Als die anderen Autoren in den Raum traten, konnte Keira ihren Eifer und den Hunger nach Herausforderungen geradezu spüren. Früher war das alles unter Selbstzweifeln begraben gewesen. Ohne Joshua, der sie nur niedermachte, dafür mit Lance, der freundlich und ermutigend war, konnten die anderen Autoren bei Viatorum aufblühen und zu sich selbst finden. Keira stellte überrascht fest, dass dadurch die Konkurrenz in der Redaktion nur noch schärfer geworden war.
„Einer von euch wird heute den besten Auftrag absahnen, den wir je hatten“, sagte Lance und grinste breit. „Drei Woche lang durch Italien reisen. Ich rede von Florenz, der Toskana, Verona, Capri.“
Der ganze Raum schien vor Aufregung zu summen wie ein Bienenstock.
Keira rutschte auf ihrem Stuhl hin und her. Sie wollte diesen Auftrag unbedingt. Allein die Vorstellung, nach Italien zu reisen, war so unglaublich aufregend; echte Pizza zu essen, Pasta, Eis. Und nicht nur eine Kopie davon, wie sie bei Gino auf der Karte stand.
Dieser Auftrag war wie für sie gemacht. Sie war die einzige hier, die mit einem solchen Auftrag schon Erfahrung hatte. Aber natürlich wollten alle diesen Auftrag. Sie hatte sich zu sehr in Sicherheit gewähnt, mit all dem Applaus und dem eigenen Büro. Wie es aussah, hatte sich doch nicht alles geändert. Es würde ein harter Kampf werden und sie war bereit.
„Also“, begann Lance und faltete die Hände vor sich auf dem Tisch. „Wer von euch ist im Rennen?“
Keira hob sofort die Hand.
Die Zeiten, in denen sie darauf gewartet hatte, dass eine gute Gelegenheit ihr einfach in den Schoß fallen würde, waren unwiderruflich vorbei. Sie war hungrig nach Erfolg und würde sich diese einmalige Chance nicht durch die Lappen gehen lassen. Außerdem konnte sie die Reise wirklich gut gebrauchen, um sich von Shane abzulenken.
Zu ihrem größten Erstaunen fiel ihr auf, dass außer ihr niemand die Hand gehoben hatte. Verwirrt schaute Keira alle der Reihe nach an und stellte fest, dass ohnehin aller Augen auf sie gerichtet waren. Und alle lächelten.
„Was ist hier los?“, fragte sie und nahm die Hand wieder runter.
Lance lachte fröhlich auf. „Er gehört dir!“, rief er. „Offensichtlich. Wir haben uns nur einen Spaß mit dir erlaubt.“
Alle begannen zu kichern. Keira schaute sich um, vollkommen irritiert. Seit wann wurden bei Viatorum solche Scherze gemacht?
„Du meinst, du hattest sowieso vor, mir den Auftrag zu geben?“, fragte sie.
„Ja!“, antwortete Lance, noch immer herzhaft lachend.
Zu Keiras größtem Erstaunen schienen alle anderen damit kein Problem zu haben. Sie freuten sich für sie. Es gab keinen Neid mehr, keine Rücksichtslosigkeit.
„Die Anderen haben auch alle großartige Aufträge“, erklärte Lance. „Mach dir deswegen keine Sorgen. Ich mag solches Gerangel nicht. Jeder hat seine Stärken. Und deine ist es, nach Übersee zu reisen und großartige Artikel zu schreiben.“
Keira hatte das Bedürfnis, sich zu kneifen. War das alles ein Traum? Lag sie noch immer schlafend auf Bryns Couch und träumte davon, wie der erste Arbeitstag wohl sein würde?
Aber nein, das hier war real. Ohne Joshua hatte sich Viatorum in ihren Traumjob verwandelt. Und sie hatte gerade einen traumhaften Auftrag bekommen.
„Das ist unsere Art, danke zu sagen“, bemerkte Denise. „Dafür, dass wir Joshua los sind.“
Keira lachte begeistert. Sie war sehr aufgeregt wegen des neuen Auftrags. Aber sie war auch ziemlich nervös. Vielleicht lag es daran, dass Joshua ihr das eingeimpft hatte. Oder es war Teil ihrer Persönlichkeit. Auf jeden Fall brachte ein neuer Auftrag für sie immer auch Nervosität und Selbstzweifel mit sich. Tief in ihr drin wusste sie nicht, ob sie dem gewachsen war, zumal die Sache mit Shane noch schwer auf ihr lastete. Aber sie wusste natürlich, dass sie das nicht ablehnen konnte. Alle schauten sie so erwartungsvoll an. Sie musste quasi zurück in den Sattel.
