Sie rannte und rannte, bis ihre Lungen fast barsten, und endlich erreichte sie es.
Sie hob es auf, und sah ihm ins Gesicht – ein Teil von ihr erwartete, Guwayne zu sehen.
Doch er war es nicht. Es war ein Mädchen. Sie hatte riesige, blaue Augen, die voller Tränen waren und schrie und zitterte. Gwendolyn hatte das Gefühl, durch die Rettung des Mädchens wieder gut zu machen, dass sie Guwayne fortgeschickt hatte. Und schon nach dem ersten Blick in ihre Augen wusste Gwendolyn, dass sie wunderschön war.
Die Rauchwolken lichteten sich, und plötzlich stand Gwendolyn ohne Deckung mit dem weinenden Baby in den Armen auf dem Hof. Sie blickte auf und sah, kaum hundert Meter entfernt, ein Dutzend wilde Drachen mit riesigen glühenden Augen, die sie plötzlich anstarrten. Sie sahen sie mordlüstern an, und sie wusste, dass sie sich gleich auf sie stürzen würden.
Die Drachen schwangen sich in die Luft, und stürzten auf sie zu. Gwendolyn duckte sich über das Baby – sie wusste, dass sie es niemals rechtzeitig zurück schaffen würde.
Plötzlich hörte sie, wie Schwerter gezogen wurden, und als sie aufblickte, sah sie ihre Brüder, gemeinsam mit Steffen, Brandt, Atme und den Jungen der Legion mit gezogenen Schwertern und hoch erhobenen Schilden neben sich stehen. Sie bildeten einen Kreis um sie und hielten ihre Schilde in die Höhe, bereit, mit ihr zu sterben. Gwendolyn war von ihrem Mut zutiefst berührt.
Die Drachen stürzten auf sie zu, öffneten ihre Mäuler, und sie wappneten sich für die Flammen, die sie unausweichlich alle töten würden. Gwendolyn schloss ihre Augen und sah ihren Vater und alle Menschen, die ihr in ihrem Leben etwas bedeutet hatten, und war bereit, sie wiederzusehen.
Plötzlich hörte sie einen schrecklichen Schrei, und Gwendolyn zuckte zusammen, dann sie dachte, dass nun der Angriff folgen würde.
Doch dann erkannte sie, dass es nicht der Schrei der Angreifer gewesen war – es war der Schrei einer alten Freundin.
Gwendolyn blickte auf, und sah einen einsamen Drachen, der auf sie zustürzte, bereit sich in den Kampf gegen die anderen Drachen zu stürzen. Ihr Herz machte einen Sprung, als sie auf dem Rücken des Drachen den Mann erblickte, den sie über alles liebte:
Thorgrin.
Er war zurückgekehrt.
KAPITEL SECHS
Er ritt auf Mycoples Rücken, die Wolken schlugen ihm ins Gesicht. Sie flogen so schnell, dass er kaum atmen konnte, auf die Herde der Drachen zu. Thors Armreif pulsierte an seinem Handgelenk, und er spürte, dass seine Mutter ihm eine neue Macht gegeben hatte, die er kaum verstehen konnte; es war, als würden Zeit und Raum nicht existieren. Thor hatte kaum daran gedacht, zurückzufliegen, sie hatten sich kaum vom Ufer des Lands der Druiden in die Lüfte geschwungen, als sie plötzlich schon hier waren, über den Oberen Inseln, und auf eine Schar von Drachen zuflogen. Thor hatte das Gefühl, magisch hierher gebracht worden zu sein, als ob sie durch eine Spalte in Raum und Zeit gereist waren – als ob seine Mutter sie hierher gebracht hatte, ihm irgendwie das Unmögliche ermöglicht hatte, schneller zu fliegen als je zuvor. Seine Mutter hatte ihn mit diesem Geschenk in die Welt der Menschen zurückgeschickt.
Als Thor durch die Wolken blinzelte, kamen die riesigen Drachen ins Blickfeld, die die Oberen Inseln umkreisten, und sein Herz sank, als er sah, dass die Oberen Inseln bereits von einem Flammenteppich überzogen waren. Er fragte sich, ob irgendjemand das überlebt haben konnte – er bezweifelte es. War er zu spät gekommen?
Doch als Mycoples tiefer flog und näher kam, sah er eine einzelne Person, die ihn wie ein Magnet im Chaos anzog – Gwendolyn.
Dort stand seine künftige Gemahlin, stolz und furchtlos hielt sie ein Baby umklammert, umringt von all jenen Menschen, die Thor liebte. Mit erhobenen Schilden umringten sie sie, als die Drachen sich zum Angriff auf sie stürzten. Thor sah schockiert zu, wie die Drachen ihre riesigen Mäuler aufrissen, und sich anschickten, Feuer zu speien, das in wenigen Augenblicken Gwendolyn und alle, die er liebte, vernichten würden.
