Die Liebe der Erika Ewald. Стефан Цвейг. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Стефан Цвейг
Издательство: Public Domain
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Жанр произведения: Зарубежная классика
Год издания: 0
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habe immer geahnt, daß sie kommen werde und habe es nie glauben wollen. Nun ist sie da. Ich weiß es, seitdem Sie das letzte Mal bei mir waren, seit gestern.«

      Einen Moment schwieg er und holte Atem aus tiefster Brust.

      »Und – das macht mich traurig, unendlich traurig. Ich weiß, daß ich Sie nicht heiraten kann, ich weiß, es würde mich meine Kunst kosten. Das kann kein Fremder verstehen – Sie werden es verstehen, meine liebe, liebe Erika. Nur ein Künstler kann das verstehen, und Sie haben eine reiche, unendlich reiche Künstlerseele. Und Sie sind auch klug. Wir können nicht mehr weiter so zusammen verkehren .... es muß ein Ende gemacht werden…«

      Er hielt inne. Erika fühlte, daß er noch nicht zu Ende war. Am liebsten wäre sie vor ihm bettelnd hingesunken und hätte ihn gebeten, jetzt nicht weiter zu sprechen. – Sie wollte jetzt nichts hören, nichts verstehen. – Nein, sie wollte nicht.... Und angstvoll begann sie wieder die Wolken zu zählen.... Aber die waren schon weg.... Nein, dort war noch eine.... Eine, die letzte, rosig überhaucht wie ein stolzer Schwan, der den dunklen Strom hinabsegelt.... Wieso fiel ihr das Bild ein? Sie wußte es nicht.... Ihre Gedanken wurden immer wirrer. Sie fühlte nur, daß sie bloß an die Wolke denken wollte.... Die zog jetzt fort, ja sie zog fort über den Berg hin.... Sie spürte, wie ihr ganzes Herz an ihr hing, wie sie sie am liebsten mit ausgestreckten Händen gehalten hätte, aber sie ging … sie lief, lief schneller, immer schneller.... Und jetzt – jetzt war sie verschwunden.... Und Erika hörte nun wieder klar und unabänderlich seine Worte, unter denen ihr Herz in blinder Angst erbebte.

      »Ich weiß nicht, ob du mich so ganz kennst. Ich glaube nicht, ich meine immer, daß du mich überschätzt. Ich bin kein großer Mensch, ich bin keiner von denen, die .... die über dem Leben stehen in ihrer sicheren Selbstgenügsamkeit. Ich wollte, ich wäre so, aber ich bin es nicht. Ich klebe am Leben, ich bin nicht eben viel mehr als einer, der das begehrt, was er liebt. Ich bin nur so, wie alle Männer sind, ich verehre nicht nur die Frau, wenn ich sie liebe, ich .... verlange sie auch..... Und .... mit Fremden will ich dich nicht betrügen. Ich will nicht, daß du mich verachtest. Du bist mir zu lieb dazu…«

      Erika war blaß geworden. Nun erst verstand sie, was er meinte, und sie wunderte sich, daß sie nicht früher daran gedacht. Mit einem Male war sie wieder ruhig geworden. Es war alles gekommen, wie es kommen mußte.

      Sie wollte ablehnend sprechen, aber sie vermochte es nicht. Das sanfte "du" seiner Rede hatte sie eigentümlich überwältigt mit seiner liebevollen Innigkeit. Sie verspürte wieder, wie sie ihn liebte; das Bewußtsein kam ihr plötzlich, wie ein vergessenes Wort, das wiederkehrt. Und sie fühlte auch, wie schwer sie ihn verlieren könnte, wie viel geheime Kräfte sie mit ihm verbanden. Wie ein Traum war ihr alles....

      Er sprach weiter, und seine Stimme wurde mild wie eine Liebkosung. Sie fühlte seine Hand in ihren zärtlichen Fingern.

      »Ich weiß nicht, ob du mich geliebt hast, ob du mich so geliebt hast, wie ich dich jetzt. Mit der letzten Hingabe und mit dem grenzenlosen Vergessen an alle Kleinlichkeiten, mit jener heiligsten Liebe, die nur schenken und nichts verweigern kann. Und ich glaube nur an die Liebe, die Opfer bringt um ihrer selbst willen.... Aber nun ist alles zu Ende. Und ich habe dich darum nicht minder lieb…«

      Erika war wie von einem Rausch befangen. Ein sanfter Schauer überlief sie. Sie wußte nur, daß sie ihn verlieren sollte und nicht konnte. Und daß sie hoch über dem Leben stand. Alles war so fern, so weit. Abendstille lag über den Tälern und sanfte Feierlichkeit, die Stadt war fern und ihr Gebrause und alles, was an Wirklichkeit erinnerte. Sie fühlte sich in sonnigen Höhen, weit, weit oben über alle Häßlichkeit und Kleinlichkeit mit ihrer opferfreudigen, freien und spendenden Liebe, mit ihrer seligen Macht des Glückverschenkens. Keine Gedanken, kein kluges, rechnendes Besinnen war mehr in ihr, nur Gefühle, jauchzende, überströmende Gefühle, wie sie sie nie gespürt. Die Stimmung überwältigte sie und ihr eigenstes Wollen. Und so sagte sie leise und schlicht:

      »Ich habe niemanden auf der Welt als dich. Und dich will ich glücklich machen.«

      Alle Scham war von ihr gewichen, wie sie zu ihm sprach. Sie wußte nur, daß sie mit einem Worte viel, viel Glück verschenken konnte und sah nur seine leuchtenden Augen und ihren dankbaren Glanz.

