“Das ist das zweite Opfer”, sagte Yardley. “Pastor Ned Tuttle, fünfundfünfzig Jahre alt. Er wurde von einer alten Frau entdeckt, die früh zur Kirche gegangen war, um Blumen auf das Grab ihres Mannes zu legen. Die Spurensicherung ist am Tatort. Es scheint, dass der Körper dort vor weniger als vier Stunden abgelegt wurde. Wir haben bereits Agenten, die mit der Familie sprechen, um sie zu benachrichtigen.”
Eine Frau, die gerne Verantwortung übernimmt und die Dinge erledigt, dachte Mackenzie. Vielleicht arbeiten sie und ich gut zusammen.
“Was haben wir über das erste Opfer?”, fragte Mackenzie.
McGrath schob ihr eine Akte herüber. Während sie sie öffnete und sich den Inhalt anschaute, gab McGrath ihr die Infos. “Vater Costas, von der katholischen Blessed Heart Kirche. Er wurde genauso vorgefunden, an die Türen seiner Kirche genagelt, vor fünf Tagen. Ich bin ehrlich überrascht, dass Sie noch nichts davon in den Nachrichten gesehen haben.”
“Ich schaue mit Absicht keine Nachrichten in meinem Urlaub”, sagte sie und schnitt McGrath eine Grimasse, die komisch sein sollte, die aber komplett ungeachtet blieb.
“Ich erinnere mich daran, etwas darüber in der Kaffeeküche gehört zu haben”, sagte Ellington. “Die Frau, die den Körper entdeckt hatte, war eine Weile in einem Schockzustand, richtig?”
“Richtig”, erwiderte McGrath.
“Und basierend darauf, was die Spurensicherung gefunden hat”, fügte Yardley hinzu, “wurde Vater Costas vor nicht länger als zwei Stunden dort angenagelt.”
Mackenzie sah durch die Akten. Die Bilder darin zeigten Vater Costas in derselben Position wie Pastor Tuttle. Alles sah recht identisch aus, bis hin zu der länglichen Wunde über der Stirn.
Sie schloss die Akte und schob sie wieder zu McGrath.
“Wo ist die Kirche?”, fragte Mackenzie und zeigte auf den Laptop Bildschirm.
“Außerhalb der Stadt. Eine ganz ansehnliche presbyterianische Kirche.
“Schicken Sie mir die Adressen”, sagte Mackenzie und stand bereits auf. “Ich würde mir das gerne Selbst ansehen.”
Anscheinend hatte sie die Arbeit in den letzten acht Tagen mehr vermisst, als sie zugeben wollte.
***
Es war noch dunkel, als Mackenzie und Ellington an der Kirche ankamen. Die Spurensicherung war gerade fertig geworden. Der Körper von Pastor Tuttle war von der Tür entfernt worden, aber das war okay für Mackenzie. Basierend auf den beiden Fotos, die sie von Vater Costas und Pastor Tuttle gesehen hatte, hatte sie alles gesehen, was sie sehen musste.
Zwei Morde im Kreuzigungsstil, beide an den Vordertüren der Kirche. Die getöteten Männer waren mutmaßlich Vorstände dieser Kirchen. Es war recht klar, dass jemand einen großen Groll gegen die Kirche hegte. Und wer immer das war, er war nicht spezifisch bei einer bestimmten Religion.
Sie und Ellington näherten sich der Kirche, als das Spurensicherungsteam die Sachen packte. Links in der Nähe der kleinen Plakette mit dem Namen der Kirche, stand eine kleine Gruppe von Menschen. Ein paar von ihnen beteten, während sie sich umarmten. Andere weinten ganz offen.
Kirchenmitglieder nahm Mackenzie mit überwältigender Traurigkeit an.
Sie näherten sich der Kirche und das Bild wurde nur noch schlimmer. Es gab Schmieren von Blut und zwei große Löcher, wo die Nägel drin gesteckt hatten. Sie suchte den Bereich nach ein paar weiteren religiösen Bilddeutungen ab, sah aber nichts. Da war nur Blut und Dreck und Schweiß.
So eine kühne Tat dachte sie. Da muss eine Art Symbolik dahinter stecken. Warum eine Kirche? Warum die Türen einer Kirche? Einmal wäre Zufall. Aber zwei Mal hintereinander, beide an die Türen genagelt, - das ist Absicht.
