»Hat der König die Flucht fest beschlossen, oder ist es nur ein Plan?« erdreistete sich der junge Mann zu fragen.
»Mein lieber Louis,« erwiederte Ludwig XVI., »noch ist nichts fest beschlossen, und Alles wird von den Umständen abhängen. Sehe ich, daß die Königin und meine Kinder neue Gefahren laufen, wie die, welchen sie in der Nacht vom 5. auf den 6. October preisgegeben waren, so werde ich mich entscheiden, und sagen Sie Ihrem Vater: sobald der Entschluß gesaßt ist, wird er unwiderruflich sein.«
»Sire,« fuhr der junge Mann fort, »wenn es mir nun erlaubt wäre, in Beziehung auf die Art, wie die Reise gemacht werden soll, der Weisheit des Königs die Ansicht meines Vaters zu unterwerfen . . .«
»Oh! sprechen Sie.«
»Seiner Ansicht nach, Sire, würde man die Gefahren der Reise vermindern, wenn man sie theilte.«
»Erklären Sie sich.«
»Sire, Eure Majestät würde aus der einen Seite mit Madame Royale und Madame Elisabeth abreisen, während die Königin auf der andern mit Monseigneur dem Dauphin abginge, . . .so daß . . .«
Der König ließ Herrn von Bouillé seinen Satz nicht vollenden und erwiederte: »Es ist unnütz, diesen Punkt zu erörtern; wir, die Königin und ich, haben in einem feierlichen Augenblicke beschlossen, daß wir uns nicht verlassen werden. Will Ihr Vater uns retten, so rette er uns Beide mit einander oder keines von Beiden.«
Der junge Graf verbeugte sich und sprach:
»Ist der Augenblick gekommen, so wird der König seine Befehle geben, und seine Befehle sollen vollzogen werden. Nur erlaube ich mir, dem König zu bemerken, daß es schwierig sein wird, einen Wagen zu finden, der groß genug, daß Ihre Majestäten, deren erhabene Kinder, Madame Elisabeth und einige Dienstleute, welche sie begleiten sollen, darin Platz haben.«
»Seien Sie deshalb unbesorgt, mein lieber Louis: man wird ihn besonders hierfür machen lassen, denn es ist für den Fall vorhergesehen.«
»Noch etwas Anderes, Sire; es führen zwei Straßen nach Montmédy; ich habe Sie zu fragen, welche diejenige ist, der Eure Majestät den Vorzug gibt, damit man sie durch einen vertrauten Ingenieur studiren lassen kann.«
»Diesen vertrauten Ingenieur haben wir. Herr von Charny, der uns ganz ergeben ist, hat Karten von den Gegenden von Chandernagor mit der größten Treue und einem merkwürdigen Talente gezeichnet; je weniger Personen wir in das Geheimniß ziehen, desto besser wird es sein; wir haben im Grafen einen ganz bewährten, verständigen und braven Diener: benützen wir ihn. Was die Straße betrifft, so sehen Sie, daß ich mich damit beschäftigt habe. Da ich zum Voraus Montmédy wählte, so sind die zwei Straßen, welche dahin führen, aus dieser Karte punktirt.«
»Es gibt sogar drei,« bemerkte ehrerbietig Herr von Bouillé.
»Ja, ich weiß es, diejenige, welche von Paris nach Metz geht, die man verläßt, nachdem man durch Verdun gekommen ist, um den Weg längs der Maaß, nach Stennay einzuschlagen, wovon Montmédy nur drei Meilen entfernt ist.«
»Dann ist die nach Rheims, Isle, Rethel und Stennay,« sagte der junge Graf so lebhaft, daß der König wahrnahm, er gebe dieser den Vorzug.
»Ah! ah,« rief der König, »es scheint, das ist die Straße, die Sie vorziehen?«
»Oh! nicht ich, Sire, Gott bewahre mich, daß ich, der ich beinahe ein Kind bin, die Verantwortlichkeit für eine in einer so ernsten Angelegenheit ausgesprochene Meinung haben soll. Nein, Sire, das ist nicht meine Meinung, es ist die meines Vaters, und er stützte sich darauf, daß die Landschaft, welche man durchreise, arm, beinahe verödet sei, daß sie folglich weniger Vorsichtsmaßregeln erforderte; er fügt bei, Royal-Allemand, das beste Regiment des Heeres, das einzige vielleicht, welches völlig treu geblieben, liege in Garnison in Stennay, und es könnte von Isle oder Rethel an mit der Bedeckung des Königs beauftragt werden; so würde man die Gefahr einer zu großen Truppenbewegung vermeiden . . .«
»Ja,« unterbrach ihn der König, »doch man würde durch Rheims kommen, wo ich gesalbt worden bin, wo der Erste der Beste mich zu erkennen im Stande ist, . . .Nein, mein lieber Graf, über diesen Punkt habe ich mich entschieden.«
Der König sprach seine letzten Worte mit einem so festen Tone, daß der Graf es nicht einmal wagte, diese Entscheidung zu bekämpfen.
