„Das und die Tatsache, dass sich mein Zimmer direkt über einem Pub ohne Sperrstunde befindet, und wo eine Folkband drin zu wohnen scheint.“
„Klingt großartig“, gab Bryn zurück. „Mann, Keira, du arbeitest so hart, dass du nicht einmal merkst, in welch aufregender Situation du dich befindest! Du hast gerade gesagt, dass die Party nie aufhört und dabei gestöhnt.“
„Du hörst dich an wie Shane“, antwortete Keira. „Wenn ich nicht trinken, tanzen oder fröhlich sein will, dann muss ich das auch nicht!“
Sie und Bryn beendeten das Gespräch. Keira stellte fest, dass sie trotz des Lärms von unten die Augen kaum noch aufhalten konnte. Also krabbelte sie unter die dünne Decke und legte den Kopf auf das verbeulte Kissen. Noch immer hatte Zach auf keine ihrer lustigen Nachrichten reagiert. Sie versuchte, ihn anzurufen, aber er ging nicht dran.
Sie ging auf Instagram und sah Fotos von Zach auf Ruths Hochzeit. Er sah großartig aus in seinem Anzug, aber er wirkte so einsam. Er schien immer etwas abseits und allein zu stehen, was ihr ein schlechtes Gefühl gab, nicht bei ihm zu sein. Vielleicht hatte ihre Mutter doch nicht ganz unrecht gehabt. Allein auf eine Hochzeit zu gehen, war schon etwas peinlich.
Schon fast im Halbschlaf, sah sie sich selbst mit Zach auf der Hochzeit. Allerdings war es gar nicht Zach, sondern Shane, rasiert, im maßgeschneiderten Anzug. Er sah noch besser aus, als sie gedacht hatte.
Keira erwachte mit einem Schrecken. Die Lage war schon kompliziert genug, da musste sie nicht auch noch ein Auge auf ihren Reisebegleiter werfen!
Sie schob alle weiteren Gedanken beiseite und verfiel endlich in einen tiefen Schlaf.
KAPITEL VIER
„Hast du gut geschlafen?“, fragte Orin, als Keira früh am nächsten Morgen die Treppe herunter kam und damit praktisch direkt wieder im Pub stand.
Sie rieb sich die verschlafenen Augen. „Ja, danke.“ Die Lüge kam ihr sehr leicht über die Lippen. Es war besser, so zu tun, als gefielen ihr das wackelige Bett, die dünne Decke und das verbeulte Kissen, anstatt sich zu beschweren und Orin damit aufzuregen. Schließlich konnte sie später über alles schreiben und sich damit praktisch alles von der Seele reden.
„Setz dich und iss dein Frühstück“, sagte Orin, führte sie zu einem Tisch und stellte einen Kaffee vor ihr ab. Gleich darauf folgte eine Schale mit Haferbrei. Er setzte sich ihr gegenüber. „Ich habe das auf irische Art zubereitet. Ich hoffe, du magst das.“
Er grinste breit.
„Was heißt, auf irische Art?“, murmelte Keira misstrauisch.
Sie nahm einen Schluck Kaffee und war überrascht, wie gut er schmeckte. Was auch immer die irische Art war, sie war gut! Dann aß sie ein paar Löffel Haferbrei und war begeistert. Sie hatte noch nie etwas so cremiges gegessen, es war unglaublich.
„Wow, wieso ist es so cremig?“, fragte Keira, während sie einen weiteren Löffel voll aß. „Kriegen die Kühe Bio-Gras und werden von Jungfrauen gemolken?“, witzelte sie.
Orins Grinsen wurde breiter. „Baileys im Kaffee. Und ein Schuss Whiskey in der Milch.“
Keira war schockiert. „Alkohol um 8 Uhr morgens?“, keuchte sie. „Ist das wirklich eine gute Idee?“
Orin zwinkerte ihr zu. „Die beste Art, in den Tag zu starten. Das und ein strammer Fußmarsch. Den kriegst du gleich, wenn ich dich zu deinem Treffen mit William Barry begleite, dem Leiter des Festivals.“
Da erst fiel Keira auf, dass Orin schon bereit war, aufzubrechen. Er trug halbhohe Stiefel, als rechne er mit Pfützen oder Matsch. Wie auch immer, Keira war nicht in der Stimmung zum Wandern.
