»Bevor ich Sie weiter anhöre«, sagte Anton grollend, »muß ich wissen, ob Sie die Absicht haben, mir für Ihre Beleidigung eine Erklärung vor den übrigen Herren zu geben. Ich weiß nicht, ob nach der schweren Kränkung, die Sie mir zugefügt haben, ein anderer, der mehr Erfahrung in Ehrensachen hat, sich mit einer solchen Erklärung begnügen würde. Ich habe das Gefühl, daß ich damit zufrieden sein müßte.«
»Da fühlen Sie richtig«, sagte Fink kopfnickend, »Sie können damit zufrieden sein.«
»Wollen Sie mir morgen diese Erklärung geben?« fragte Anton.
»Warum denn nicht?« sagte Fink gleichgültig. »Ich habe keine Lust, mich mit Ihnen zu schießen, ich will Ihnen gern vor sämtlichen Korrespondenten und Prokuristen der Firma die Erklärung ausstellen, daß Sie ein verständiger und hoffnungsvoller junger Mann sind und daß ich unrecht getan habe, jemanden zu kränken, der jünger und, verzeihen Sie den Ausdruck, um vieles grüner ist als ich.«
Unser Held hörte diese Worte mit gemischten Empfindungen; es wurde ihm doch leichter ums Herz; aber die Manier Finks ärgerte ihn doch wieder sehr, und er sagte, sich im Bett aufrichtend, entschlossen: »Ich bin mit dieser Erklärung noch nicht zufrieden, Herr von Fink.«
»Ei«, sagte Fink, »was verlangen Sie noch?«
»Sie gefallen mir auch in diesem Augenblick nicht«, sprach Anton, »Sie sind wieder rücksichtsloser gegen mich, als gegen einen Fremden schicklich ist. Ich weiß, daß ich noch jung bin und wenig von der Welt kenne, und ich glaube, daß Sie mich in vielen Dingen übersehen; aber ebendeshalb wäre es hübscher von Ihnen, wenn Sie freundlich und gütig gegen mich wären.« Anton sagte dies mit einer Bewegung, welche seinem Gegner nicht entging. Fink streckte seine geöffnete Hand gutmütig über das Bett und sprach: »Seien Sie nur nicht wieder böse, und geben Sie mir Ihre Hand.«
»Ich möchte gern«, rief Anton mit hervorbrechender Rührung, »aber ich kann noch nicht; sagen Sie mir zuvor, daß Sie den Streit mit mir nicht deswegen so leicht behandeln, weil Sie mich für zu jung und zu gering halten oder weil Sie von Adel sind und ich nicht.«
»Hört, Master Wohlfart«, sagte Fink, »Ihr setzet mir das Messer verzweifelt an die Kehle. Weil Ihr aber in Eurem reinen weißen Hemdchen so unschuldig vor mir liegt, so will ich ein übriges tun und wegen dieser Punkte mit Euch kapitulieren. Was meinen deutschen Adel betrifft, so viel drauf!« – hier schnalzte er mit den Fingern – »er hat für mich ungefähr denselben Wert wie ein Paar gute Glanzstiefel und neue Glacéhandschuhe. Was aber meine Scheu vor Ihrer Jugend und der hoffnungsvollen Würde eines Lehrlings betrifft, so will ich mich wenigstens zu dem Bekenntnis verstehen, daß ich nach dem, was ich heut abend an Ihnen kennengelernt habe, Ihnen fortan bei jedem neuen Zank, in den wir geraten werden, mit jedem Mordwerkzeug, das Sie vorschlagen, jede mögliche Genugtuung geben will. Damit können Sie sich begnügen.« – Nach diesem Trost hielt ihm Fink zum zweitenmal die Hand hin und sagte: »Jetzt schlagen Sie ein, es ist jetzt alles in Ordnung.«
Anton legte seine Hand in die dargebotene, und der Jockei schüttelte sie ihm kräftig und sagte: »Wir sind heute so offenherzig gegeneinander gewesen, daß es gut sein wird, wenn wir eine Pause machen, sonst haben wir einander gar nichts mehr zu erzählen. Schlafen Sie wohl, morgen mehr davon.« Dabei ergriff er seine Mütze, nickte mit dem Kopf und schritt klirrend zur Tür hinaus.
Anton war, die Wahrheit zu gestehen, über diesen unerwartet friedlichen Ausgang so vergnügt, daß er lange nicht einschlafen konnte. Herr Baumann, der in seiner Schlafkammer das Bett an derselben Wand hatte, konnte sich nicht enthalten, nach Finks Abgang seinen Glückwunsch durch Klopfen an der Wand auszudrücken, und Anton beantwortete das Signal sofort durch ein ähnliches Klopfen, welches seinen Dank für die Teilnahme anzeigen sollte.
