»Allerdings,« antwortete Hammer lächelnd. »Man spricht von Verkohlung, Auslaugung, Inkrustation, von Petrifizierung und endlich auch von Abformung.«
Der Kleine trat einen Schritt zurück, betrachtete den Riesen erstaunt und sagte:
»Señor, Sie sprechen da wie ein Professor der Paläontologie! Das ist meine Lieblingswissenschaft. Ich beabsichtige, ein größeres Werk über diejenigen Tiere zu schreiben, welche man bis in die Silurzeit zurückdatieren muß.«
»Es hat schon vorher eine ungeheure Menge von Tieren existiert, denn aus dem Silur allein sind uns wohl zehntausend Arten bekannt.«
»Zehntau – – – !« Dem Kleinen blieb vor Erstaunen das Wort im Munde stecken, dann fuhr er fort – – »send Arten! Das wissen Sie? Welche Arten sind das?«
»Cölenteraten, Stachelhäuter, Würmer, Gliedertiere, Mollusken und in den obern Schichten sogar Wirbeltiere, z.B. Haifische. Die Landbewohner aber treten erst im Devon auf. Insekten und Reptilien treffen wir in der Steinkohlen- und Diasperiode, im Trias, Jura und in der Kreide.«
»Und Säugetiere?« fragte der Gelehrte erwartungsvoll.
»Im obersten Trias findet man schon Beuteltiere, den ersten Vogel im obern Jura; im Tertiär aber spielen sie die leitende Rolle, welche vorher den Reptilien zukam.«
»Und der Mensch?«
»Dieser erscheint frühestens in der jungtertiären Zeit.«
Da that der Kleine vor Freude einen Luftsprung und rief aus:
»Sollte man so etwas für möglich halten! Und gar hier in Buenos Ayres! Sie sind ja wahrhaftig der reine Professor Giebel, der ein berühmtes Handbuch über die Fauna der Vorwelt geschrieben hat! Setzen Sie sich, setzen Sie sich schnell! Ich muß Ihnen einige sehr wichtige zoopaläontologische Fragen vorlegen. Warum ist der Schwanz bei allen Fischen bis in die Jurazeit hinauf heterocerk wie jetzt noch bei den Rochen und Haien? Warum traten die echten Ammoniten, die im obern Jura und in der untern Kreide zur höchsten Entfaltung gelangen, im alpinen Trias so vereinzelt auf? Findet da eine Epacme statt oder nicht? Aus welchem Grunde rechnen Sie Nautilus und Lingula zu den Dauertypen, und wie wollen Sie auf eine Differenzierung der Tierwelt hinweisen, wenn man Ihnen sagt, daß – – –«
»Valgame Dios – Gott stehe mir bei!« unterbrach ihn da der Bankier, indem er sich die beiden Hände an die Ohren legte. »Señores, ich bitte Sie, zu bedenken, daß Sie sich nicht in der vorsündflutlichen Kreide, sondern hier bei mir befinden, der ich von solchen Dingen leider nicht das mindeste verstehe. Haben Sie die Gnade, dieses Thema, welches ja ganz interessant sein mag, für später aufzusparen. Ich würde Ihnen das sehr, sehr hoch anrechnen.«
Der Vater Jaguar erklärte sich lachend einverstanden; dem Kleinen aber war es ganz und gar nicht heb, daß er abbrechen mußte. Man sprach wohl noch eine Viertelstunde lang von verschiedenem, und dann wollte Hammer aufbrechen. Er sagte erst jetzt, daß seine drei Kameraden auf der Straße auf ihn warteten, da er nicht geahnt habe, daß er sich hier so lange verweilen werde. Der Bankier ließ ihn aber nicht fort, sondern eilte hinaus, um die drei Männer selbst herbeizuholen.
Sie kamen; ein Diener brachte Wein, und die Unterhaltung wurde nun viel lebhafter, als sie vorher gewesen war.
Der Vater Jaguar behandelte seine Gefährten mit freundschaftlicher Vertraulichkeit; sie aber wagten nicht, eine solche Vertraulichkeit auch ihrerseits zu zeigen. Man sah und hörte aus allem, was sie sagten und wie sie es sagten, daß sie ihn als hoch über sich stehend anerkannten und einen großen Respekt vor ihm hatten.
