Wer aber, meine Brüder, meint ihr wohl, war jenes kleine braune Schwein? Und von wem hab ich wohl den Schuß in den Oberschenkel spendiert erhalten, meine Brüder? War es ein Türke, ein regulärer türkischer Soldat, welcher, von seinem Standpunkt im Recht, meinen geliebten Oberschenkel sich als Schießscheibe erwählt hatte? War es ein lungernder Strolch, welcher mich im Besitze von Reichtümern vermutete und sich als deren Erbe betrachtete? War es ein freundnachbarschaftlicher Serbe, meine Brüder – im Vertrauen, meine Brüder, ich traue diesen serbischen Mißgeburten alles zu und noch einiges außerdem. – Weit gefehlt, meine Brüder … ein Schwein war es, ein kleines braunes Schwein, ein Trüffelschwein sozusagen war es, welches mich in den Oberschenkel schoß. Mit meinem eigenen Gewehr. Jawohl. Und aus zehn Schritt Entfernung. Das nennt man Krieg. Und Kriegesruhm. Also, meine Brüder, um in der ordentlichen Beschreibung der Geschehnisse fortzufahren: es war ein Donnerstag, und ich stand abends auf Vorposten. Ihr mögt es glauben oder nicht, Donnerstag ist für mich immer so eine Art Unglückstag gewesen, und ich hatte schon eine Ahnung, wußte aber natürlich nichts Bestimmtes, insonderheit war mir das kleine braune Schwein noch nicht im entferntesten in den Sinn gekommen. Wunderbar sind die Wege des Schicksals, das man mit Recht den Gott der verzweifelten Menschen nennt.
Ich stand also auf Vorposten, patrouillierte vor der Erdhütte, in der unsere Korporalschaft kampierte, und es pfiff ein verflucht eisiger Wind, der nadelspitze Hagelkörner niederwehte, die sich bis zu einem veritablen Hagelsturm ausbildeten, der in der Dunkelheit – es war elf Uhr – auf mich niederprasselte, daß mir Hören und Sehen verging. Ich mache meine Ronde, entferne mich bis auf hundert, zweihundert Schritte von der Feldwacht – als ich plötzlich ein Wimmern durch den Sturm vernahm, das klägliche Wimmern einer … menschlichen Stimme? Oder war es die Stimme eines Tieres? Diese Ungewißheit machte mich verdammt nervös, und ich beschloß, der Sache auf den Grund zu gehen. Pürschte mich also vorsichtig auf das Geräusch zu. Unaufhörlich dieser bald wimmernde, nun schnaufende, jetzt kreischende Laut … Ganz nah bin ich ihm jetzt.
»Wer da?« brülle ich und spanne den Hahn.
Keine Antwort.
Immer nur das gleiche pfeifende Wimmern, wie wenn eine Lunge sich hinausstößt.
Jetzt bin ich dran und laß meine elektrische Taschenlampe spielen. Und was, meine Brüder, sah ich da? Angebunden mit Stricken an einen Baumstumpf? Eine Ziege? Einen Hammel? Nein, einen Menschen … ein Weib. Jawohl, ein Weib. Schön wie der liebe Gott, mit den Haaren eines Erzengels, aber mit den Augen des Teufels. Den sah ich leider zuerst nicht, weil mich das andere, trotz meiner elektrischen Taschenlampe, blendete. – Ein Weib, in diesem Sauwetter auf offenem Feld, festgebunden an einen Baum. Nur zwei Stunden – und sie erfriert.
Ich, sehr höflich und galant, wie es die Georgeffs von je an sich haben, verbeuge mich und frage freundlich: »Wer bist du, meine holde Taube, mein süßes Schwein?« Ich erhalte keine Antwort, nur einen entsetzten Blick aus wundervollen Augen, so daß mich der letztgenannte Kosename fast reute. »Jungfrau«, fahre ich fort, »wer sind Sie?« Und schneide sie mit dem Bajonett los.
Da wankte sie – konnte vor Kälte und Aufregung kaum stehen – an meine Brust, und nun sah ich, daß es eine Türkin war, eine leibhaftige Türkin, welche natürlich kein Wort unserer ehrenwerten bulgarischen Muttersprache verstand. Ich stützte sie also liebreich, sie erwärmte in meinen Armen merkwürdig schnell, wie ich verwundert konstatierte … und auf einmal kroch sie an mir herauf, aus ihrem kleinen Mund fuhr spitz ihre Zunge empor und küßte und leckte meinen Hals. Das war mir, der ich seit sechs Wochen kein Weib am Busen genährt hatte, nun keineswegs unangenehm. Und ich küßte sie, weil ich sehr groß bin, auf die Stirn. »Hoh«, flüsterte sie auf einmal, »hoh« und zerrte mich am Mantel.
Sie zeigte ins Dunkel.
Sollte sie eine Verräterin sein? dachte ich und folgte vorsichtig. Nach zehn, zwölf Schritten standen wir – was glaubt ihr, meine Brüder, wovor? – vor einem Wagen, einem Wagen mit Verdeck, der da im Drecke steckte. Sie sprang katzengeschwind in den Wagen und unters Verdeck und winkte mir. Ich wie ein Panther hinterher. Lehne mein Gewehr an die eine Seitenwand des Wagens und will sie gerade an mich ziehen – als ich noch einmal wie zufällig ihren Augen begegne. Diese Augen aber stießen mich fast körperlich zurück. Denn ein unauslöschlicher Haß flammte aus ihnen, der mich plötzlich auf den Schlag ernüchterte und mir das Blut in den Adern wie dicke Milch gerinnen ließ.
Kaum hatte das kleine braune Schwein das bemerkt – die Weiber, meine Brüder, haben verdammt feine Instinkte –, als sie nach meinem Gewehr griff und auf mich zielte. Grinsend, höhnend. Ihr glaubt nun, meine Brüder, sie habe nach meinem Herzen oder nach meinem Kopfe gezielt. Weit gefehlt. Ihr kennt das kleine braune Schwein nicht. Nein, sie zielte auf meinen Unterleib, ihr wißt schon, wohin, und es ist allein dem heiligen Sebastian oder der Mutter Maria zu danken, daß sie vorbei und den Oberschenkel traf. Was ich hier des langen und breiter, auseinandersetze, meine Brüder, das ereignete sich in drei Sekunden. Ich sprang sofort zur Seite und suchte ihr seitwärts beizukommen. Zu spät. Der Schuß saß. Und ich Esel hatte ihn wohl verdient. Das kleine braune Schwein aber war im Dunkeln verschwunden. Gottseidank kriegte ich mein Gewehr noch zu packen, sonst wär ich bei meinem Leutnant übel angefahren.
Wer aber glaubt ihr, meine Brüder, daß das kleine braune Schwein war? Man hat sie später gefangen und standrechtlich erschossen. Wißt ihr, weshalb? Dieses Wimmern in der Nacht vor dem Vorposten war ein Trick von ihr, auf das auch jeder Hammel hereinfiel.
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