Eure Wege sind nicht meine Wege. Hermine Wild. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Hermine Wild
Издательство: Public Domain
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Жанр произведения: Зарубежная классика
Год издания: 0
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Ich mußte so handeln, wie ich handelte, und das schreckliche Ende der unglücklichen Frau, die dir das Leben gab, sagt dir deutlich genug, daß die Schuld nicht auf meiner Seite ist.

      Leonie antwortete nicht.

      Der Graf fuhr nach einer Pause fort: Da der Aufenthalt auf diesem einsamen Schlosse mir jetzt nicht rathsam für dich erscheint und deine Ausbildung überdies einer größeren Vollendung bedarf, als Fräulein Pertold allein sie dir mittheilen kann, so ist es meine Absicht, schon morgen mit dir nach B. abzureisen. Halte dich also zu früher Morgenstunde bereit. Fräulein Pertold wird uns begleiten. Du kannst gehen.

      Leonie erhob sich, und nach einer Verbeugung, die der Graf nur kalt erwiderte, entfernte sie sich aus dem Gemach.

      So war also ihr sehnlichster Wunsch erfüllt, bevor sie dessen Erfüllung nur möglich geglaubt. Sie sollte in die Welt, diese zauberhafte Welt, von deren Wundern Fräulein Pertold zu erzählen pflegte, den Eifer ihrer Schülerin anzufachen, auf jener glänzenden Bühne die eigene Rolle einst mit Ehre zu bestehen. Was ging in Leonie vor, während sie da, auf ihrem Bett sitzend, unter dem Wortschwall der entzückten Gouvernante die träumerischen Augen durch das Zimmer gleiten ließ, das sie durch so viele Jahre mit ihren heißblütigen Träumen und Plänen in verschwiegener Treue beschirmt? War es die Trauer des Scheidens, die sich nun im letzten Augenblicke über ihre Seele stahl? Nein, Trauer war es nicht. Auch Freude konnte man es nicht nennen, wenigstens nicht jene Freude, die sie sich so oft vorgespiegelt empfinden zu müssen, bräche dieser Tag des Scheidens jemals für sie an. Zu viel bittere Gefühle mischten sich darein. Die Entdeckung dieser Nacht, das Bewußtsein, daß der Riß zwischen ihr und ihrem Vater dadurch unheilbar geworden und keine Verstellung von ihrer Seite jemals genügen könne, ihn auszufüllen; die Empfindung trotzigen Hasses, welche aus diesem Bewußtsein und dem Schicksal ihrer Mutter entsprang und, nur von Angst und Grauen gedämpft, sich scheu unter einen anderen Namen verkroch, und zu welchem die frühere Entfremdung nur zu sehr den Weg gebahnt, das Alles lag dumpf auf ihrem Herzen und übertönte die lockende Stimme in ihr, die so leidenschaftlich nach Glanz und Vergnügen schrie.

      Und doch mischte sich darin kein Schmerz um jene Mutter, die, kaum gefunden, ihr fast in demselben Augenblick unwiederbringlich durch den Tod entrissen war. Leonie bedurfte einer Mutter nicht. Die Weichheit, die in der Brust fast jeden Weibes nach einer festeren Stütze begehrt, fehlte in ihrem Charakter, oder war wenigstens längst in ihr erstickt. Fast schneller noch als die kleinen Füße, die sie so leicht und stark über jedes Hinderniß trugen, das ihr im Wege lag, hatte ihr Geist allein gehen gelernt, und keine Hand der Liebe hatte ihn dazu geführt. Und nach der ersten Aufwallung war nichts in ihr geblieben, als ein düsteres Brüten, ein staunendes Entsetzen über das, was ihr Vater gethan. Was konnte er nicht Alles noch thun, wenn er das im Stande gewesen! Und hatte auch, wie sie es aus den halben Aeußerungen Beider zu entnehmen glaubte, ihre Mutter die größte Sünde begangen, die ein Weib, dem Manne gegenüber, begehen kann; hatte dieser Mann darum das Recht, sie zu einem solchen Leben zu verdammen? Ein Leben, das nur ein langsames Sterben war! O lieber, viel lieber ein schneller Tod! Und Leonie, die den Werth der Freiheit kannte, weil sie ihrem inneren, zügellosen Wesen höchstes Bedürfniß war, schauderte, tief in sich zusammengeschmiegt.

      Sie stand auf, ließ sich ankleiden, ging auf und ab und setzte sich wieder, bald hier, bald dort. Die Unruhe ihres Herzens ließ sich nicht beschwichtigen. Fräulein Pertold erzählte; die Kammerfrau weinte, die Heimat zu verlassen, und lächelte zwischen ihren Thränen, denn sie dachte doch auch an die mancherlei Zerstreuungen, die das Stadtleben bieten würde, und für welches sie durchaus nicht unempfindlich war. Dazwischen gingen die Vorbereitungen zur Abreise rüstig vor sich, und Leonieʼs Gedanken schwärmten weit von Allem weg, was um sie her sich begab. Aus dem Wagen blickte sie noch einmal nach dem Waldsaum zurück, wo ein vor Kurzem so heißes Herz jetzt so ruhig schlief, so ruhig und so kalt! Sie warf sich in die Wagenecke zurück; ihr Vater saß ihr gegenüber und schien für nichts Sinn zu haben, als für Pferde, Wege, Wagen und alle Bedürfnisse einer raschen Fahrt.

