Adams Söhne. Adolf von Wilbrandt. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Adolf von Wilbrandt
Издательство: Public Domain
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Жанр произведения: Зарубежная классика
Год издания: 0
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Brust. Er fühlte keinen Schmerz, keine Schwäche mehr; er fing an zu singen. Dann war ihm, als höre er seines Vaters Stimme. Er sang lauter, wie toll, wie ein Trunkener. So kam er an den ersten Häusern vorbei, kam um die Ecke, und plötzlich lag er in Vater Wittekinds Armen.

      IV. Kapitel

      Vor dem Wirtshaus in Grödig waren die Pferde wieder eingespannt; ein zweiter Wagen, auch ein viersitziger Landauer, kam vom Hof gefahren, für Saltner und Kathi bestimmt. Die Gesellschaft hatte sich versammelt, die Baronin Tilburg war schon eingestiegen. Saltner, der bei seinem Wagen stand, sah nach der Uhr.

      »Der Herr Wittekind kommt nicht wieder«, sagte er ungeduldig. »Ich hätt’ ihm so gern noch die Hand gedrückt. Zum Teufel, was für eine Halluzination hat ihn denn genarrt, dass er seinem Buben so entgegenrannte, der vielleicht noch in Salzburg steckt!«

      Waldenburg lächelte:

      »Sie irren; da kommen sie, offenbar Vater und Sohn. Obwohl sie auch für ein paar Brüder gelten könnten; ein saftstrotzender Mann und ein feiner Jüngling. Wie dieses Landleben seine Leute konserviert! – Freilich ist’s auch nicht viel mehr als eine Räucherkammer!«

      Wittekind Vater und Sohn kamen in der Tat von der Ecke, wo die Straßen zusammenliefen, langsam herangeschritten; sie gingen Arm in Arm, und sahen sich fast beständig in die Augen. Berthold erschien klein neben seinem Vater; in der Art zu gehen, die Schultern zu bewegen, zeigte sich das geerbte Blut, auch das blonde Haar und der Blick konnten darauf deuten. Die Freude hatte Berthold gerötet, man sah seine Blässe und seine Schwäche nicht. Es ward ihm nicht bewusst, dass sie sich einer ganzen Gesellschaft von zuschauenden und lächelnden Menschen genähert hatten; er umschlang den Vater plötzlich und küsste ihn auf den Mund.

      »Nun ist’s aber genug!« sagte Waldenburg mit seinem gemütlichsten Lächeln, ein paar Schritte entfernt.

      Berthold wandte sich überrascht herum. Wittekind lachte laut.

      »Hier hat sich inzwischen der Feldzugsplan geändert«, nahm Waldenburg wieder das Wort. »Herr von Saltner hat uns so anziehend geschildert, wie es bei der ›Gemse‹ aussieht, und unsere liebe Frau von Tarnow hat so lebhaft den Wunsch geäußert, dieses Wirtshaus einmal zu seh’n, dass sich auch in der Baronin die Neugier geregt hat, die doch sonst nur bei Männern vorkommt. Kurz, wir haben Zeit, und wir fahren heute noch das Stündchen bis zur ›Gemse‹, und erst morgen nach Salzburg. Wie steht’s mit Vater und Sohn? Schließen sie sich an?«

      Wittekind blickte auf Saltner und auf die blasse ›Amerikanerin‹; die beiden sahen sich eben flüchtig in die Augen, aber, wie es ihm schien, mit heimlichem Einverständnis. ›Will Frau von Tarnow auf einmal zur „Gemse“‹, dachte er, ›weil der Alte hin will?‹

      Er wusste noch nicht, was er erwidern sollte, als Saltner auf ihn zutrat.

      »Machen Sie uns die Freude!« sagte der Alte herzlich; »wenn Sie nicht durchaus die nächsten vierundzwanzig Stunden mit Ihrem Junker allein sein wollen, so lassen Sie mir, und uns, auch etwas davon zukommen, und fahren Sie mit! Das da ist mein Wagen. Platz genug, wie Sie seh’n. Ich müsste doch eigentlich den ›Muttersohn‹ etwas kennenlernen. Morgen sind Sie dann frei und vergraben sich mit ihm, wenn Sie wollen, in den ›Wunderberg‹!«

      »Wie denkt Wittekind junior?« fragte der Vater lächelnd.

      Berthold hatte mittlerweile die schöne blonde Frau und Kathis braune Augen geseh’n, fasste sich schnell und nickte.

      »Aber du solltest erst etwas essen – und trinken.«—

      »O nein«, sagte Berthold rasch. »Noch nicht. Ich hab’ weder Hunger noch Durst. Bin überhaupt gesünder, als du glaubst – als ich selber wusste. Fahren wir nur mit!«

      »Gut; wir sind also entschlossen«, sagte Wittekind. »Heute tät’ ich nichts ohne meinen Sohn. Der will. Also die Firma will. Sind wir den Herrschaften willkommen, so sind wir bereit!«

      Alles stieg in die Wagen; er selber zu seinem alten Herrn, indem er sich im Stillen sagte, dass es ihn doch auch locke, der blassen Frau und ihrem Geheimnis eine Strecke weit nachzugeh’n. Kathi, die sich bisher in bescheidener Entfernung gehalten hatte, kletterte auf den Bock.

