»Sind Ihnen etwa die Wölfinnen begegnet?« fragte Courtin. »Ich habe das Horn des alten Chouan gehört.«
»Wen meint Ihr mit den Wölfinnen?« fragte Michel.
»Die unehelichen Töchter des Marquis – wen denn sonst?«
»Diese beiden Mädchen nennt Ihr Wölfinnen?«
»Man pflegt sie in der ganzen Gegend so zu nennen; aber Sie sind erst vor Kurzem von Paris gekommen und können es nicht wissen.«
Die Grobheit, mit welcher Courtin von den beiden Mädchen sprach, setzte den jungen Mann so in Verlegenheit, daß er, ohne zu wissen warum, mit einer Lüge antwortete.
»Nein,« sagte er, »sie sind mir nicht begegnet.«
Courtin bemerkte seine Verlegenheit; er glaubte ihm nicht.
»Ich hätte es Ihnen wohl gewünscht,« sagte er, »denn es sind zwei hübsche Mädchen. Sie sollen zwar ein Bisschen allzu lustig seyn; aber die Jugend muß doch ihr Vergnügen haben, nicht wahr, Monsieur Michel?«
Der junge Mann wurde sehr verstimmt über die empörende Nachsicht, mit welcher der plumpe Bauer von den beiden reizenden Amazonen sprach. Er verhehlte seinen Verdruß nicht.
Courtin bezweifelte nun nicht mehr, daß Michel die »Wölfinnen«, wie er sie nannte, gesehen hatte, und dieses Läugnen führte ihn zu Vermuthungen, die keineswegs gegründet waren. Er wußte, daß der Marquis von Souday vor wenigen Stunden in der Nähe von La Logerie gewesen war, und es schien ihm mehr als wahrscheinlich, daß Bertha und Mary, die auf der Jagd immer bei ihrem Vater zu seyn pflegten, dem jungen Wilddiebe begegnet waren. Vielleicht hatte Michel sogar mit ihnen gesprochen, und nach der Meinung, die man von den Töchtern des Marquis hatte, konnte eine Unterredung mit ihnen nur der Anfang einer Intrigue seyn.
Courtin war Pächter des jungen Gutsherrn, aber das Feld, welches er bebaute, war für ihn Nebensache, er wollte ihm näher stehen, sich unentbehrlich machen, und zu diesem Zwecke bot der schlaue Bauer alle möglichen Mittel auf.
Es war ihm nicht gelungen, seinen jungen Herrn zum leidenschaftlichen Jäger zu machen und dadurch mit seiner Mutter zu entzweien. Jetzt bot sich ihm eine andere Gelegenheit, der Vertraute Michels zu werden und dadurch sein eigenes Interesse zu fördern. Er sah ein, daß er unklug gehandelt hatte, von den beiden Amazonen mit Geringschätzung zu sprechen, und suchte mit der ihm eigenen Schlauheit und Gewandtheit das verlorene Terrain wieder zu gewinnen.
»Uebrigens,« fuhr er mit scheinbarer Gutmüthigkeit fort, »kann man nicht Alles glauben, was die Leute von Fräulein Bertha und Fräulein Mary sagen —«
»Mary und Bertha heißen sie?« fragte der junge Mann, ihm hastig ins Wort fallend.
»Ja; Fräulein Bertha ist die Brünette, Fräulein Mary die Blondine.«
Er glaubte zu bemerken, daß der junge Gutsherr etwas erröthete, als der Name Mary genannt wurde.
»Die beiden Fräulein,« setzte Courtin hinzu, »jagen und reiten gern. Aber man kann deshalb doch ehrbar und tugendhaft seyn. Der selige Pfarrer in Benate war ein leidenschaftlicher Jäger, aber trotzdem las er schöne Messen.«
»Es ist wahr,« erwiderte Michel, der seine erste Aussage ganz vergessen hatte, »es ist wahr, sie scheinen recht gut und liebenswürdig zu seyn – insbesondere Fräulein Mary.«
»Ja, sie sind sehr gut, Monsieur Michel. Als im vorigen Sommer das Sumpffieber ausgebrochen war und alle Aerzte und Bader, ja sogar die Thierärzte Reißaus genommen hatten – wer hat da die Kranken gepflegt und ihnen Arzneien gebracht? Die beiden Fräulein von Souday! Und sie thun’s nicht, um damit zu prahlen; nein, sie gehen insgeheim zu den armen Leuten, sie säen Almosen und ernten Segenswünsche. Die reichen Leute mögen sie immerhin hassen, die Vornehmen sie verachten, aber man kann dreist behaupten, daß sie von den Armen verehrt werden.«
»Woher kommt es denn, daß sie so gehaßt und verachtet werden?«
»Das weiß kein Mensch zu sagen; man folgt ja gemeiniglich nur der blinden Leidenschaft und nicht der Vernunft. Die menschliche Gesellschaft ist wie ein Schwarm Vögel: wenn einer darunter krank ist und piept, so fallen sie alle über ihn her und reißen ihm die Federn aus. Und gerade die Leute ihres Standes wenden sich von ihnen ab und werfen den ersten Stein auf sie. Ihre Mama, zum Beispiel, ist sehr gut, Monsieur Michel; aber ich wette, sie würde von den beiden Fräulein eben so schlecht sprechen, wie andere Leute, wenn die Rede darauf käme.«
Aber ungeachtet des veränderten Tones, den Courtin anstimmte, schien der junge Gutsherr nicht geneigt, sich in ein trauliches Gespräch einzulassen Courtin war seinerseits der Meinung, daß er der gehofften Annäherung genügend den Weg gebahnt. Er begleitete den jungen Herrn bis an das Ende seines Feldes.