* * *

      Ein Jahr ist vorübergegangen, unter dessen Einfluß das frühreife Mädchen schnell zur vollendeten Jungfrau herangeblüht. Leonieʼs Traum war erfüllt; sie war in die Welt eingetreten und an hohen und höchsten Orten vorgestellt worden, wo das Vorstellen gebräuchlich ist, und selbst ihr ehrgeiziges Herz war mit dem Aussehen zufrieden, das ihre Erscheinung überall hervorgebracht. Der Graf hatte sein Haus geöffnet, dem seine Tochter, unter Fräulein Pertoldʼs Leitung, mit aller Anmuth ihres Wesens verschönernd vorstand. Er machte kein Hehl daraus, daß er sie jung zu verheirathen wünsche, und er hatte ihr ein Heirathsgut ausgesetzt, das sie zu einer der glänzendsten Partieen des Landes machte und sie über die Nothwendigkeit heben sollte, nach Glücksgütern oder ihrem Aequivalent, einträglichen Aemtern, zu sehen. Freilich wachte er mit großer Sorgfalt darüber, daß nur solche Männer in sein Haus kamen, deren Ruf und Charakter ihm das Glück seiner Tochter zu verbürgen schienen, unter diesen aber ließ er ihr vollkommen freie Wahl.

      Gegen die Hauptsache hatte Leonie nichts einzuwenden; auch sie wollte sich verheirathen, und zwar so schnell als möglich, und darin stimmte ihr Wille einmal mit dem ihres Vaters überein. Doch auf die Stimme des Herzens legte sie weit weniger Gewicht, als er, und der Graf hätte den Kreis, der sie umschloß, immerhin etwas weiter ziehen können; Leonie hatte praktische Ansichten, weggeworfen hätte sie sich nicht. Sie hatte sich ein eigenes Bild von dem Manne gemacht, den sie mit ihrer Hand beglücken wollte. Auf Rang und Geburt hielt sie wie ihr Vater, vielleicht noch etwas mehr; Frauen sind von Natur conservativ; in allem Andern wich sie vollkommen von ihm ab.

      Vor allen Dingen mußte sie durch ihre Vermählung so gestellt werden, daß jeder fernere Einfluß, den ihr Vater auf ihr Leben nehmen könnte, dadurch abgeschnitten war, und Reichthum schien ihr dazu eine unerläßliche Bedingung zu sein. Ihre Mitgift aber, so bedeutend sie war, schien in Leonieʼs Augen nur eine goldene Nuß, knapp hinreichend, drei Wünsche zu erfüllen, und sie war keineswegs gesonnen, Haus und Hof damit zu erhalten. Reich, sehr reich mußte also der Erwählte sein, und nicht nur reich, auch hochgestellt. Das war das Zweite, was ihr zu ihrem Zwecke nöthig schien. Außerdem sichert der Ehrgeiz des Mannes der Frau manchen Vortheil, der in diesem bunten Schauspiel der Gesellschaft, wo der Schein eine so wichtige Rolle spielt, nicht zu übersehen ist. Darauf beschränkten sich denn, auch ihre Forderungen. Alles Andere war von untergeordneter Bedeutung, nur an diesen zwei Punkten hielt sie fest. Nun drängte sich zwar eine bedeutende Schaar von Bewerbern um die schöne, reiche Erbin, aber bei der strengen Sichtung, die ihr Vater mit ihnen vornahm, blieben nicht immer die Reichsten und Angesehensten zurück, und bis jetzt war Keiner erschienen, welcher die von Beiden gewünschten Eigenschaften vereint in genügendem Grade besaß.

      Aber Leonie konnte warten. Sie kannte ihre Macht zu gut, um über den Erfolg im Geringsten zweifelhaft zu sein. Der Spiegel hatte ihr es oft genug gezeigt, was sie so gerne sah; und hätte er es auch nicht gethan, die stumme und laute Bewunderung, die sie überall, wo sie sich zeigte, wie ein berauschender Duft umgab, hätte sie hinreichend darüber aufgeklärt. Zwar war ihre Schönheit gerade nicht von der Art, welche man mit dem Worte glänzend bezeichnet; sie war zu fein und ätherisch, um auf irgend eine Weise in die Augen fallend zu sein; doch riß der Blick, der ihr einmal folgte, sich nur mit Mühe von ihr los. Und wem hatte diese weiche, kindlich zarte Gestalt, mit dem schwebenden, elastischen und doch schüchternen Schritt, die dunklen Augen, unter deren langen Wimpern der Blick wie eine scheue Bitte sich nur furchtsam hervorzustehlen schien, das wundersame, süß geheimnißvolle Lächeln, das die seinen Lippen umschwebte und Jeden unwillkürlich aufzufordern schien, zu erforschen, was sich dahinter verbarg; das Licht mit Schatten wechselnd, das über die feinen, beweglichen Züge ging und kam, in ewig neuem, wechselnden Reiz; wem hätte Alles dies nicht wenigstens ein Gefühl lebhaften Interesses eingeflößt, das sehr geeignet war in eine tiefere Huldigung überzugehen? Wer konnte es ihr nachmachen in der schweren Diplomatie der Toilette, die mit dem französischen Blut ihrer Mutter auf sie übergegangen war? Welch tiefes Verständniß lag in der anspruchslosen Kleidung, die selbst des einfachsten Schmuckes zu entbehren schien und doch durch ein unerreichbares Etwas allen Schmuck der Andern verdunkelte!

      Genie ist unmittelbare Offenbarung der verklärten Natur, und zu jeder höheren Vollkommenheit, wäre es auch nur Koketterie, gehört Genie. Und wenn die noch nicht siebzehnjährige Kokette nachlässig hingegossen, mit dem