      Sowie Berthold das wahrnahm, zuckte es unwillig über seine Stirn; er hatte geseh’n, wie gut sie gekleidet war und wie herzlich der alte Saltner mit ihr geflüstert hatte; sollte sie nun als ›Paria‹ behandelt werden? Er neigte sich zu seinem Vater hinüber und sprach ihm ins Ohr.

      Wittekind lächelte, blickte dann auf das Mädchen und auf Saltner.

      »Was gibt’s?« fragte dieser.

      »Der junge Demokrat da meint«, sagte Wittekind leise, »Ihre kleine Freundin Kathi sollte bei uns sitzen; – und ich mein’ es auch.«

      »Ei, dann soll sie’s auch!« rief Saltner sogleich mit seiner Kraftstimme ans. »Kathi, komm’ herein!«

      »Ich sitz’ gut auf dem Bock«, antwortete das Mädchen.

      »Widerspruch und kein Ende!« rief der Alte. »Im Augenblick kommst du, oder ich hol’ dich im Namen des Gesetzes!«

      Kathi kam, und nahm mit einem reizend verlegenen Lächeln neben dem schönen jungen Menschen Platz, den sie mit heimlicher Bewunderung betrachtete. Der Wagen setzte sich in Bewegung, dem andern vorauf, gegen die südlichen Berge zu. Wie in halbwachem Traum fuhr Berthold dahin; nach der taumeligen Wanderung so bequem in einem tiefen, weichen Wagensitz ausgestreckt, die teure Gestalt des Vaters sich gegenüber, neben sich das Mädchen mit den feurigen Augen, von dem ihn ein Duft der Jugend und Gesundheit anflog. Die Sonne zehrte nun nicht mehr an seinem Hirn, sie wärmte nur; das erhabene Felsenschloss des Untersbergs, unter dem sie hinfuhren, das weite leuchtende Land, alles so festlich schön, ließ ihn das ganze ›Weltelend‹ vergessen.

      Wie männlich schön war sein Vater; und wie liebte er ihn … Er lächelte ihm zu, nahm seine niederhängende Hand, hielt sie in der seinen. ›Heute Abend‹, dachte er, ›sage ich ihm alles, auch dass ich gehungert habe – und noch hungere; vorhin beim Wiederseh’n konnt’ ich’s ihm nicht sagen! Da erklär’ ich ihm nur, es gehe mir schon gut; und das war keine Lüge. Wie könnt’ ich es sonst so gut ertragen, ein paar Tage zu fasten? Mir ist so wunderlich wohl.‹ Es war ihm, als sättige ihn die herrliche, reine Luft, das Gefühl der Freude, der Jugend, des Glücks, der sonnenwarme Kraftgeruch, der von den Wiesen und Getreidefeldern heraufstieg, auch dieser Lebensduft, den das junge Mädchen zu seiner Rechten auszuatmen schien. ›Und wie edel und weise ihn der Vater erzogen hatte‹, dachte er dann wieder, da es in seinem Geist immer hin und her sprang; wie er von den ersten Jahren an alles auf die Liebe und das Ehrgefühl gestellt, sich immer an das Herz, den Verstand, die Einsicht, an alles Gute und Edle in der jungen Seele gewendet, ihm die Lüge als das Erbärmlichste auf Erden von Grund auf verleidet hatte. Dafür liebte und ehrte er nun diesen Mann da gegenüber, seinen besten Freund, über alle Maßen … Und wie lieblich sie zwitscherte, da sie mit dem weißbärtigen, merkwürdigen Alten sprach, diese kleine Kathi. Wie sonderbar ihm zumut’ war, als sei er in sie verliebt. Ein anderes Gefühl aber mischte sich mit diesem; es kam nicht aus der Herzgegend, doch aus deren Nähe. Ein sehnsuchtsvolles, nagendes Gefühl … Schiller’sche Verse fingen an zu klingen, über die Mutter Natur:

      – — erhält sie das Getriebe

      Durch Hunger und durch Liebe…

      Ja, ja, Hunger und Liebe! Auch Hunger. Da kam er wieder, und wie! – Was hatte vorhin der Weißbart zur holden Kathi gesagt, als sie einstiegen? ›Nun, kleine Kellnerin? Vorwärts!‹ Also Kellnerin. Wie gut. Ja, der alte Schiller hat Recht: Hunger und Liebe! – Mit matten, halbgeschlossenen Augen so denkend, wandte sich Berthold nach rechts, und in einem träumerischen Durcheinander zärtlicher Gefühle flüsterte er Kathi zu:

      »Liebes gutes Fräulein! Gibt’s da oben auf der ›Gemse‹ auch Beefsteaks?«

      Sie lächelte und nickte. ›Was für ein holdes, herzliches Lächeln!‹ dachte er und fühlte sich halb beruhigt. Er nickte wieder liebevoll dem Vater zu, dessen Augen ihn anstrahlten.

      Nur reden mochte er nicht; es war ihm lieb, dass die andern miteinander