„Du musst das nicht machen“, sagte sie. „Ich habe ein Navi im Auto, damit komme ich schon zurecht.“
Orin deutete auf ihren Kaffee. „Deshalb mache ich das nicht.“
Der zynische Teil von ihr fragte sich, ob Orin das absichtlich gemacht hatte, damit sie nicht fahren konnte. Aber sie wusste, dass das zu verrückt war. Orin war einfach ein netter alter Mann, der stolz auf seine Stadt war. Er wollte vor der zynischen New Yorkerin, die ihm aufgehalst worden war, ein wenig damit angeben.
„Na, komm“, fuhr Orin fort. „Du bist doch hier, um das wahre Irland zu erleben! So zu leben, wie die Einheimischen! Das wirst du nie erfahren, wenn du nicht wenigstens mal ein paar Meilen in unseren Schuhen herumgelatscht bist.“
Er zog sie spielerisch am Arm, um sie auf die Beine zu bringen. Sein Enthusiasmus war einfach unwiderstehlich, und er würde sehr wahrscheinlich nicht aufgeben, bis sie ihm folgte. Orin würde dafür sorgen, dass sie zu der Besprechung zu Fuß ging, egal, wie sehr sie sich sträubte.
Sie gab schließlich nach und trank den Rest ihres Kaffees aus. Die Wirkung des Alkohols zeigte sich, sobald sie aufstand. Gemeinsam mit Orin verließ sie das B&B und trat hinaus in die frühe Morgensonne. Obwohl der Himmel etwas gräulich aussah, musste Keira doch blinzeln ob der Helligkeit.
„Geh du voraus“, sagte sie zu Orin, als sie sah, dass der einzige Weg ein schmaler Pfad war, der sich vom Hügel herab schlängelte. Hier und da gab es ein paar Häuser, aber vor allem waren sie von grünen Wiesen und jeder Menge Schafe umgeben.
„Wenn wir auf dem Pfad bleiben, sind es zwei Meilen bis zum Rathaus“, sagte Orin. „Aber wir können eine Abkürzung über die Felder nehmen und die Strecke damit halbieren. Natürlich hat der Farmer das Recht, uns zu erschießen, da wir widerrechtlich sein Land betreten, aber hier kennt jeder jeden, das sollte also kein Problem sein.“
Keira schluckte. „Wir nehmen die malerische Strecke, okay?“
„Wie du willst“, sagte Orin locker. Offenbar hatte er ihre Besorgnis nicht einmal wahrgenommen.
Sie gingen die Straße hinunter. Trotz der frühen Stunde war jeder, dem sie begegneten, fröhlich und freundlich. Als sie die Hauptstraße erreichten, sofern man die so nennen konnte, trafen sie auf eine Gruppe Musiker mit Geigen und Akkordeons, die alte irische Folksongs spielten. Andere sangen und tanzten dazu. Keira konnte nicht glauben, was sie da sah. Wie konnte ein Ort so kollektiv fröhlich sein? Vielleicht war es falsch gewesen, alles so zynisch zu verurteilen.
„Da sind wir schon“, sagte Orin, als sie ihr Ziel erreicht hatten.
Wie alle Gebäude in Lisdoonvarna, war auch dieses farbig gestrichen, in diesem Fall in einem kräftigen Orange, was zu den bunten Straßen passte. Über der Tür hing ein Schild: Haus des Matchmakers. Die Tür selber war mit Bildern des Liebesgottes Amor übersät.
Keira hob eine Augenbraue angesichts dieses Kitsches, dann folgte sie Orin hinein. Ein älterer Herr erhob sich und kam hinter seinem Schreibtisch hervor.
„William Barry“, sagte er und hielt ihr seine Hand hin. „Du bist die amerikanische Reporterin.“
Keira schüttelte seine Hand. „Ich bin Reisejournalistin, keine Reporterin.“
„Dann erscheint der Artikel nicht in der New York Times?“, fragte William und runzelte die Stirn.
Keira schaute Orin hilfesuchend an. Glaubte William wirklich, sie würde für eine große Firma schreiben? Sollte Heather die Wahrheit etwas verdreht haben, als sie die Termine arrangiert hatte? Josh hätte es sicher nichts ausgemacht zu lügen, um seine Ziele zu erreichen.
Plötzlich brach Orin in lautes Gelächter aus. Keira schaute William an. Der krümmte sich ebenfalls vor Lachen.
„Du hättest den Ausdruck auf deinem Gesicht sehen sollen!“, rief er, das Gesicht knallrot.
Keira fand das nicht sonderlich witzig. Es stand für sie einfach zu viel auf dem Spiel, da konnte sie es gar nicht gebrauchen, wenn man sich über sie lustig