„Wie wird der Artikel heißen?“, fragte sie, bemüht, sich auf die vor ihr liegende Aufgabe zu konzentrieren und nicht länger an Shane zu denken.
„Das Land der Liebe“, sagte Lance und machte eine dramatische Geste.
„Wieder ein Artikel über die Liebe?“, fragte Keira schockiert.
„Natürlich!“, rief Lance. „Genau da liegt dein Talent, Keira. Dein letzter Artikel war beeindruckend.“
„Aber nur, weil ich mich verliebt hatte“, sagte sie.
Lance nickte eifrig. „Genau. Das war toll. Das will ich wieder sehen. Also schicken wir dich an die romantischsten Orte überhaupt. Ich möchte, dass du dich mit dein Einheimischen unterhältst und ihr Geheimnis herausfindest. Was wissen die Italiener über die wahre Liebe? Wieso gilt Italien als so romantisch? Welche Geheimnisse der Romantik verbergen sich da?“
Er grinste breit und ermutigend. Aber bei Keira setzte Panik ein.
Wie sollte sie über die Liebe schreiben, wenn ihr Herz in tausend Stücke zersprungen war? In Irland hatte sie mit dem Auftrag zu kämpfen gehabt, weil sie naiv, dumm und unerfahren gewesen war. Dieses Mal war sie verbittert und ausgelaugt. Das würde niemals funktionieren.
„Können wir über den Titel noch mal reden?“, stammelte sie. „Um vielleicht den Blickwinkel zu ändern? Ich möchte nicht auf die Rolle der Liebesautorin festgelegt werden.“
Lance blickte sie amüsiert an. „Aber genau das bist du doch, Keira. Der Guru für Romantik. Das wollen die Leute von dir lesen. Das ist dein Erfolgsgarant. Dein Alleinstellungsmerkmal.“
Sie konnte es nicht fassen.
Aber welche Wahl hatte sie denn? Lance hatte sich für sie richtig ins Zeug gelegt, damit sie diesen tollen Auftrag bekam. Sie hatte keine andere Wahl als ihn anzunehmen. Alle wollten, dass sie das tat und ihre Karriere hing davon ab. Sie musste sich irgendwie durchmogeln.
Andererseits musste sie das vielleicht gar nicht. Möglicherweise lernte sie ja jemanden kennen. Nicht einen neuen Shane, nicht jemanden, in den sie sich Hals über Kopf verliebte, aber einen leidenschaftlichen Italiener für eine stürmische Affäre. Ohne Verantwortung, keine Liebe, nur Lust.
Sie lächelte in sich hinein. Vielleicht war das ein geeignetes Gegenmittel für ein gebrochenes Herz. Die Liebe war derzeit das letzte, woran sie dachte, aber ein Flirt mit einem heißblütigen Italiener war genau das, was sie brauchte, um über Shane hinwegzukommen.
Sie schaute Lance an und hob eine Augenbraue.
„Danke“, sagte sie. „Wann reise ich ab?“
KAPITEL VIER
„Morgen schon?“, rief Bryn und hockte sich auf die Armlehne des Sofas.
Keira nickte und wuselte durch die kleine Wohnung, sammelte ihre Sachen ein und warf sie in ihren Koffer. Sie war ganz hibbelig vor Aufregung.
„Kannst du dir das vorstellen? Du hast deine Wohnung drei ganze Wochen für dich allein.“
„Aber du verpasst Halloween“, jammerte Bryn. „Malcolm und Glen wollten uns auf eine Party mitnehmen.“
Keira rollte mit den Augen. „Wie bedauerlich“, sagte sie voller Sarkasmus.
Es klingelte an der Tür. Bryn ging hin, um die Gegensprechanlage zu benutzen. Dann schaute sie über ihre Schulter zu Keira, ihr Blick verfinsterte sich. „Warum stehen Shelby und Maxine vor meiner Tür?“
Maxine und Shelby waren Keiras älteste Freundinnen, die sie auf dem College kennengelernt