Der Faktor
Erzählen Sie uns doch etwas, lieber Oberst,« bat ich, mich an Nikolai Ilitsch wendend.
Der Oberst lächelte vor sich hin, blies eine Rauchwolke aus, strich seinen Schnurrbart, fuhr dann mit der Hand durch sein weißes Haar und begann nachzudenken. Wir alle liebten und Verehrten Nikolai Iljitsch ganz ausnehmend, sowohl wegen seiner steten guten Laune und seiner liebenswürdige Höflichkeit; als auch wegen der Nachsicht, mit der er uns Übrigen behandelte, die wir so viel junger waren, als er. Er war ein hochgewachsener, kräftiger, breitschultriger Mann, er besaß das, was Lermontow von einem »schönen Russen« beansprucht, nämlich ein gebräuntes Gesicht, klugen, freimütigen Blick, wohlwollendes Lächeln, angenehm klingende tiefe Stimme; er war mit einem Worte eine höchst anziehende und fesselnde Persönlichkeit
»Meinetwegen,« begann der Oberst nun, »ich will euch etwas erzählen. Also merket auf!«
Es war im Jahre 1813, als wir vor Danzig lagen. Ich stand damals beim G.schen Kürassierregimente und war, wenn ich mich recht erinnere, damals gerade Fähnrich geworden. Für einen Soldaten giebt es nichts Angenehmeres, als im Felde zu sein und in offener Schlacht zu zeigen, was er leisten kann; eine Belagerung dagegen ist das langweiligste Ding, das man sich auf Erden nur überhaupt denken kann. Wochenlang waren wir dazu Verdammt im Quartier zu bleiben, das heißt im Zelt auf Stroh oder manchmal auch auf etwas Schlimmerem zu liegen, und dabei vom frühen Morgen bis zum späten Abend Karten zu spielen. Um uns zu zerstreuen, gingen wir manchmal ein bißchen aus dem Lager hinaus, um mit anzusehen, wie die Bomben und die Stückkugeln hinüber und herüber flogen. Beim Beginn der Belagerung sorgten die Franzosen noch insofern für unsere Unterhaltung, als sie hin und wieder einen Ausfall unternahmen; das dauerte aber nicht lange und bald mußten wir auch auf diesen Zeitvertreib fast ganz verzichten. In die umliegenden Ortschaften zum Fouragieren zu reiten, machte uns auch keinen Spaß mehr – kurz und gut, wir waren allesamt daran, aus Langeweile zu sterben oder melancholisch zu werden.
Ich stand damals in meinem zwanzigsten Lebensjahr und besaß die ganze Kraft und Lebenslust, die man in diesem Alter zu haben pflegt. Anfänglich glaubte ich, daß die Franzosen auf irgend eine Weise uns zu Hilfe kommen würden, um die Zeit totzuschlagen, aber es passierte absolut nichts. Diese Unthätigkeit machte mich zum Spieler. Einmal hatte ich nun des Nachts beim Spiel eine ziemlich beträchtliche Summe verloren, als plötzlich die Karten zu meinen Gunsten fielen, und als der Morgen graute, hatte ich nicht nur meinen Verlust wieder eingebracht, sondern noch einen sehr bedeutenden Gewinn in der Tasche. Müde und abgespannt ging ich, um ein bißchen frische Luft zu schöpfen, ins Freie und legte mich ins Gras. Der Morgen war ruhig und windstill. Weit hinten verlor sich im Nebel die Reihe unserer Vorposten und Feldwachen. Ich betrachtete das Schauspiel eine Zeit lang und dachte dann daran, hier ein wenig zu schlummern – und ich war auch schon im Einschlafen, als ich plötzlich dicht neben mir ein leises, fast möchte man sagen: vorsichtig ausgestoßenes Husten höre. Ich schlug die Augen auf und erblickte einen etwa vierzigjährigen, in einen langen Überrock gekleideten Mann; an den Füßen trug er niedrige Schuhe und auf dem Kopfe eine schwarze Mütze.
Gott weiß, wie dieser Mann, dessen Name Hirschel war, in unser Lager kam – aber immer wußte er sich einzudrängen; man litt ihn, weil er uns Wein, Lebensmittel und viele andere Kleinigkeiten zutrug. Er war mager, klein, blatternarbig, hatte eine hakenförmig gebogene Nase, blinzelte unaufhörlich mit den Augen und hüstelte unausgesetzt.
Jetzt kam dieser Mensch ganz nahe auf mich zu und verbeugte sich mit größter Unterwürfigkeit.
»Was willst du?« fragte ich ihn.