Sie fand es schon fast beleidigend, dass jemand so etwas an einem Kircheneingang machte. Und vielleicht war das der Punkt. Man konnte es nicht genau wissen. Während Mackenzie keine große Gläubige in Religionen oder Götter oder die Wirkungen des Glaubens war, respektierte sie das Recht der Menschen, die in dem Glauben lebten. Manchmal wünschte sie sich, sie wäre so eine Art Person. Vielleicht fand sie deswegen diese Tat so bedauernswert; den Tod von Jesus am Eingang der Kirche zu verspotten, wo die Menschen sich sammelten, um in seinem Namen Trost und Zuflucht zu suchen, war abscheulich.
“Selbst wenn das der erste Mord war”, begann Ellington, “solch ein Anblick lässt mich sofort glauben, dass da noch mehr kommt. Das ist … ekelhaft.”
“Ist es”, stimmte Mackenzie zu. “Aber ich bin mir nicht sicher, warum ich mich so fühle.”
“Weil Kirchen sichere Orte sind. Du erwartest es nicht, große Nagellöcher und nasses Blut an den Türen zu sehen. Das hier ist richtiger Scheiß aus dem alten Testament.”
Mackenzie hatte nicht viel mit der Bibel am Hut, aber sie erinnerte sich an die Bibelgeschichten aus ihrer Kindheit – etwas über den Todesengel, der durch die Stadt fuhr und die Erstgeborenen jeder Familie mitnahm, wenn es keine bestimmte Markierung über ihren Türen gab.
Ein Schauer durchfuhr sie. Sie unterdrückte ihn und wandte sich an die Spurensicherung. Mit einem kleinen Winken bekam sie die Aufmerksamkeit eines Teammitglieds. Er kam hinüber, offensichtlich ein wenig verstört von dem, was er und der Rest des Teams gesehen hatten. “Agentin White”, sagte er. “Ist das jetzt Ihr Fall?”
“Scheint so. Ich hab mich gefragt, ob ihr noch die Nägel habt, mit denen er dort befestigt wurde.”
“Na klar”, sagte er. Er winkte einem weiteren Teammitglied hinzu und schaute dann zur Tür. “Und der Mann, der das getan hat … war entweder stark wie sonst was oder hatte alle Zeit der Welt, das zu tun.”
“Das bezweifel ich”, sagte Mackenzie. Sie nickte zum Kirchenparkplatz hinüber und die Straße dahinter. “Selbst wenn der Täter das gegen zwei oder drei Uhr morgens getan hat, die Chance, dass ein vorüberfahrendes Auto auf der Browning Street ihn gesehen hat, sind dünn bis gar nicht.”
“Außer der Mörder hat die Gegend vorher überprüft und kannte die Ruhezeiten des Verkehrs nach Mitternacht”, schlug Ellington vor.
“Irgendwelche Chancen auf einen Videoausschnitt?”, fragte sie.
“Keine. Wir haben das überprüft. Agentin Yardley hat sogar ein paar Personen angerufen – Besitzer der Gebäude in der Nähe. Aber nur eins hat Sicherheitskameras und die sind nicht auf die Kirche gerichtet. Es gibt also keine Spur.”
Ein weiterer Mitarbeiter der Spurensicherung kam herüber. Er trug eine mittelgroße Plastiktüte, die zwei große Eisenspitzen enthielt und etwas, das wie ein Faden aus Draht aussah. Die Spitzen waren blutdurchtränkt, was sich auf das klare Innere der Tüte abgeschmiert hatte.
“Sind das Eisenbahnnägel?”, fragte Mackenzie.
“Wahrscheinlich”, sagte der Mann von der Spurensicherung. “Aber wenn dann sind es Miniaturausgaben. Vielleicht solche die Menschen für Hühnerställe oder Viehweidenzäune nutzen.”
“Wie lange wird es dauern, bis Sie Ergebnisse davon haben?”, fragte sie.
Der Mann zuckte die Achseln. “Einen halben Tag vielleicht? Sagen Sie mir doch, nach was genau Sie suchen und ich versuche, die Ergebnisse schneller zu bekommen.”
“Schauen Sie, ob Sie herausfinden können, was der Mörder genutzt hat, um die Nägel einzuschlagen. Können Sie das anhand der jüngsten Abnutzung an den Spitzenköpfen sehen?”
“Ja, das sollten wir herausfinden können. Von unserer Seite war es das. Die Leiche ist noch bei uns; sie wird erst nach unserer Freigabe an den Gerichtsvollzieher übergeben. Die Türen und die Treppe wurden nach Abdrücken untersucht. Wir lassen Sie wissen, wenn wir etwas gefunden haben.”
“Danke”,