      Und er beugte sich nieder und küßte mit stiller Ehrfurcht ihren Mund.

      »Ich habe nie an dir gezweifelt.«

      Und dann gingen sie den Weg hinab, der Stadt, nach Hause zu.

      Langsam kamen sie wieder in die dunkle, tagesmüde Stadt, und es war Erika, als stiege sie von den leuchtenden Firnen eines seligen Traumes ins harte, kalte und unerbittliche Leben nieder. Mit fremden und ängstlichen Blicken trat sie in die nebelfeuchten Vorstadtgassen, die vom häßlichen und aufdringlichen Lärm und Dunst erfüllt waren; und ein Gefühl schmerzhafter Öde senkte sich auf sie herab. Sie fühlte sich bedrückt von den rauchigen Häusern, die sich dunkel über ihr zueinander drängten, ein finsteres Symbol des Alltagslebens, das sich mit rücksichtsloser, drohender Gewalt in ihr Schicksal preßte, um es zu zermalmen.

      Sie erschrak beinahe, als er sie plötzlich mit einem Liebeswort ansprach, und sie erstaunte, daß sie die zärtlichen Minuten und ihr Versprechen beinahe vergessen hatte. Wie fremd ihr alles hier plötzlich geworden war in dieser dumpfen, beengenden Umgebung, was ihr früher die jähe Impulsivkraft einer Rauschstimmung entlockt hatte. Sie sah ihn an, ganz vorsichtig von der Seite. Seine Stirne war kraftvoll gefaltet, und um den Mund lag die Ruhe eines Selbstsicheren, alles war unbeugsame und selbstgefällige Männlichkeit in seinem Gesichtsausdruck. Nirgends die sanfte Melancholie, die sonst seine Kräfte in eine schöne Harmonie bannte, nur triumphierende Härte, die vielleicht eine lauernde Sinnlichkeit war. Langsam wandte Erika den Blick. – Noch nie war er ihr so fremd und so ferne gewesen wie in diesem Augenblick.

      Und plötzlich hatte sie Angst, tolle, unbändige Angst! Mit einem Male wachten tausend erschreckte Stimmen in ihr auf, die warnten und lärmten und sich selbst überschrieen. Was sollte jetzt kommen? Sie fühlte es nur dunkel, denn sie wagte es nicht auszudenken. Alles empörte sich in ihr gegen das Versprechen, das ihr eine Minute der Schwäche entrissen hatte, und ihre heiße Scham brannte wie eine Wunde. Sie war nie sinnlich gewesen, das spürte sie nun in allen Tiefen ihres Herzens, sie hatte kein Begehren nach einem Manne, nur Abscheu vor der brutalen, zwingenden Macht. Nur Ekel empfand sie in diesem Augenblick, und alles verfinsterte sich vor ihren Blicken und bekam eine häßliche und niedrige Bedeutung; der leise Armdruck, den sie fühlte, die Liebespaare, die im Nebel auftauchten und sich wieder verloren, jeder zufällige Blick, der sie im Vorübergehen traf. Deutlich und zornig klopfte ihr Blut an den schmerzenden Schläfen.

      Mit einem Male ward ihr die tiefe Schmerzlichkeit ihrer Liebe bewußt, die unter den Enttäuschungen bebte, wie unter züchtigenden Schlägen. Was immer geschehen war, mußte wieder Erlebnis werden. Die Sinnlichkeit des Mannes mordete die sanfte Liebe des Mädchens und ihre heiligsten Schauer. Das Glück, das wie schimmernde Abendwolken über dem Dunkel gehangen, war nun zerbrochen, und die Nacht begann aufzusteigen schwarz und schwer mit drohender, leidvoller Stille und unbarmherzigem Schweigen....

      Ihre Füße wollten kaum weiter. Sie merkte, daß er den Weg gegen seine Wohnung nahm, und dieses Bewußtsein betäubte sie. Sie wollte ihm alles sagen: wie ihre Liebe ganz anders sei als die seine, wie sie nur das Versprechen gegeben im Banne einer Stimmung, der ihr nervöses Empfinden unterlegen, und wie sich alles in ihr aufbäume gegen diese vorbesprochene Liebesszene. Aber die Worte fanden keine Laute, nur finstere und drängende Empfindungen, die ihre Seele quälten und marterten, ohne sie zu befreien. Dunkle und bange Erinnerungen streiften sie wie mit schwarzschattenden Schwingen. Und eine kam immer wieder, eine seltsame und doch so alltägliche Geschichte von einem Mädchen, die mit ihr zur Schule gegangen war. Die hatte sich einem Manne hingegeben, und als er sie verließ, aus Rache und Zorn einem andern und dann wiederum andern – sie wußte selbst nicht mehr, warum. Und Erika erschauerte immer, wenn sie an dieses Mädchen dachte, durch deren Leben die Liebe gegangen war wie ein dunkler Wettersturm; und das gewaltsame Widerstreben in ihr war mehr als die erste Scham eines unbefleckten Mädchens, das vor dem unbekannten Geschehen bangt, es war die schöne Schwäche einer zarten und schwächlich-scheuen Seele, die das laute Leben fürchtet und seine brutale Häßlichkeit.

      Aber das Schweigen