Fridolins heimliche Ehe. Adolf von Wilbrandt. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Adolf von Wilbrandt
Издательство: Public Domain
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Жанр произведения: Зарубежная классика
Год издания: 0
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des rechten Armes begleitet. Dann ergriff er seinen Hut, winkte Leopold, ihm zu folgen, und ging zur Thür. Auf der Schwelle blieb er noch einmal stehn und blickte auf Fridolin zurück, der mit einem aus verschiedenen Gefühlen gemischten Erröten kämpfte. »Und was also Franz und die Bruderschaft betrifft,« setzte er hinzu —

      Frivolin horchte auf.

      »So sag' ich Ihnen, mein Sohn: Ihre Stunde ist noch nicht gekommen.«

      III

      Der März dieses Jahres (es ist lange her) war nach einem harten Winter plötzlich mild geworden; und drei Wochen lang hatte er nun schon diese menschenfreundliche Rolle gespielt. Man hatte, nach Menschenart, bereits vergessen, daß Berlin eine der Hauptstädte des Nordens ist, man glaubte die Herrschaft des Frühlings angebrochen, die »Erdachse« zu Gunsten eines milderen Klimas »gedreht«; das dem nordischen Menschen eigene, stillende, festigende, schön befriedende Wintergefühl zerflatterte mehr und mehr in die Unruhe der Seele, die der Lenz hervorbringt. Der Abend dieses zwanzigsten März war noch mehr als alle früheren von lauen Lüften und fast sommerlich warm gefärbten Wolken verklärt. Als Fridolin mit Leopold auf die Straße hinaustrat, hatte der beinahe volle Mond das klare Gewölbe erstiegen und beleuchtete den langsamen Wolkenzug, den ein phantasievolles Auge für einen ungeheuren Wanderzug heimkehrender Frühlingsvögel halten konnte. Die beiden, diesem Zuge folgend, schlenderten über den Potsdamer Platz, durch die stillere Bellevuestraße in den Tiergarten hinein, und auch die Nacktheit seiner dunklen Bäume beirrte ihre Frühlingsgefühle nicht. Die leise Luft wehte so mild; der Geruch sprießender Blätter, Veilchenduft und Vogelgesang schien sie zu durchschwärmen. Fridolin hatte seines jungen Freundes Arm genommen; er sing an, leise ein Lied zu singen; Leopold sang nicht mit, aber er störte ihn nicht. So hatten sie noch wenig gesprochen, als sie endlich der »Rousseau-Insel« gegenüber stehen blieben und ein träumerischer Gedankengang, der Fridolins Züge weich machte, ihn festzubannen schien. Er lehnte sich an einen Baum. Der Mond beschien seinen schwarzen, weichen, künstlerisch eingedrückten Hut, und das immer noch schöne Gesicht. Die Falte zwischen den Augen war von der lyrischen Stimmung, in der er sich fühlte, fast aufgelöst; die blauen Augen hatten einen Ausdruck beinahe weiblicher Empfindsamkeit, einen sanften Glanz, sanft wie do« Mondlicht, das ihn überfloß. Leopold, den klugen, beobachtenden Blick auf Fridolin geheftet, stand gleichfalls still, ohne sich zu rühren. Um seine Lippen rührte sich wieder der feine, frühreife, überlegene Zug; doch er ließ Fridolin träumen, wie er wollte, und störte ihn nicht. »In solcher Nacht,« fing Fridolin endlich an,

      »In solcher Nacht ward ich zur Nachtigall

      Und flötete von unerhörter Liebe.«

      »In solcher Nacht,« sagte Leopold mit seinem ruhigen Baß, »lief ich an der Rousseau-Insel Schlittschuh, mit einer Dame im Pelzmuff, und ward geliebt.«

      »Mein teurer Freund,« erwiderte Fridolin wehmütig, »dein jugendlicher Hochmut hat leider recht. Du bist jung, ich bin alt.«

      Leopold lächelte. »Du bist vierzig, ich zweiundzwanzig! Wenn ich vierzig Jahre alt sein werde, werd' ich nicht ›von unerhörter Liebe flöten‹, sondern alle zweiundzwanzigjährigen Jünglinge durch mein Liebesglück beschämen, zur Verzweiflung bringen, rasend machen.«

      »Glaubst du? – Es scheint, mein Lieber, dieses Jahr, seit ich dich nicht gesehn, hat dich Sohn des Glücks noch glücksstolzer, noch selbstgewisser gemacht! – Du hast dich verschönert, das ist wahr; du siehst reifer, geistreicher, siehst bedeutender aus. Du siehst aus wie deine Briefe: fünfundzwanzigjährig. Wär' ich deine Mutter, so würd' ich stolz auf dich sein. Da ich aber nur dein Freund bin – und vor einem Jahr noch dein ›Meister‹ war – so möcht' ich dir lieber sagen, mein Sohn, daß du doch immer noch ein Werdender bist.«

      »Ebensogut könntest du dem Baum sagen, daß er ein Baum ist,« erwiderte Leopold lächelnd. »Wie und wann sollt' ich denn vergessen, daß ich ein Werdender bin? Daß ich werde, das ist's ja, warum ich lebe.«