Und während er schweigend neben ihm her ging, bemerkte er, daß die Blicke des jungen Gutsherrn sehr oft nach dem Walde von Machecoul hinüberschweiften.
VIII.
Die Baronin de La Logerie
Während Courtin seinem jungen Herrn den Schlagbaum öffnete, wurde Michel von einer weiblichen Stimme gerufen.
Er stand etwas betroffen still.
Gleich darauf kam eine Dame hinter der Hecke hervor.
Mit dieser Dame, welche vierzig bis fünfundvierzig Jahre alt war, müssen wir den Leser näher bekannt machen.
Ihr Gesicht war gemein und ohne Ausdruck; der einzige hervorstechende Charakterzug war ein affectirter Dünkel, der zu ihrer kleinen beleibten Gestalt nicht recht paßte. Ihr seidenes Kleid machte zu viel Prunk auf dem freien Felde, und hätte sie nicht einen großen Strohhut getragen, so hätte man glauben können, sie habe eben einen Besuch in der Vorstadt Saint-Honoré gemacht.
Es war die Person, deren Vorwürfe der arme »Monsieur Michel« so gefürchtet hatte.
»Du bist hier, Michel!« sagte sie.
»Du bist sehr rücksichtslos gegen deine Mutter! Es hat schon vor einer halben Stunde zur Tafel geläutet. Du weißt doch, wie ungern ich warte und wie sehr ich auf die Hausordnung halte – und ich finde Dich im vertraulichen Gespräch mit diesem Bauer!»
Michel begann eine Entschuldigung zu stammeln; aber der Scharfblick der Mutter bemerkte das mit Blut befleckte Schnupftuch, welches um seinen Kopf gebunden war und von dem breiten Rande seines Strohhutes nicht genügend bedeckt wurde.
»Was! Du bist verwundet!« fuhr sie noch lauter als bisher in ihrer Strafpredigt fort. »Was ist denn geschehen? Sprich, Du siehst ja, daß ich vor Ungeduld sterbe!»
Sie stieg nun mit einer Schnelligkeit und Behendigkeit, die man von einer so beleibten Dame nicht erwartet hätte, über die Hecke, und ehe es ihr Söhnlein hindern konnte, riß sie ihm den Hut sammt dem Schnupftuch vom Kopf.
Die Wunde fing wieder an zu bluten.
»Monsieur Michel«, wie ihn Courtin zu nennen pflegte, war ganz verblüfft und wußte nicht was er antworten sollte.
Courtin kam ihm zu Hilfe.
Der pfiffige Bauer schloß aus der Verlegenheit seines jungen Herrn, daß dieser seiner Mutter den Jagdfrevel nicht gern gestehen wollte und gleichwohl Bedenken trug, sich durch eine Lüge zu entschuldigen. Courtin hatte nicht dieselben Bedenklichkeiten wie der junge Gutsherr und er nahm die Sünde, welche Michel nicht begehen wollte, entschlossen auf sein Gewissen.
»O! die Frau Baronin dürfen sich nicht ängstigen,« sagte er, »es hat gar nichts zu bedeuten.«
»Aber was ist ihm denn geschehen? Antwortet für ihn, Courtin; mein Sohn scheint keine Auskunft geben zu wollen.«
Monsieur Michel blieb wirklich sprachlos.
»Sie sollen es sogleich erfahren, Frau Baronin,« antwortete Courtin. »Ich hatte hier vom Ausputzen der Bäume und Hecken ein Bündel Reiseholz; es war zu schwer, ich konnte es nicht allein auf meine Schultern heben – Monsieur Michel; war so gütig mir zu helfen, und ein Ast ritzte ihm die Stirn —«
»Es