Bei ihrem Eintritt in das Frühstückszimmer wurde sie mit dem gewöhnlichen Tadel empfangen, welchen ihre flatterhafte Mißachtung aller Pünctlichkeit von den langmüthigen Häuptern des Hauses herausfordern mußte. Nach Miss Garths Lieblingsausdruck »war Magdalene mit allen Sinnen aus die Welt gekommen, nur nicht mit dem Ordnungssinne.« —
Magdalene! War es nicht ein wunderlicher Name, den man ihr da gegeben hatte? Wunderlich fürwahr und doch unter gar nicht außerordentlichen Umständen ausgewählt. Den Namen hatte eine von Mr. Vanstones Schwestern getragen, welche in zartem Alter gestorben war, und so hatte er in liebevoller Erinnerung an sie seine zweite Tochter so genannt, gerade so wie er seine ältere Tochter Nora nannte um seiner Gattin willen. Magdelene! Und war der große Frauenname aus der Bibel, der uns an eine düstere Frauengestalt erinnert, der in seinen ersten Beziehungen trübe Gedanken von Reue und Einsiedlerleben in uns erweckt, war der Name wirklich wie die Zeit sich erfüllte, so unpassend beigelegt worden? Wirklich hatte dies so durch und durch sich selbst widersprechende Mädchen sonderbarerweise einen Gegensatz; mehr, indem sie einen Charakter entwickelte, der mit ihrem Taufnamen im schroffsten Contrast stand!
– Wieder zu spät! sagte Mrs. Vanstone, als Magdalene noch außer Athem sie küßte.
– Wieder zu spät! stimmte Miss Garth ein, als Magdalene dann zu ihr kam. Sind Sie wohl? fuhr sie fort, indem sie dem Mädchen vertraulich an das Kinn griff, mit einer halb ironischen, halb zärtlichen Aufmerksamkeit, welche verrieth, daß die jüngste Tochter bei all ihren Fehlern doch der Liebling der Gouvernante war. – Sind Sie wohl? Und was hat Ihnen das Concert von gestern Abend angethan? Welche Art von Leiden hat jene Ausschreitung diesen Morgen für Ihren Körper zur Folge gehabt?
– Leiden?! wiederholte Magdalene, die eben wieder zu Athem und zugleich wieder zum Gebrauch ihrer Zunge gekommen war. Ich weiß nicht, was das Wort bedeutet; wenn es etwa auf mich geht, so bin ich ausnehmend wohl. Leiden? Ich bin gleich zu einem Concert für heute Abend bereit, zu einem Ball für morgen und einem Schauspiel für übermorgen. O, rief Magdalene, indem sie sich in einen Stuhl warf und mit hastiger Bewegung ihre Hände übers Kreuz auf den Tisch legte, wie liebe ich das Vergnügen! …
– Sieh mal an, das ist auf jeden Fall deutlich gesprochen! sagte Miss Garth. Ich denke, Pope wird Sie gemeint haben, als er seine berühmten Verse schrieb:
Vertheilt ist Scherz und Ernst in Männerbrust,
Doch jede Frau im Herzen fröhnt der Lust. 2
– Ein kleiner Teufel ist sie! rief Mr. Vanstone, der eben, die Hunde hinterdrein, ins Zimmer trat, als Miss Garth ihr Citat zum Besten gab. Gut; lebt und lernt. Wenn Ihr Alle der Lust fröhnt, Miss Garth, werden die Geschlechter vertauscht und auf den Kopf gestellt werden, und uns Männern wird nichts übrig bleiben, als zu Hause zu hocken und Strümpfe zu stopfen. – Doch frühstücken wir nun!
– Wie gehts Dir, Papa? sagte Magdalene und fiel Mr. Vanstone so ungestüm um den Hals, als ob er nur einer etwas größeren Art Neufundländer angehörte und bloß dazu da wäre, sich mit der Tochter nach deren Gefallen herumzutummeln. – Ich lebe für das Vergnügen, meint Miss Garth, und wahrlich ich möchte zu einem andern Concert gehen, oder in ein Schauspiel, oder zu einem Balle, wenn Du es lieber willst, oder zu einer andern Vergnügung, wobei ich ein neues Kleid anziehen und unter eine Menge Leute kommen und mich vom Lichterglanz umstrahlen lassen, kurz über und über in einem Meere von Wonne schwelgen kann. Es ist mir Alles recht, wenn wir nur nicht um elf Uhr zu Bett zu gehen brauchen.