      Fridolin nickte zufrieden. »Da sagst du einmal ein gutes Wort! Wenn du so denkst, mein Sohn, sehe ich den Klettersprüngen deines Lebens etwas ruhiger zu. Und wie lange denkst du noch ein Werdender zu sein?«

      »Ich will dir sagen, Fridolin, was ich denke, – damit du mich auslachen kannst. Ich hab' mir vorgesetzt, mit fünfundzwanzig Jahren fertiger Selbstarzt, mit dreißig Jahren fertiger Charakter, mit fünfunddreißig Jahren fertiger Meister meines Berufs zu sein.«

      »Deines Berufs als Naturerforscher?«

      »Ja.«

      Fridolin seufzte mit sentimentalem Humor. »Und ich, mit vierzig Jahren, bin weder als Selbstarzt, noch als Charakter, noch als Berufsmeister fertig. Ich bin die Unfertigkeit. Ich bin das Niefertigwerden.«

      »Du bist die Unzufriedenheit,« entgegnete Leopold.

      Fridolin schüttelte den Kopf. »Mein guter Freund, wolle mich nicht trösten! In einem bin ich vielleicht fertig, fertiger als ihr alle: in der Selbsterkenntnis. Ich scheue mich auch nicht aus falschem Stolz oder falscher Scham, dir, einem zweiundzwanzigjährigen Menschen, zu sagen, was ich von mir denke. Warum sollt' ich mich scheuen? Vor Risotto, vor Fridolin bin ich der Meister, der höhere Mensch, den sie ehren sollen; aber vor dir, der du mir eines Tages hoch über den Kopf wachsen sollst – widersprich mir nicht – vor dir zeig' ich mein nacktes, hemdloses Ich. Was für ein Ich? Wer bin ich? Ich weiß es nicht. Niemand weiß es! Ich bin der Mensch ohne Mittelpunkt. Warum treib' ich dies oder das? Warum bin ich dies geworden, und warum nicht das? Niemand weiß es. Ich glaube, ich könnt' alles werden, und nichts; das ist das tragische Rätsel meiner Erschaffung.«

      Leopold lachte.

      »Worüber lachst du?«

      »Ueber diese Wirkung des Frühlings. Der warme Abend lagert wie eine Bruthenne über deinem Hirn und brütet das Ei deiner Schwermut aus. Was du bist? Jedenfalls das Original, das der Schöpfer aus dir machen wollte; und das ist ihm gelungen.«

      »Ein schönes Original! Ohne Mittelpunkt. Das Original des Nie-Original-Werdens. Ich lehre, und weiß nichts. Ich schreibe, und hab' keinen Stil. Wie oft hat deine junge Weisheit, dein Goethetum mir meine stillosen Sätze vorgeworfen! Ich bin die Disharmonie. Oben ein schöner Mann, unten zu kurze Beine. Ein Jupiterbart und eine dünne Stimme. Ein Herz, das für eine Idee, für einen Freund auf der Stelle verbluten könnte, und ein für sein Junggesellenbehagen sorgender, ängstlicher Egoist. Warum bin ich Kunstprofessor geworden? Ich weiß es nicht. Meine Gliedmaßen sagen mir, daß ich ursprünglich etwas anderes werden sollte. Meine Muskeln, meine Gelenkigkeit, meine Fähigkeit, mich zu verrenken, meine Tanzmeistergrazie. Wenn dir das alles nicht sagt, daß ich meinen Beruf verfehlt habe, so sagt die Natur dir nichts! So oft ich in einem Zirkus sitze, möcht' ich aufstehen und zu dem versammelten Volke sprechen: Seht hier einen Mann, der seinen Beruf verfehlte – der zum Kunstreiter bestimmt war!«

      Fridolin trug diesen Satz mit so dramatischer Lebendigkeit, mit so ausdrucksvollen Bewegungen der Arme vor, daß Leopold unwiderstehlich gereizt ward, in ein heftiges Lachen auszubrechen. Es zeigte sich auf Fridolins Gesicht, daß dieser Erfolg seiner Rede ihm schmeichelte. Er unterbrach den Lachenden nicht. Er blieb noch in der theatralischen Haltung stehn, in der er geendet hatte. Doch als Leopold wieder still ward, ließ er die Arme und die Augen sinken, und setzte mit halb humoristischem, halb wirklichem Ernst hinzu: »Bekenne, mein Freund, daß dieser Zustand meines Organismus teils lächerlich, teils verächtlich ist.«

      »Kunstreiter oder Kunstprofessor,« erwiderte Leopold mit derselben Art von Ernst: »immer doch noch Kunst.«

      »Aber gegen die Natur. Ich zeige dir, dem Naturforscher, eine interessante Erscheinung. Ich bin ein Protest gegen die Natur.«

      »Vor allem glaub' ich, daß du unverheiratet bist,« entgegnete Leopold mit seinem klügsten Lächeln. »So mancher Mensch, der seinen Mittelpunkt vergebens in sich selber suchte, fand ihn dann in der Ehe. Dahin verlegte ihn die Mutter Natur! Wenn du noch heiraten würdest, Fridolin, würdest du vielleicht nicht mehr finden, daß du zum Kunstreiter bestimmt warst.«

      Ueber Fridolins Züge flog ein Hauch von Schwermut, der sich jedoch in einem Ausdruck geistreicher Erregtheit sogleich wieder verlor.