Da nicht von Dank gesprochen werden sollte, hatte man es bisher vermieden, das heutige Stiergefecht zu erwähnen, doch war es nicht zu umgehen, daß das Gespräch später dennoch darauf kam. Doktor Morgenstern war es, welcher es zuerst in Erwähnung brachte, um einige kulturhistorische Bemerkungen daran zu knüpfen. Er sprach von den römischen Gladiatoren und nahm dabei Gelegenheit, dem Vater Jaguar das Kompliment zu machen:
»Sie wären jedenfalls ein ausgezeichneter Forumkämpfer gewesen, Señor, und hätten sowohl unter den Retiarii, Velites und Secutores, als auch unter den Galli, Thraces und Hoplomachi Großes geleistet. Es ist wirklich jammerschade, daß Sie nicht schon damals gelebt haben!«
»Warum jammerschade?« fragte Hammer still belustigt,
»Weil Sie dann jedenfalls in Friedländers ›Darstellungen aus der Sittengeschichte Roms‹ und in Marquardts ›Römische Staatsverwaltung‹ auf das rühmlichste erwähnt worden wären.«
»Ich danke, Señor. Hätte ich damals gelebt, so wäre ich schon über tausend Jahre tot. Lieber ist mir's, daß ich lebe und in den Büchern dieser beiden Herren nicht erwähnt werde.«
Mag sein! Aber der Erwähnung werden Sie auf keinen Fall entgehen. Sie werden in den Werken über die Stiergefechte als einer der größten Toreadores angeführt werden. Wie ist es Ihnen nur möglich gewesen, diesen gräßliche Bison americanusmit einem einzigen Messerstiche zu erlegen?«
»Das ist nur eine Folge der Übung. Ich habe schon viele Büffel auf dieselbe Weise getötet.«
»Ich denke, es gibt hier in Argentinien keine Bisons. Oder hätte sich die Wissenschaft, die sonst untrüglich ist, einmal geirrt?«
»Sie irrt sich nicht. Ich habe die Büffel, von denen ich sprach, in den Vereinigten Staaten erlegt.«
An den Vereinigten Staaten? Ah, da muß ich Sie sogleich fragen, ob Sie die berühmte Mammutshöhle in Kentucky kennen, und vielleicht gar ein Ohiotier gesehen haben?«
»Davon vielleicht ein andres Mal, lieber Señor, da wir nicht von antediluvianischen Dingen sprechen sollen.«
»Also weder von dem Danke, den wir Ihnen schuldig sind, noch von petrefakten Tieren darf man sprechen. Nun frage ich Sie bloß, wovon man da reden soll! Ich als Deutscher bin gewöhnt, zu reden – – –«
»Ein Deutscher sind Sie?« fiel da der Vater Jaguar ein.
»Allerdings, wie Sie schon aus dem Namen Morgenstern ersehen, den Sie vorhin wohl nicht genau vernommen haben. Ich bin Privatgelehrter und studiere die Vorwelt.«
»Und ich bin Laie und studiere die Mitwelt. Mein Name Hammer mag Ihnen sagen, daß wir Landsleute sind.«
»Wie, auch Sie sind ein Deutscher? Ich stamme aus Jüterbogk. Und Sie, wenn ich fragen darf?«
»Ich wurde im goldenen Mainz geboren.«
»Ah, in Mainz, dem von Drusus erbauten Moguntiacum! Castel liegt auf der andern Seite, ulterior, jenseits, wie der Lateiner sagt. Was hat Sie von da nach Nordamerika getrieben?«
»Die Thatenlust.«
»Und von da nach Südamerika?«
»Eine Veranlassung, über welche ich lieber schweige, als spreche.«
Sein bisher so freundliches Gesicht wurde bei diesen Worten plötzlich tiefernst. Der zartfühlende Bankier ahnte, daß der berühmte Mann an einer wunden Stelle berührt worden sei, und gab dem Gespräch eine andre Richtung, indem er sich in höflichem Tone erkundigte:
»Man hat Sie allenthalben gesucht, Señor. Daraus schließe ich, daß Sie nicht in einem Hotel wohnen, denn Sie sind nicht gefunden worden.«
»Wir besitzen Freunde in Buenos Ayres, bei denen wir ungestört wohnen können,« lächelte der Deutsche.
»Und werden Sie längere Zeit hier verweilen?«
»Nein. Ich werde ich kurzer Zeit nach den Anden gehen.«
An welcher Richtung?«
»Über Tucuman wahrscheinlich nach Peru hinüber.«
Der Bankier horchte auf und fragte schnell:
»Kommen Sie da vielleicht bis Lima?«
»Möglich.«
»Ich habe nämlich einen sehr triftigen Grund