»Nun – ich bin nur gerade hier. Ich möchte Euer Hochwohlgeboren fragen, ob Sie keine Wünsche, keine Befehle, keine Bestellungen für mich haben?«
»Nein, ich brauche nichts. Lasse mich ungeschoren.«
»Wie Sie wollen! Ganz wie Sie befehlen! Ich dachte nur, vielleicht könnte ich Ihnen —«
»Du langweilst mich. Geh’ deiner Wege!l«
»Gut; ich gehorche schon. Aber Euer Hochwohlgeboren haben heute Nacht im Spiel viel Glück gehabt. Erlauben Sie mir, daß ich Ihnen dazu gratuliere.«
»Woher weißt du denn, daß ich gewonnen habe?«
»Wie soll ich es nicht wissen? Ich erfahre so etwas immer.« Sie haben sogar sehr viel gewonnen.«
»Es lohnte sich auch,« erwiderte ich mißgestimmt. »Was, zum Teufel, kann ich denn hier mit dem Gelde anfangen?«
»Oh, sagen Euer Hochwohlgeboren das nicht. Sagen Sie das nicht. Das Geld ist doch immer etwas Gutes – wenn man es hat. Man kann es immer und überall gebrauchen. Sagen mir Euer Hochwohlgeboren nur, was Sie für Geld nicht haben können? Alles können Sie dafür haben. Sagen Sie dem Faktor1 nur, was er Ihnen besorgen soll, und für Geld besorgt er es Ihnen. Ja, Euer Hochwohlgeboren, glauben Sie mir – alles, alles!«
»Sei doch endlich still, du Dummkopf!«
»Ei, ei,« begann Hirschel trotzdem von neuem und schüttelte dabei die langen Locken, die ihm an beiden Seiten der Stirne herabhingen. »Euer Hochwohlgeboren scheinen mir nicht glauben zu wollen.«
Der Faktor schloß die Augen und schüttelte fortwährend den Kopf.
»Ich weiß doch aber, was der Herr Offizier sich wünscht. Oh – ich weiß es, ich weiß es sehr gut!«
Er lächelte dabei auf recht verschmitzte Weise.
»Ah – das solltest du wirklich wissen?« rief ich.
Er blickte sich scheu um, beugte sich dann zu mir und flüsterte:
»Ein hübsches junges Mädchen, Euer Hochwohlgeboren! Ich sage Ihnen: eine Schönheit!«
Wieder schloß Hirschel die Augen und dabei spitzte er die Lippen. »Euer Hochwohlgeboren brauchen nur zu befehlen, und Sie werden sie sehen. Alles, was ich Ihnen davon sagen kann, ist noch nichts im Vergleich zur Wirklichkeit. Sie werden es mir nicht glauben wollen. Befehlen Sie nur, daß ich sie Ihnen zeige. Ja? Wollen Sie?«
Ich blickte ihn an ohne ihm ein Wort zu erwidern.
»Nun ja; ich sehe schon, Sie sind einverstanden. Schon gut, ich werde sie Ihnen zeigen.«
Hirschel lachte laut und gab mir einen leichten Schlag auf die Schulter, aber über seine eigene Kühnheit entsetzt, zog er seine Hand so schnell wieder zurück, als ob er sie verbrannt hätte.
»Aber Euer Hochwohlgeboren werden mir doch eine Kleinigkeit geben – auf Abschlag –«
»Du wirst mich betrügen, oder du wirst mir irgend eine alte Hexe bringen.«
»Wie können Sie so etwas von mir glauben?« rief der Faktor, mit großer Lebhaftigkeit die Hände vor sich ausstreckend. »Wenn ich Euer Hochwohlgeboren täusche, können mir Euer Hochwohlgeboren fünfthun – sagen wir, vierhundertfünfzig Stockschläge geben lassen,« fuhr er mit äußerster Zungenfertigkeit fort. »Befehlen Sie bloß —«
Einer meiner Kameraden erhob in diesem Moment den Vorhang, der den Eingang in der Zeltwand bedeckte, und rief mich. Ich erhob mich sofort und warf dem Faktor einen Dukaten hin.
»Heute Abend! Heute Abend!« flüsterte er mir noch zu und entfernte sich dann.
Ich muß Ihnen gestehen, meine Herren, daß ich dem Anbruch der Nacht mit ziemlicher Ungeduld entgegen sah.
An diesem Tage machten die Franzosen wieder einmal einen Ausfall und unser Regiment kam dabei in Thätigkeit. Endlich dunkelte es. Wir lagerten uns um die Feuer, die Soldaten kochten ihre Grütze und die Offiziere plauderten miteinander. Ich hatte mir meinen zusammengerollten Mantel unter den Kopf geschoben, trank Thee und lauschte den Erzählungen der andern. Man forderte mich auf, an dem dann beginnenden Spiel teilzunehmen, aber ich lehnte es ab – ich war wirklich in hochgradiger Erregung. Nach und nach begaben sich die Offiziere in die für sie bestimmten Zelte, die Soldaten zerstreuten sich nach allen Richtungen innerhalb des Lagers, einige blieben auch bei den Feuern liegen und schliefen daselbst ein. Allmählich verringerte sich der Lärm und verstummte endlich ganz. Ich lag noch immer an dem Wachtfeuer, bei welchem ich mich zuerst niedergelassen hatte; wenige Schritte von mir entfernt kauerte mein Bursche, dem die Augen vor Müdigkeit zugefallen waren und der den schweren Kopf bald auf die Brust sinken ließ, bald nach