Abends war Jean Oullier im Schlosse Souday.
Der Marquis empfing ihn mit sichtbarer Freude; den ganzen Tag war er von dem Gedanken gemartert worden, Jean Oullier sey abwesend oder todt.
Er dachte dabei natürlich nur an sich selbst, denn wir kennen den Marquis von Souday bereits als einen Egoisten. Der Marquis erzählte dem treuen Freunde seine Lage und die Verlegenheiten, die für ihn daraus entstehen konnten.
Jean Oullier, dessen zwei Kinder gemordet worden waren, begriff nicht, wie sich ein Vater von seinen Kindern trennen konnte. Er nahm indeß den Antrag des Marquis, der ihm für die nächsten zwei oder oder drei Jahre seine beiden Kinder anvertrauen wollte, bereitwillig an. Später sollten die Mädchen in einer Kostschule die nöthige Ausbildung erhalten. Jean Oullier sollte in La Chevrolière oder in der Umgegend eine brave Frau aufsuchen, die bei den Kindern die Stelle der Mutter vertreten sollte, – so weit es nämlich möglich ist, bei Waisen die Mutter zu ersetzen.
Die Zwillingsschwestern waren so allerliebst so munter und freundlich, daß Jean Oullier sie sogleich liebgewann. Er meinte, sie erinnerten ihn mit ihren rosigen Gesichtchen und ihren langen Locken an die Engel, welche vormals, ehe sie zertrümmert worden, die heilige Jungfrau am Hauptaltare zu Grand-Lieu umschwebt hatten.
Es wurde also beschlossen, daß Jean Oullier die beiden Kinder am andern Morgen mitnehmen sollte.
Zum Unglück hatte es die ganze Zeit zwischen der Abreise der Amme und der Ankunft Oullier’s geregnet. Der Marquis, der sein Schloß nicht verlassen konnte, fing an sich zu langweilen, und zum Zeitvertreib hatte er mit den beiden Kindern gespielt. Wie Heinrich IV. hatte er die Kleinen auf seinen Rücken gesetzt und war auf allen Vieren im Zimmer herumgekrochen; ja, um die Sache noch unterhaltender zu machen, hatte er abwechselnd die Töne des Waldhorns und das Gebell einer Meute nachgeahmt.
Die Jagd zwischen vier Wänden hatte den Marquis von Souday ungeheuer amüsiert und die kleinen Mädchen hatten noch nie so viel gelacht.
Ueberdies hatten sie großen Gefallen gefunden an den Zärtlichkeiten, mit denen er sie überhäuft, vermuthlich um die Vorwürfe, die ihm sein Gewissen über die neue Trennung machte, zu beschwichtigen.
Die Zuneigung und Dankbarkeit der beiden Kinder schien seinen ganzen Plan zerstören zu wollen. Als nämlich der Wagen, der die Kleinen abholen sollte, vor der Schloßtreppe erschien, begannen sie jämmerlich zu schreien. Bertha stürzte auf ihren Vater zu und umklammerte seine Knie so fest, daß es der Marquis nicht über sich gewinnen konnte, ihre Händchen mit Gewalt loszumachen. Mary hatte sich auf eine Stufe gesetzt und weinte so bitterlich, daß Jean Oullier durch diesen stillen Schmerz noch tiefer gerührt wurde, als durch die stürmische Verzweiflung der andern Schwester.
Der Marquis von Souday bot seine ganze Beredsamkeit auf, den beiden Kindern einzureden, wenn sie in den Wagen stiegen, würden sie weit mehr Zuckerwerk und Vergnügen haben, als wenn sie bei ihm blieben; aber je mehr er sprach, desto trauriger schluchzte Mary, desto toller geberdete sich Bertha.
Der Marquis fing an, ungeduldig zu werden, und als er sah, daß die Ueberredung nichts half, war er schon im Begriff, Gewalt zu brauchen, aber zum Glück bemerkte er, daß zwei Thränen über die gebräunten Wangen Oullier’s rannen und sich in dem dichten Backenbart, der sein Gesicht umgab, verloren.
Diese Thränen waren zugleich eine Bitte für den Marquis, ein Vorwurf für den Vater.
Auf seinen Wink spannte Oullier das Pferd aus, und während Bertha, die den Wink verstanden hatte, vor Freude tanzte, sagte der Marquis dem Bauer ins Ohr:
»Du gehst morgen.«
Da das Wetter schön war, so wollte der Marquis die Anwesenheit Oullier’s benützen und mit ihm auf die Jagd gehen. Er führte ihn daher in sein Zimmer, um ihn auszurüsten.
