Sie sieht bewundernd auf das unschuldige Zimmer und richtete dann einen lächelnden Blick auf mich, einen Blick holder Ueberraschung und ungläubigen Zweifels. Sie lächelte überhaupt nur schwach, denn um den Mund zeigten sich bereits einige Falten.
Sie sind zu gütig, mein Fräulein! Aber dies ist nicht mein Arbeitszimmer. Dort allerdings . . .
Ah, Ihr Arbeitszimmer! O, entschuldigen Sie! Aber das muß ich sehen! Die Werkstätte, in der das Rüstzeug solcher Gedanken geschmiedet wird, das Atelier, in dem der Gedanke sich zur Gestalt verkörpert, die enge Clause, in welcher sich der Mikokros – entschuldigen Sie! der Mikrokosmos eines ganzen Universums entfaltet! O, welches ist die Thür?
Aber mein werthes Fräulein, es ist wirklich kein geeigneter Aufenthalt für Damen! rufe ich abwehrend.
O, wir lieben die geniale Unordnung bei großen Geistern! erwidert sie mit einem schmachtenden Blicke und legte die Hand auf den Thürgriff. Darf ich?
Ich zucke die Achseln und weiß nicht, ob ich lachen oder verdrießlich sein soll. Wer kann so vieler Liebenswürdigkeit widerstehen! Sie schlüpft hinein. Ich folge ihr, tief betrübt und schwerathmend, wie ein überführter Verbrecher.
Wie ich voraus gewußt, sieht es unordentlich genug in meinem Zimmer aus. Verschiedene Toilette- Gegenstände und Bestandtheile meines Arbeits-Anzuges liegen in harmloser Unordnung auf denjenigen Plätzen, wohin sie am allerwenigsten gehören.
Aber meine Dame hat keinen Blick dafür.
Himmlisch! Reizend! ruft sie. Gerade so stellte ich mir das Arbeitszimmer eines Dichters vor.
Natürlich. Ich avancire zum Gelehrten, zum Dichter, und bin doch nichts, als ein Novellist. Unterdessen mustert die Dame meine Bücher, meinen Schreibtisch, die Bilder an den Wänden. Dann kehrt sie zu mir zurück. Ich habe unterdessen einen Stuhl für sie frei gemacht. Sie setzt sich. Ich nehme ihr gegenüber Platz mit der Miene eines Mannes, der so eben zehntausend Thaler an der Börse verloren hat.
Gestehen Sie nur, mein Herr, daß Sie mein Benehmen, meine Kühnheit unbegreiflich, unverantwortlich finden.
O, ich bitte, mein Fräulein, im Gegentheil! Es schmeichelt —
Nein, nein, ich weiß wohl, Sie sind zu galant, um mir die Wahrheit zu sagen! Herr K. hat mir gesagt, daß Sie die Galanterie selbst seien. Aber mögen Sie über mich urtheilen, wie Sie wollen, ich mußte dem Drange meines Herzens genügen. Ihre Schilderungen weiblicher Charaktere sind so vollkommen, daß ich den Mann sehen mußte, der uns so wahr beurtheilt und das Edle in unserer Natur so treffend zu schildern weiß. Kein neuerer Schriftsteller —
Aber, mein Fräulein! stammelte ich unwillkürlich erröthend, und es ist mir zu Muthe, als hielte sie mir ein brennendes Licht dicht vor die Augen, und ich müßte fortwährend blinken.
Während dessen verwendet sie keinen ihrer Blicke von mir. Ich fühle mit vollständigster Gewißheit, daß sie meine Toilette und meine sterblichen Gebeine Stück für Stück durchmustert, kritisirt und ihrem Gedächtnisse einprägt. Sie weiß ganz genau – denn das ist die Hauptsache! – daß ich leinene und keine Shirtinghemden trage, welcher Art meine Hemdknöpfchen, meine Manchetten sind, was für eine Cravate ich trage, daß meine Augen zwischen Grau und Braun schillern, daß ich auf der Nase zwei rothe Fleckchen habe et cetera et cetera! Ich sitze wie auf Kohlen, mir wird himmelangst und höllenheiß.
Ich parire ein Dutzend Elogen, die sie mir in Quarten, Terzen, und Primen über Kopf Schultern, Brust und Gesicht schleudert. Dann wendet sich das Gespräch auf Literatur. Meine Dame läßt durchblicken, daß sie Goethe und Schiller kennt – was allerdings jetzt eine Seltenheit ist. Sie fordert mein Urtheil über Geibel, Redwitz, über die Psychographen und tausend andere Dinge. Sie ist entzückt, daß ich in alten Puncten vollständig ihrer Ansicht bin. Endlich läßt sie durchblicken, daß sie selbst Schriftstellerin sei. Sie macht eine verdächtige Bewegung nach einem Täschchen, das sie bei sich trägt.
Mir stehen die Haare zu Berge, und ich werde so blaß, daß sie mich fragt ob mir unwohl sei. Ich versichere ihr, daß mir nie angenehmer zu Muthe gewesen, greife nach meinem Eau-de-Cologne Fläschchen, um doch wenigstens einen freien Augenblick zu haben.