„Runter!“, schrie Thor Mycoples zu.
Doch sie brauchte keine Ermutigung: Sie tauchte schneller durch die Wolken, als Thor sich es vorstellen konnte, so schnell, dass er kaum atmen konnte, und er sich im fast senkrechten Sturzflug festklammern musste, um nicht herunterzufallen. Binnen weniger Augenblicke hatte sie die drei Drachen erreicht, die im Begriff waren, Gwendolyn anzugreifen, riss ihr Maul auf, streckte ihre Krallen aus und griff die nichts ahnenden Biester an.
Mycoples rammte die Drachen, getragen von ihrem Schwung, landete auf ihren Rücken, krallte einen, biss einen anderen, und versetzte dem Dritten einen heftigen Schlag mit den Flügeln. Sie konnte sie gerade noch rechtzeitig aufhalten, bevor sie Feuer spien, und rammte sie mit dem Kopf voran in den Boden.
Unter lautem Poltern schlugen sie auf dem Boden auf, wobei sie riesige Staubwolken aufwirbelten. Dabei sah Thor Gwendolyn erschrockenen Blick, und er dankte Gott, dass er gerade noch rechtzeitig gekommen war, um sie zu retten.
Als er lautes Brüllen hörte, blickte Thor zum Himmel auf und sah den Rest der Drachenherde auf sich zukommen.
Mycoples hatte sich bereits erhoben und flog ihnen furchtlos entgegen. Thor war unbewaffnet, doch er fühlte sich anders als je zuvor in einer Schlacht. Zum ersten Mal hatte er das Gefühl, dass er keine Waffen brauchte. Er wusste, dass er sich auf die Kräfte, die in ihm schlummerten, verlassen konnte. Seine wahren Kräfte. Die Kräfte, die seine Mutter in ihm geweckt hatte.
Als sie näher kamen, hob Thor seinen Arm, und ein Lichtstrahl schoss aus dem schwarzen Diamanten in seinem Armreif. Das gelbe Licht schloss den Drachen, der ihnen am nächsten war ein, und schoss ihn zurück nach oben, wo er mit den anderen kollidierte.
Mycoples war aufgebracht und wild entschlossen, unter den Drachen zu wüten. Furchtlos tauchte sie in die Herde hinein, schlug und krallte, biss einen und rammte einen anderen, während sie sich ihren Weg durch die Drachen bahnte. Sie umklammerte einen, bis er schlaff unter ihr hing; dann ließ sie ihn wie einen riesigen Stein fallen. Leblos schlug er auf dem Boden auf. Der Einschlag ließ die Erde erzittern.
Thor warf einen Blick nach unten, wo er Gwen und die anderen in Deckung laufen sah, und er wusste, dass er die Drachen von der Insel weglotsen musste, fort von Gwendolyn, damit sie eine Chance hatte, zu entkommen. Er musste sie hinaus aufs Meer locken und den Kampf dort fortsetzen.
„Zum Meer!“, rief Thor.
Mycoples folgte seinem Befehl, und als sie die Richtung änderte, hörte Thor ein lautes Brüllen, und spürte die Hitze der Flammen, die einer der Drachen in seine Richtung spie. Sein Plan funktionierte – die Herde hatte sich von den Oberen Inseln abgewandt, und folgte ihnen aufs offene Meer hinaus.
In der Ferne konnte Thor Romulus Flotte sehen. Seine Schiffe färbten das Meer schwarz. Thor wurde bewusst, dass er, selbst wenn er den Kampf mit den Drachen überleben sollte, alleine dieser gigantischen Flotte gegenüberstehen würde. Was auch immer geschah, zumindest hatte er den anderen Zeit verschafft. Zumindest würde Gwendolyn fliehen können.
*
Gwendolyn stand auf dem schwelende Hof, umgeben von den Trümmern von Tirus‘ Fort. Sie hielt noch immer das Baby umklammert und starrte gen Himmel. Sie spürte Erstaunen, Erleichterung und Trauer zur gleichen Zeit. Ihr Herz machte einen Sprung, als sie Thor wiedersah, die Liebe ihres Lebens. Er war mit Mycoples zurückgekehrt. Mit ihm an ihrer Seite fühlte sie sich stärker, als ob alles möglich war. Sie spürte etwas in sich wieder erwachen, das sie vor einer ganzen Weile verloren hatte: Ihren Willen zu leben.
Langsam senkten ihre Männer die Schilde und beobachteten, wie die Drachen in Richtung des Ozeans davonflogen. Gwendolyn sah sich um und betrachtete die Zerstörung, die sie hinterlassen hatte, riesige Trümmerberge, überall Feuer, und einige tote Drachen. Die Insel war vom Angriff der Drachen zerstört.
Gwendolyn