Jean Oullier war erstaunt über die schreckliche Unordnung, die in dem Zimmer seines Herrn herrschte. Dieser benutzte die Gelegenheit, über seine Haustyrannin zu klagen, die zwar die Küche recht gut besorgte, aber das übrige Hauswesen schmählich vernachlässigte.
Der Marquis mußte länger als zehn Minuten suchen, ehe er eine Jacke fand, an der nicht alle Knöpfe fehlten, oder ein Beinkleid, welches sich nicht in einem unziemlichen Zustande der Auflösung befand. Endlich wurde die nöthige Ausrüstung aufgefunden.
Der Marquis war freilich Wolfsjägermeister, aber er war zu arm, einen Rüdenknecht zu halten; daher kehrte er gemeiniglich ohne Jagdbeute heim.
Mit Jean Oullier war es anders.
Der kräftige Bauer erstieg mit der Leichtigkeit eines Rehbocks die steilsten Anhöhen des Waldes; er sprang über die breitesten Gräben und blieb nie hinter den Hunden zurück, und schon auf der ersten Jagd wurde ein starker Keiler erlegt.
Der Marquis kam daher seelenvergnügt nach Hause und dankte Jean Oullier für den genußreichen Tag, den er ihm verdankte.
Bei Tische war er in der heitersten Laune und erfand neue Spiele, um die beiden Kinder zu unterhalten.
Als er sich Abends in sein Zimmer zurückzog, fand er Jean Oullier mit gekreuzten Beinen, nach Art der Türken oder Schneider, in einem Winkel sitzen. Ein großer Haufe Kleider lag vor ihm und in der Hand hielt er eine alte Sammtjacke, deren schadhafte Stellen er ausbesserte.
»Was zum Teufel machst Du da?« fragte ihn der Marquis.
»Wenn man seit mehr als zwanzig Jahren allein gelebt hat,« antwortete Jean Oullier, »so muß man von Allem etwas können; ein alter Soldat kommt auch nie in Verlegenheit.«
»Ich bin doch auch Soldat gewesen« entgegnete der Marquis.
»Nein, Sie waren Offizier; das ist ganz etwas Anderes.«
Der Marquis von Souday sah Jean Oullier mit Bewunderung an und ging zu Bett, ohne daß sich der alte Chouan in seiner Arbeit stören ließ.
Mitten in der Nacht erwachte der Marquis.
Jean Oullier arbeitete noch. Der Kleiderhaufe war nicht merklich kleiner geworden.
»Du wirst nicht zu Ende kommen, wenn Du auch die ganze Nacht arbeitest, armer Jean!« sagte der Marquis.
»Ach! ja, ich fürchte es auch.«
»Geh zu Bett, alter Camerad; Du sollst nicht fort, bis dieser Plunder etwas in Ordnung ist, und morgen gehen wir wieder auf die Jagd.«
IV.
Wie Jean Oullier, der auf eine Stunde zum Marquis gekommen war, noch bei ihm seyn würde, wenn Beide nicht seit zehn Jahren todt waren
Ehe der Marquis am andern Morgen auf die Jagd ging, fühlte er das Verlangen seine Kinder zu umarmen.
Er ging in ihr Zimmer und fand zu seinem Erstaunen den Allerweltsmann Jean Oullier, der ihm zuvorgekommen war und die beiden Kleinen mit bonnenhafter Geduld und Beharrlichkeit wusch und ankleidete. Der arme Mann, der sich dabei seiner verlorenen Kinder erinnerte, schien große Freude an diesem Geschäft zu finden.
Die Bewunderung des Marquis wurde fast zur Ehrfurcht.
Acht Tage wurde ohne Unterbrechung gejagt, und jeden Abend kehrten Herr und Diener mit reicher Beute heim.
Jean Oullier war abwechselnd Jäger und Hausverwalter. Abends arbeitete er fleißig an der Verjüngung der Toilette seines Herrn, und er fand noch Zeit, das Haus von oben bis unten zu säubern und aufzuräumen.
Der Marquis von Souday dachte mit Schrecken an die vielleicht unvermeidliche Trennung von einem so unbezahlbaren Diener. Er wußte in der That nicht, welche treffliche Eigenschaft des Vendéer er am meisten bewundern sollte. Jean Oullier schien in der That den feinen Geruch eines Schweißhundes zu haben, denn er wußte im bethauten Grase wie auf den steinigen Waldwegen, die für Andere nicht sichtbare Fährte des Ebers zu finden und sogar dessen Alter zu bestimmen. Er folgte den Hunden so gut zu Fuß wie ein berittener Jäger. Und wenn die ermüdeten Hunde zu Hause bleiben mußten, so führte er seinen Herrn in die Gehäge, wo viele Schnepfen und Birkhühner waren.
»Mit der Heirath lasse ichs gut seyn,« sagte der Marquis