Er drehte sich um und sah seine Männer an, ein Dutzend Männer der Königlichen Wache, die auf seinen Befehl warteten.
„Wartet hier vor den Toren auf mich“, rief er. „Ich möchte nicht, dass meine Leute euch schon sehen. Ich möchte ihnen zuerst alleine begegnen.“
„Jawohl, Sire“, antworteten sie.
Steffen sprang von seinem Pferd. Er wollte sein Dorf zu Fuß betreten. Vor allem jedoch wollte er nicht, dass seine Familie sein Pferd mit den königlichen Insignien oder seine Entourage sah. Er wollte sehen, wie sie auf ihn reagieren würden, so wie er war, ohne seinen Rang zu kennen. Er nahm sogar seine königlichen Abzeichen auf seinen neuen Kleidern ab und ließ sie in seiner Satteltasche.
Steffen ging durch das Tor in die kleine, hässliche Ortschaft, an die er sich nur zu gut erinnerte. Es stank nach wilden Hunden, die Hühner rannten frei in den Straßen umher, gejagt von alten Frauen und kleinen Kindern. Er ging an den Häusern vorbei. Wenige waren aus Stein gebaut, die meisten aus Lehm und Stroh. Die Straßen waren in schlechtem Zustand, mit Schlaglöchern und voller Tierkot.
Nichts hatte sich geändert. Selbst nach all diesen Jahren schien alles unverändert zu sein.
Schließlich erreichte Steffen das Ende der Straße und bog nach links ab. Sein Magen zog sich zusammen, als er das Haus seines Vaters sah. Es sah aus wie eh und je, ein kleines Holzhaus, mit steilem Dach und einer krummen Eingangstür. Selbst der Stall im Garten, in dem Steffen hatte schlafen müssen stand noch. Der Anblick machte ihn wütend. Er wollte ihn am liebsten abreißen.
Steffen ging zur Tür, die offen stand und sah hinein.
Es nahm ihm den Atem, als er seine ganze Familie sah: Sein Vater und seine Mutter, all seine Schwestern und Brüder. Alle zusammengepfercht in dem engen Haus, wie es schon immer gewesen war. Sie saßen um einen Tisch herum und lachten. Sie hatten nie mit Steffen gelacht, sondern immer nur über ihn.
Sie sahen natürlich älter aus, doch sonst waren sie unverändert. Er sah sie an und fragte sich: Stammte er wirklich aus dieser Familie?
Steffens Mutter war die erste, die ihn sah. Sie drehte sich um und keuchte bei seinem Anblick. Ihr Teller zerschellte klirrend auf dem Boden.
Als nächster wandte sich ihm sein Vater zu, dann alle anderen, geschockt, ihn zu sehen. Sie sahen nicht erfreut aus, gerade so, als ob ein unerwünschter Gast zu Besuch gekommen wäre.
„Soso“, sagte sein Vater langsam mit bösem Blick und kam um den Tisch herum auf ihn zu, wobei er mit bedrohlicher Geste seine Finger an seinem Taschentuch abwischte. „Bist du also doch zurückgekommen.“
Steffen erinnerte sich daran, dass sein Vater immer wieder einen Knoten in dieses Taschentuch geknüpft, es nass gemacht, und ihn damit geschlagen hatte.
„Was ist los?“, fügte sein Vater mit einem finsteren Grinsen hinzu. „Hast es in der großen Stadt wohl doch zu nichts gebracht?“
„Er hat sich eingebildet, dass er zu gut für uns war. Und jetzt kommt er wie ein Hund zurück nach Hause gekrochen!“, rief einer seiner Brüder.
„Wie ein Hund!“, echote einer seiner Schwestern.
Steffen kochte innerlich. Er atmete tief durch und zwang sich, seine Zunge im Zaum zu halten und sich nicht auf ihr Niveau herabzulassen. Diese Leute waren Dörfler und voller Vorurteile; das war das Ergebnis eines Lebens eingesperrt in der Enge dieses kleinen Ortes. Er jedoch hatte die Welt gesehen, und hatte gelernt, anders zu denken.
Seine Geschwister – in der Tat jeder im Raum – lachte ihn aus.