Mr. Vanstone saß unter dem überströmenden Redefluss seiner Tochter ruhig da, wie ein Mann, der es schon gewohnt ist, von dieser Seite her mit Worten überschwemmt zu werden. – Wenn ich mir die Wahl der Vergnügungen für nächste Zeit vorbehalten darf, versetzte der würdige Herr, so denke ich, ein Schauspiel wird besser sein, als ein Concert. Die Mädchen haben sich erstaunlich ergötzt, meine Liebe, fuhr er zu seiner Gattin gewendet fort, mehr als ich, muß ich gestehen. Es war eben nicht meine Sache. Man führte ein Musikstück auf, das vierzig Minuten dauerte. Dasselbe hatte drei Pausen, und bei jeder dachten wir, es wäre aus, und klatschten, froh, daß wir es überstanden hatten; aber es begann zu unserm großen Erstaunen und Mißbehagen immer wieder, bis wir uns in Verzweiflung drein ergaben und uns Alle nach Jericho hinweg wünschten. Nora, meine Liebe! als wir den Vierzig-Minuten-Lärm hatten mit den drei Pausen, wie nannte man das Stück?
– Eine Symphonie, Papa, erwiderte Nora.
– Ja, Du lieber alter Gothe, eine Symphonie von dem großen Beethoven! fügte Magdalene hinzu. Wie kannst Du nur sagen, daß Du Dich nicht daran erfreut hättest? Hast Du die gelb aussehende fremdländische Dame vergessen, mit dem unaussprechlichen Namen? Erinnerst Du Dich nicht mehr, was sie für Gesichter machte beim Singen? und wie sie sich verneigte und immer wieder verneigte, bis sie die närrischen Leute dahin hatte, daß sie sie noch einmal riefen? Sieh her, Mama, sehen Sie her, Miss Garth!
Sie nahm einen leeren Teller vom Tische, um ein Notenblatt vorzustellen, hielt ihn vor sich in der Weise der Concertsängerinnen und gab nun eine Nachahmung der Grimassen und Verneigungen der unglücklichen Sängerin, so treu dem Original abgelauscht, zum Besten, daß ihr Vater vor Lachen den Leib hielt und sogar der Bediente (der eben mit dem Briefbeutel hereintrat) gleich das Zimmer wieder verlassen mußte und die Unschicklichkeit beging, draußen vor der Thür ganz hörbar als Echo seines Herrn mitzulachen.
– Briefe, Papa. Ich brauche den Schlüssel, sagte Magdalene, welche von der mimischen Scene am Frühstückstische an den Nebentisch zu dem Briefbeutel eilte, indem sie wieder mit der ihr bei allen Handlungen eigenthümlichen Leichtigkeit abbrach.
Mr. Vanstone suchte in den Taschen und schüttelte das Haupt. Obschon seine jüngste Tochter ihm sonst m nichts weiter ähnlich war, so sah man doch leicht, woher Magdalenens Mangel an Ordnungssinn kam.
– Ich muß gestehen, ich habe ihn in der Bibliothek gelassen, bei meinen anderen Schlüsseln, sagte Mr. Vanstone. Geh und sieh einmal nach, meine Liebe. —
– Du solltest wirklich Magdalenen verweisen, brachte Mrs. Vanstone vor und wandte sich an ihren Gatten, als ihre Tochter das Zimmer verlassen hatte. Diese schauspielerischen Einfälle nehmen bei ihr immer mehr überhand, und sie spricht mit Dir in einem so leichtfertigen Tone, daß man es ohne Aergerniß nicht mehr mit anhören kann.
– Genau dasselbe, was ich selbst gesagt habe, bis ich müde wurde, es zu wiederholen – bemerkte Miss Garth. Sie behandelt Mr. Vanstone, als wäre er eine Art jüngerer Bruder von ihr.
– Du bist freundlich gegen uns in jeder Art, Papa, und Du gibst Magdalenens aufgewecktem Geiste freundlich nach, nicht wahr? sagte die ruhige Nora, indem sie die Partie ihres Vaters und ihrer Schwester nahm, so anscheinend unabsichtlich, daß wenige Beobachter die wirkliche ursprüngliche Regung wahrzunehmen im Stande gewesen wären.
– Ich danke Dir, meine Liebe, sagte der gutmüthige Mr. Vanstone. Ich danke Dir für Dein gutes Wort. Was Magdalene betrifft, fuhr er fort zu seiner Gattin und Miss Garth sich wendend, so ist sie ein