„Ich wollte wissen, wann mein freier Tag sein wird“, sagte ich furchtlos in einem Atemzug.
Er breitete seine Arme aus und streckte sich genüsslich, bevor er antwortete. „Freier Tag? Du bist noch nicht einmal richtig angekommen, und schon willst du mich loswerden?“
Ich verschob das Gewicht von einem auf den anderen Fuß, während ich ihn beobachtete wie er einen Löffel Milch und einen Löffel Zucker in den Tee gab und danach vorsichtig daran nippte. „Heute ist Sonntag, Sir. Der freie Tag von Mrs. Mc Millian. Und morgen ist es genau eine Woche, dass ich hier bin. Vielleicht sollten wir darüber reden, Sir.“ Von seiner Miene war abzulesen, dass er nicht bereit wäre, mir einen freien Tag zu gewähren.
„Melisande Bruno, denkst du vielleicht, dass ich dir keinen freien Tag gebe?“, fragte er spöttisch, so als ob er meine Gedanken gelesen hätte.
Ich murmelte schon etwas wie nein, ich würde doch an so etwas nicht im Traum denken, völlig absurd, als er fortfuhr. „… denn dann hast du absolut Recht.“
„Vielleicht habe ich Sie nicht recht verstanden, Sir. Ist das wieder einer Ihrer Scherze?“ Ich bemühte mich, nicht die Kontrolle zu verlieren und so war meine Stimme eher schwach.
„Und wenn es dem nicht so ist?“, erwiderte er und blickte mich mit seinen Augen an, die so unergründlich waren wie ein Ozean.
Ich starrte ihn mit offenem Mund an. „Aber Mrs. Mc Millian ...“
„Auch Kyle hat keine freien Tage“, erinnerte er mich mit einem verschmitzten Lächeln. Ich hatte das dringende Gefühl, dass er sich aufs Beste amüsierte.
„Er hat keine festen Arbeitszeiten so wie ich“, sagte ich genervt. Ich hatte große Lust, das Dorf und die Umgebung des Hauses zu erkunden, und es nervte mich, dass ich für meine Rechte kämpfen musste.
Er verzog keine Miene. „Er steht immer zu meiner Verfügung.“
„Und wann sollte ich denn mal rauskommen?“ fragte ich etwas lauter. „In der Nacht vielleicht? Ich habe von Sonnenuntergang bis Sonnenaufgang frei ... Anstatt zu schlafen, soll ich ein bisschen spazieren gehen? Im Gegensatz zu Kyle lebe ich hier, ich gehe nicht abends nach Hause.“
„Wag‘ es nicht in der Nacht auszugehen. Es ist gefährlich.“
Seine gedämpften Worte prägten sich in mein Bewusstsein ein und verursachten ein schwaches Aufflackern eines Wutanfalls. „Wir befinden uns in einer Sackgasse“, sagte ich mit genauso kalter Stimme wie er. „Ich möchte die Umgebung kennenlernen, aber Sie geben mir dazu keinen Tag frei. Andererseits jedoch raten Sie mir eindringlich davon ab, nachts auszugehen, weil Sie es für gefährlich halten. Was soll ich denn dann tun?“
„Du bist noch schöner, wenn du wütend bist, Melisande Bruno“, beobachtete er völlig unangemessen. „Die Wut verleiht deinen Wangen ein wunderschönes Rosa“.
Ich räkelte mich für einen köstlichen Moment in der Freude über dieses Kompliment, doch dann nahm der Zorn doch Überhand. „Und, was ist jetzt? Werde ich also einen freien Tag haben?“
Er lächelte mich schief an und meine Wut verblasste, sie wurde durch eine Erregung ganz anderer und unvorstellbarer Art ersetzt.
„Ok, nehmen Sie den Sonntag“, stimmte er schließlich zu.
„Sonntag?“ Er hatte sich so schnell nachgegeben, dass es mich verwirrte. Er war so schnell in seinen Entscheidungen, dass ich bezweifelte ihm folgen zu können. „Aber es ist auch der Tag von Frau Mc Millian ... Sind Sie sicher, dass ...?“
„Millicent hat nur den Morgen frei. Sie können den Nachmittag haben.“
Ich nickte ohne Überzeugung. Im Moment musste ich damit zufrieden sein. „Einverstanden.“
Er zeigte auf das Tablett. „Könnten Sie das bitte in die Küche bringen?“
Ich war schon an der Tür angekommen, als mich ein Gedanke wie ein Blitz aus heiterem Himmel traf. „Warum ausgerechnet Sonntag?“
Ich drehte mich zu ihm um. Auf seinem Gesicht lag der Ausdruck einer Klapperschlange, und plötzlich war mir alles klar.