Die einzige die nicht lachte, sondern ihn mit großen Augen ansah, war seine Mutter. Er fragte sich, ob sie vielleicht die einzige war, die ein wenig Verstand hatte. Er fragte sich, ob sie sich vielleicht freute, ihn zu sehen.
Doch sie schüttelte nur langsam den Kopf.
„Oh Steffen“, sagte sie. „Du hättest nicht hierher zurückkommen sollen. Du gehörst nicht zu dieser Familie.“
Ihre Worte, so ruhig und ohne Häme ausgesprochen, taten Steffen am meisten weh.
„Er hat nie dazugehört. Er ist ein Tier. Was willst du hier, Junge? Almosen?“
Steffen antwortete nicht. Er besaß nicht die Gabe geschliffener Worte, schlauer, schlagfertiger Antworten, und schon gar nicht in einer Situation wie dieser. Er war so durcheinander, dass er kaum einen Satz bilden konnte. Es gab so vieles, was er ihnen sagen wollte, doch ihm fehlten die Worte.
Stattdessen stand er kochend vor Wut vor ihnen und schwieg.
„Hat die Katze etwa deine Zunge gefressen?“, höhnte sein Vater. „Dann verschwinde, du verschwendest meine Zeit. Das ist unser großer Tag und wir lassen ihn uns von dir nicht ruinieren.“
Sein Vater schob Steffen zur Seite, eilte an ihm vorbei nach draußen und sah sich um. Die ganze Familie wartete, bis der Vater enttäuscht grunzend zurückkam.
„Sind sie schon da?“, fragte die Mutter hoffnungsvoll.
Er schüttelte den Kopf.
„Keine Ahnung wo sie bleiben“, sagte der Vater.
Dann wandte er sich Steffen zu und wurde rot vor Wut.
„Verschwinde endlich“, bellte er ihn an. „Wir warten auf einen wichtigen Mann, und du versperrst den Weg. Du willst wohl unsere große Chance kaputtmachen, so wie du immer alles kaputt gemacht hast, nicht wahr? Was bildest du dir ein, in einem Moment wie diesem hier aufzutauchen? Der Gesandte der Königin kann jeden Augenblick hier eintreffen, um hier im Dorf Essen und Vorräte zu verteilen. Das ist der Moment, in dem wir alles Mögliche von ihm erbitten können. Und schau dich nur an“, zischte sein Vater, „stehst herum und blockierst die Tür. Ein Blick auf dich und er wird unser Haus ignorieren. Er wird denken, dass wir ein Haus voller Abartiger sind!“
Seine Brüder und Schwestern brachen in Gelächter aus.
„Ein Haus voller Abartiger!“, echote einer.
Steffen starrte seinen Vater an, der böse auf ihn herabblickte, und wurde selbst rot.
Steffen, immer noch nicht in der Lage zu antworten, drehte sich langsam um, schüttelte den Kopf und verließ das Haus.
Er lief hinaus auf die Straße und gab seinen Männern ein Zeichen.
Plötzlich erschienen dutzende von glänzenden königlichen Pferdekutschen im Ort.
„Sie kommen!“ schrie Steffens Vater.
Steffens ganze Familie rannte aus dem Haus an Steffen vorbei und gafften die Kutschen und die Königlichen Wachen an.
Die Wachen sahen Steffen an.
„Mylord“, sagte einer von ihnen. „Sollen wir hier etwas verteilen, oder weiterziehen?“
Steffen hatte die Hände in die Hüften gestemmt und sah seine Familie an.
Bei den Worten der Wache drehten sie sich sprachlos um und starrten Steffen an. Sie blickten zwischen der Wache und Steffen hin und her, vollkommen sprachlos, als ob sie nicht verstehen konnten, was sie sahen.
Steffen ging langsam auf sein Pferd zu, schwang sich in den mit Gold und Silber beschlagenen Sattel und blickte auf seine Familie hinab.
„Mylord?“ echote sein Vater. „Soll das ein Witz sein? Du? Der königliche Gesandte?“
Steffen saß lediglich da und schüttelte den Kopf während er auf seinen Vater hinabblickte.
„So ist es Vater“, sagte er. „Ich bin der königliche Gesandte.“
„Das kann nicht sein!“, entgegnete dieser. „Das kann nicht sein.