
So sichtbar auch diese Stimmung bei Sr. Majestät war, so hielt sie die Höflinge doch nicht ab, sich in den königlichen Vorgemächern an seinem Weg aufzustellen. Für sie ist es immer noch besser, mit einem zornigen Auge, als gar nicht gesehen zu werden. Die drei Musketiere zögerten also nicht und traten einen Schritt vor, während d'Artagnan im Gegentheil hinter ihnen verborgen blieb. Aber obgleich der König Athos, Porthos und Aramis persönlich kannte, ging er doch an ihnen vorüber, ohne sie anzuschauen, ohne mit ihnen zu sprechen, als ob er sie nie gesehen hätte. Als die Augen des Königs sich einen Moment auf Herrn von Treville hefteten, hielt dieser den Blick mit solcher Festigkeit aus, daß der König sein Gesicht abwandte, worauf Se. Majestät unter fortwährendem Gemurre sich in ein inneres Gemach zurückzog.
»Die Sache steht schlimm,« sagte Athos lächelnd, »und man wird uns diesmal noch nicht zu Ordensrittern machen.«
»Wartet hier zehn Minuten,« sprach Herr von Treville, »und wenn Ihr mich nach Ablauf dieser Zeit nicht herauskommen seht, so kehrt in mein Hotel zurück, denn es ist unnütz, daß Ihr dann länger hier verweilt.«
Die jungen Leute warteten zehn Minuten, eine Viertelstunde, zwanzig Minuten; als sie sahen, daß Herr von Treville nicht wieder erschien, entfernten sie sich, sehr unruhig über das, was geschehen würde.
Herr von Treville war keck in das Kabinet des Königs getreten und hatte Se. Majestät, in einem Fauteuil sitzend und mit dem Griffe seiner Peitsche auf seine Stiefel klopfend, in sehr übler Laune gefunden, was ihn nicht abhielt, den König mit dem größten Phlegma nach seinem Befinden zu fragen.
»Es steht schlecht, mein Herr, sehr schlecht,« erwiederte der König,« ich langweile mich.«
Dies war in der That die schlimmste Krankheit Ludwigs XIII., der häufig einen seiner Höflinge am Arme nahm, in ein Fenster zog und zu ihm sagte: Mein Herr So und So, langweilen wir uns mit einander.«
»Wie! Ew. Majestät langweilt sich,« sprach Herr von Treville, »habt Ihr heute nicht das Vergnügen der Jagd genossen?«
»Ein schönes Vergnügen! auf meine Ehre, ganz entartet, und ich weiß nicht, ob das Wild keine Fährte mehr hat oder ob die Hunde keine Nase mehr haben. Wir treiben einen Zehnender auf, wir reiten ihm sechs Stunden nach, und als er eben im begriff ist, Halt zu machen, als Simon eben das Horn an den Mund setzen will, um Halali zu blasen, krack! verschlägt die ganze Meute die Spur und schießt einem Spießer nach. Ihr werdet sehen, daß ich genöthigt bin, auf diese Jagd Verzicht zu leisten, wie ich auf die Beize verzichtet habe. Ach! ich bin ein sehr unglücklicher König, Herr von Treville, ich hatte nur noch einen Geierfalken, er ist vorgestern gestorben.«
»In