Sie erhebt sich. Ich athme auf. Mit dem Täschchen scheint es doch nichts gewesen zu sein. Sie dankt mir für meine Freundlichkeit und so weiter. Ich werde jetzt in der That galant und freundlich, denn ich hoffe, daß sie nun gehen wird.
Meine Zeit in Berlin ist mir kurz gemessen! sagte sie, ihren Shawl ordnend, mit einem süßen Lispeln und einem abermaligen Kalypso-Blick. Und leider werde ich wenig sehen können. Meine Verwandten hier sind alte Leute, denen ich keine Mühe machen darf. Sie gehen des Abends nie ans. Ich werde also vielleicht nicht einmal das Opernhaus sehen.
Aber weshalb nicht? Haben Sie sonst keine Bekannten?
Gar keine und allein darf man doch nicht gehen.
Ich könnte antworten: Weshalb nicht? Welche Gefahr ist dabei wenn eine Dame allein das Theater besucht, falls sie vielleicht von einem Diener am Ausgange erwartet wird und Geistesgegenwart genug besitzt, um die Nummer ihres Platzes zu finden? Die einzige Gefahr droht ihrem Gehör, wenn sie zufällig in der Nähe des Orchesters sitzt, oder im Schauspielhause das Vergnügen hat, Herrn *** als Helden zu sehen – eine Gefahr, die kein männlicher Begleiter von ihr abwenden könnte!
Aber ich sage das nicht. Ich erinnere mich der Mahnung meines Freundes, und mit einem letzten Aufwand von Kraft biete ich mich als Begleiter an. Sie ist entzückt, lehnt ab, kommt wieder darauf zurück, kann ihr Glück nicht begreifen, meine Liebenswürdigkeit nicht genug bewundern – ich bin für den Abend engagirt, sie empfiehlt sich, ich stoße einen herzbrechenden Seufzer aus und falle in meinen Sessel!
Nein, nein! Ich reise! Schon diese Vision ist zu viel für mich! Fort, fort!
Hoffentlich haben meine geehrten Leser nicht vergessen, daß es nur eine Vision ist, die ich ihnen und mir hier vorgeführt, daß ich noch mit dem Briefe in der Hand brütend über meinem Schreibtisch lehnte. Aber es war eine furchtbare Vision. Klar sah ich mein ganzes Elend vor Augen, ich hörte die Armesünder-Glocke, die dem Delinquenten zum letzten Gange läutete, ich schoß pfeilschnell dem Abgrund des Verderbens zu, wie die drei Indianer dem Niagara-Fall, und wäre meine musicalische Bildung nicht auf einer so niedrigen Stufe, so würde ich meinen Todtengesang dazu gestöhnt und gewimmert haben.
Der Brief zerknitterte sich unwillkürlich in meinen Händen. Aber meine Vision war noch nicht vorüber. Selbstquälerisch fand meine Phantasie ein cannibalisches Vergnügen darin, mir die Hölle, deren Pforten sich für mich öffneten, bis in die kleinsten Einzelheiten zu schildern.
Narziß – d h. der Brachvogelʼsche – sieht sich in der Vision mit einer hübschen jungen Frau auf einem fröhlichen Spaziergange, sie kehren ein in ein lustiges Estaminet, sie tanzen – juchhe! – Narziß fingert den Tact dazu und bricht endlich in ein wahnsinnig-hysterisches Lachen aus.
So – si vis parva componere magnis – sehe ich mich mit meiner Schönen aus der Provinz im Parquet des Opernhauses, in den Museen, unter den Linden – denn sie weiß mich festzuhalten; wie die Dionoea muscipola saugt diese Pflanze der Provinz den letzten Blutstropfen der Geduld aus meiner armen Seele. Arm in Arm wandern wir durch das schöne Berlin, sie vor Freude und Glück strahlend, ich wie eine wandelnde Leiche. Meine Freunde flüstern mir von fern spöttisch zu: – Wen hast du denn da? Ah? wir gratuliren! Aus der Provinz? Desto besser! Geld, viel Geld, Bravo! Hört, hört die große Neuigkeit! M. heirathet fünfzigtausend Thaler und Matthissonʼs Gedichte mit einem italienischen Strohute!
Nein, nein, und dreimal nein! Ich reise! Schon die blose Vorstellung schüttelt mich wie ein Fieberfrost! O, wärst du doch gewesen wo der Pfeffer wächst, mein theurer Freund K.! Ich bin galant, ja ich kann es sein, aber wenn ich will! Welcher Mensch kann mich zwingen, galant zu sein gegen eine Dame, die ich nicht kenne, die ich jetzt schon hasse! es ist bestimmt – ich reise! – — —
Der Brief flog zerknittert in eine Ecke des Zimmers. Ich setzte meinen Hut auf und eilte fort. Es war ungefähr vier Uhr Nachmittags. Ich flog zu dem Weinhändler Murchel, dem einen meiner Reisegefährten.
Murchel,