„Denn heute ist Sonntag, und so muss ich ganze sieben Tage warten.“ Ein Pyrrhussieg. Ich war so wütend, dass ich fast versucht war, ihm das Tablett entgegenzuschleudern.
„Das geht schon vorüber“ wiegelte er amüsiert ab. „Und, schlagen Sie beim Hinausgehen nicht die Tür zu.“
Ich war versucht, genau das zu tun, aber leider behinderte mich das Tablett. Ich hätte es auf dem Boden abstellen müssen und so verzichtete ich darauf. Wahrscheinlich hätte er es noch mehr genossen.
In dieser Nacht habe ich zum ersten Mal in meinem Leben geträumt.
Fünftes Kapitel
Ich sah irgendwie gespensterhaft aus, so in meinem Nachthemd, das im unsichtbaren Wind flatterte. Sebastian Mc Laine streckte mir freundlich die Hand entgegen. „Möchtest du mit mir tanzen, Melisande Bruno?“
Er stand still und unbeweglich am Fußende meines Bettes. Ohne Rollstuhl. Seine Gestalt zitterte blass und war nur schemenhaft, wie in einem Traum, zu sehen. Ich überwand die Entfernung zwischen uns so schnell wie der Wind. Er lächelte mich so charmant an, erhaben über jeden Zweifel und über mein Glück, da es sich in seinem Gesicht widerspiegelte.
„Mr. Mc Laine... Sie können gehen… .“ Meine Stimme war naiv, sie hallte wie das eine kleine Mädchen nach.
Er erwiderte mein Lächeln, die Augen jedoch waren traurig und dunkel. „Wenigstens in meinen Träumen, ja. Möchtest Du mich nicht Sebastian nennen, Melisande? Zumindest im Traum?“
Ich war verlegen und gab nur widerwillig die Förmlichkeiten auf, selbst in dieser phantastischen und unwirklichen Situation.
„In Ordnung... Sebastian.“
Seine Hände schlangen sich um meine Taille in einem festen und doch spielerischen Griff. „Kannst du tanzen, Melisande?“
„Nein.“
„Dann lass mich dich führen. Meinst du, du schaffst das?“ Er starrte mich jetzt argwöhnisch an.
„Ich glaube, es gelingt mir nicht“, gab ich ehrlich zu.
Er nickte, meine Aufrichtigkeit hatte ihn keineswegs verwirrt. „Nicht einmal im Traum?“
„Ich träume nie“, antwortete ich ungläubig. Und doch war es genau das, was im Moment geschah. Es war eine unumstößliche Tatsache, oder nicht? Es konnte nicht wahr sein. Ich im Nachthemd in seinen Armen, die Zärtlichkeit in seinem Blick, kein Rollstuhl in Sicht.
„Ich hoffe, dass du nicht enttäuscht sein wirst, wenn du aufwachst“, sagte er nachdenklich.
„Warum sollte ich?“ wandte ich ein.
„Ich werde das Thema des ersten Traum deines Lebens sein. Bist du enttäuscht?“ Er starrte mich ernsthaft und voller Zweifel an.
Er zog sich etwas zurück, und ich krallte meine Finger in seine Arme wie wilde Klauen. „Nein, bleib bei mir. Bitte.“
„Möchtest du mich wirklich in deinem Traum haben?“
„Dich und niemand anderes “, sagte ich kühn. Ich träumte, wiederholte ich in mir. Ich konnte alles sagen, was mir durch den Kopf ging, ohne dass ich Angst vor irgendwelchen Folgen haben müsste.
Er lächelte mich wieder an, noch schöner als zuvor. Er führte mich schwungvoll und beschleunigte das Tempo, sobald ich die Schritte lernte. Es war in furchterregender Weise ein echter Traum. Meine Fingerspitzen nahmen den geschmeidigen Cashmere-Pullover wahr und darunter sogar seine harten Muskeln. Plötzlich hörte ich ein Geräusch, als ob eine Pendeluhr die Stunden schlug. Mir entwich ein Kichern. Selbst hier!
Ich liebte das