»Der König hat sich also entschieden? . . .« fragte er.
»Für die Straße nach Chalons durch Varennes, mit Vermeidung von Verdun. Was die Regimenter betrifft, so sollen sie in den zwischen Montmédy und Chalons liegenden Dörfern echelonnirt werden; ich würde sogar nichts Ungeeignetes darin sehen, wenn mich das erste Detachement in letzterer Stadt erwartete,« fügte der König bei.
»Sire, wenn wir so weit sind, wird es ein Punkt der Erörterung sein, bis zu welcher Stadt sich diese Regimenter wagen sollen; nur ist dem König nicht unbekannt, daß es in Varennes keine Pferdepost gibt.«
»Es freut mich, Sie so wohl unterrichtet zu sehen, Herr Graf,« sagte der König lachend: »das beweist, daß Sie mit allem Ernste an unserem Plane gearbeitet haben; doch seien Sie hierüber ruhig, wir werden Mittel finden, Pferde diesseits und jenseits der Stadt bereit halten zu lassen; unser Ingenieur wird uns sagen, wo dies am Besten geschehen kann.«
»Und nun, Sire,« sprach der junge Graf, »ermächtigt mich nun, da beinahe Alles festgestellt ist, Eure Majestät, ihr im Namen meines Vaters ein paar Zeilen eines italienischen Schriftstellers zu citiren, die ihm so sehr der Lage, in welcher sich der König befindet, zu entsprechen schienen, daß er mir befahl, sie auswendig zu lernen, damit ich sie dem König sagen könnte.«
»Sprechen Sie, mein Herr.«
»Sie lauten: »»Der Verzug ist immer nachtheilig, und bei allen Dingen, die man unternimmt, gibt es nie völlig günstige Umstände; so daß derjenige, welcher wartet, bis er eine vollkommene Gelegenheit trifft, nie eine Sache unternehmen oder, wenn er sie unternimmt, häufig schlecht davon kommen wird.«« Es ist der Autor, welcher so spricht, Sire.«
»Ja, mein Herr, und dieser Autor ist Macchiavelli, Glauben Sie mir, ich werde den Rath des Gesandten der herrlichen Republik berücksichtigen . . .Doch stille! . . .ich höre Tritte aus der Treppe . . .Gamain kommt herab; gehen wir ihm entgegen, damit er nicht sieht, wir haben uns mit etwas Anderem beschäftigt, als mit dem Schranke.«
Bei diesen Worten öffnete der König die Thüre der Geheimtreppe.
Es war Zeit, der Schlossermeister stand, mit seinem Schlosse in der Hand, auf der letzten Stufe.
XXXIX
Wo bewiesen ist, daß es wirklich einen Gott für die Trunkenen gibt
An demselben Tage, gegen acht Uhr Abends, kam ein als Arbeiter gekleideter Mann, der vorsichtig die Hand auf die Tasche seines Wammses drückte, als enthielte an diesem Abend seine Tasche eine bedeutendere Summe, als die Tasche eines Arbeiters gewöhnlich enthält, kam ein Mann, sagen wir, aus den Tuilerien über den Pont Tournant, wandte sich links und folgte von einem Ende zum andern der großen Allee, welche aus der Seite der Seine diesen Theil der Champs-Elysées verlängert, den man früher den Port au Marbre oder Port aux Pierres nannte und heute den Cours-la-Reine nennt.
Am äußersten Ende dieser Allee befand er sich aus dem Quai de la Savonnerie.
Der Quai de la Savonnerie war zu jener Zeit sehr heiter am Tage und sehr erleuchtet am Abend durch eine Menge kleiner Schenken, wo am Sonntag die guten Bürger den flüssigen und festen Proviant kauften, den sie auf Schiffen, welche sie um zwei Sous für die Person mietheten, mit sich nahmen, um den Tag aus der Schwaneninsel zuzubringen; eine Insel, auf der sie, ohne diese Vorsicht, Hungers zu sterben Gefahr gelaufen wären, und zwar an gewöhnlichen Wochentagen,