Am andern Morgen war das Kontor eine Viertelstunde vor der Ankunft des Prinzipals vollzählig versammelt. Fink erschien als letzter und sagte mit lauter Stimme: »Mylords und Gentlemen aus dem Export- und Provinzialgeschäft, ich habe gestern Herrn Wohlfart von hier in einer Weise behandelt, die mir jetzt, nach dem, was ich von ihm kennengelernt habe, aufrichtig leid tut. Ich habe ihm gestern bereits meine Erklärung gemacht und bitte ihn heute in Ihrer Gegenwart freiwillig nochmals um Verzeihung. Zu gleicher Zeit bemerke ich, daß unser Wohlfart sich bei diesem Streit durchaus respektabel benommen hat und daß ich mich freue, mit ihm in Geschäftsverbindung getreten zu sein.« Das Kontor lächelte, Anton ging auf Fink zu und schüttelte ihm wieder die Hand, Herr Jordan tat mit beiden Parteien dasselbe, und die Sache war abgemacht.
Doch blieb sie nicht ohne Folgen. Auch die Kunde von der ehrlichen Sühne, welche Fink dem Lehrling gab, und von der freundlichen Ausgleichung gelangte in das Vorderhaus. Und als Anton zusammen mit Fink beim Mittagessen erschien, ruhten die Blicke der Damen mit Teilnahme und Neugier auf ihm, und der Prinzipal verbarg nicht ein freundliches Lächeln. Aber auch auf Fink fiel Sabinens Auge mit freudigem Glanz, und sooft sie zu ihm aufsah, war ihr, als hätte sie ihm etwas Großes abzubitten.
Bei den Herren vom Kontor war die Stellung Wohlfarts auf einmal eine ganz andere geworden, er wurde von allen mit einer Achtung behandelt, welche ein Lehrling sonst nicht durchzusetzen pflegt; Herr Specht erklärte ihn bei sämtlichen Kommis seiner Bekanntschaft – und seine Bekanntschaft war groß – für einen modernen Bayard, für den letzten Ritter Europas, für einen furchtbaren Haudegen im Reiche der Kontokurrenten; Herr Liebold wurde wahrhaft kühn in seinen Behauptungen, wenn er merkte, daß Anton auf seiner Seite stand, und sogar Herr Pix gönnte seinem Zögling von diesem Tage an augenscheinliche Hochachtung, er vertraute den Beobachtungen, welche Anton am Zünglein der großen Waage machte, ebenso fest wie seinen eigenen und überließ ihm zuweilen sogar den schwarzen Pinsel, sein geliebtes Zepter, das Zeichen seiner Herrschermacht.
Die größte Veränderung aber wurde in Antons Verhältnis zu Fink hervorgebracht. Denn einige Tage nach dem Streit, als Anton hinter dem Jockei die Treppe des Hinterhauses hinaufstieg, hielt Fink auf den Stufen an und fragte: »Wollen Sie nicht bei mir eintreten? Sie sollen mir heut Ihren Besuch machen und meine Zigarren probieren.«
Zum erstenmal überschritt Anton die Schwelle des Volontärs und blieb verwundert an der Tür stehen, denn das Zimmer sah sehr fremdartig aus. Elegante Möbel standen unordentlich umher, ein dicker Teppich, weich wie Moos, bedeckte den Fußboden, und der ordentliche Anton sah mit Betrübnis, wie rücksichtslos die Zigarrenasche auf die prächtigen Blumen desselben geworfen war. An der einen Wand stand ein großer Gewehrschrank, darüber hing ein ausländischer Sattel und pfundschwere silberne Sporen; die andere Wand verdeckte ein ebenso großer Bücherschrank aus kostbarem Holz, voll von Büchern in braunem Lederband, und über den Schrank reichten riesige Flederwische, die schwarzen Flügel eines ungeheuren Vogels, von einer Stubenwand bis zur andern.
»Welche Menge von Büchern Sie haben!« rief Anton erfreut.
»Es sind Erinnerungen an eine Welt, in der ich nicht mehr lebe«, sagte Fink.
»Und diese Flügel, gehören sie auch zu Ihren Erinnerungen?«
»Ja, Herr, es sind die Fittiche eines Kondors; Sie sehen, ich bin stolz auf diese Jagdbeute«, antwortete Fink und hielt unserm Anton ein Paket mit Zigarren hin. »Setzen Sie sich, Wohlfart, lassen Sie uns plaudern und zeigen Sie, ob Herr Specht recht hat, wenn er Sie als liebenswürdigen Gesellschafter rühmt.« Er schob unserm Helden mit dem Fuße einen großen Fauteuil zu. Anton sank behaglich in die weichen Kissen und blies blaue Wolken nach der Decke, während Fink die Lampe des silbernen Teekessels anzündete. »Sie haben mir neulich gefallen, Wohlfart«, sagte Fink, sich der Länge nach auf dem Sofa ausstreckend, »verstehen Sie sich auf Pferde?«
»Nein«, sagte Anton.
»Sind